Ann-Kristin Achleitner Mit Herzblut im Aufsichtsrat

Sie ist Charmant und aufrecht. Die Münchner BWL-Professorin drängt sich nicht auf, sondern zieht es vor, um Rat gefragt zu werden. Nicht allein deshalb gehört sie zu den Frauen in Deutschland mit dem größten Einfluss in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

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Ann-Kristin Achleitner Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

Ein Eulenkopf auf etwas zu großen Hühnerfüßen mit einem etwas zu kleinen Schnabel – das sonderbare Wesen auf dem Bild über Ann-Kristin Achleitners Schreibtisch könnte aus einem Fantasy-Film stammen. „Kein Durchschnittshuhn“ steht unter der Zeichnung. Mit solchen Sujets warb die Unternehmensberatung McKinsey in den Neunzigerjahren um Bewerber mit Rückgrat, Intelligenz, Fleiß und Persönlichkeit.

„Das Huhn mag ich am liebsten“, sagt Achleitner. Die Illustration erhielt sie als Abschiedsgeschenk, als sie 1995 nach eineinhalb Jahren McKinsey zugunsten einer Professur an der European Business School in Oestrich-Winkel verließ. Für die Werte steht sie noch immer.

Das Bild hängt in ihrem Büro an der TU München. Dort forscht sie in einem schwarzen Backsteingebäude mit Rohren an den Decken und Wänden aus Sichtbeton. Der Blick von ihrem schlichten Holzschreibtisch geht in einen schmucklosen Innenhof – das Büro von Mächtigen sieht anders aus.

Die Professorin für Unternehmensfinanzierung an der TU München gehört trotzdem zu denjenigen, die mit Persönlichkeiten aus Glanz und Glamour agieren. Wie kaum eine andere Frau ist die 46-Jährige aufs Engste vernetzt mit den wichtigsten Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Forschung und Politik in Deutschland.

Nicht mit großen Namen schmücken

Der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber und der jetzige Horst Seehofer sowie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertrauten Achleitners Urteil. Deutschlands Papst für gute Unternehmensführung, der Frankfurter Wirtschaftsrecht-Professor Theodor Baums, tauscht sich mit ihr aus. Wolfgang Reitzle, der Chef des Münchner Gasekonzerns Linde, und dessen Kollege beim Düsseldorfer Handelsriesen Metro, Olaf Koch, müssen sich ihrem Votum als Aufsichtsrätin fügen.

Achleitner zählt, im Gegensatz zu vielen ihrer männlichen Kollegen, nicht zu jenen heimlichen Herrschern Deutschlands, die bei der kleinsten Anfrage in diese Richtung ihr Portfolio von Prominenten auffahren. Namedropping und Aufsehenerregen liegen Achleitner nicht. Viele einflussreiche Personen treffe sie nur gelegentlich, meint sie. „Ich möchte mich nicht mit wichtigen Namen schmücken.“

Achleitner bewegt sich gewandt, geht immer ein bisschen aufrechter als ihre männlichen Kollegen. Sie spricht schnell und mit dunkler Stimme – sie kann sich Gehör verschaffen. Ihre Kleidung: elegant mit schwarzer Stoffhose und Pumps, weißem T-Shirt und cremefarbener Strickjacke, silberner Ring und Uhr, ohne viel Schnickschnack. Die Ego-Show ist nicht ihr Ding. Wer fragt, was sie Besonderes erreicht habe, bekommt zur Antwort: „Nicht ich allein, sondern alle gemeinsam.“

Achleitner zeigt Kante

Deutschlands heimliche Herrscher
Ralph Wollburg Quelle: Picture-Alliance/dpa
Ann-Kristin Achleitner Quelle: dpa
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Michael Vassiliadis Quelle: AP
Michael Hoffmann-Becking Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche
Gerhard Cromme Quelle: dpa
Manfred Schneider Quelle: Picture-Alliance/dpa

Das stimmt und stimmt zugleich nicht. Achleitner war der Machtwechsel an der Spitze des größten deutschen Handelskonzerns Metro mit zu verdanken. Pünktlich zum Nachfolgekampf um Chef Eckhard Cordes war sie im Mai 2011 in den Aufsichtsrat eingezogen. Kurze Zeit später entflammt die Diskussion um Cordes Vertragsverlängerung.

Die Herren an ihrer Seite sind keine Geringeren als der ehemalige Chef des Düsseldorfer Energiekonzerns E.On, Wulf Bernotat, Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Fitschen und der einstige VW- und BMW-Chef Bernd Pischetsrieder.

„Es war ein intensives Jahr bei Metro“, gibt Achleitner sich diplomatisch. Sie zeigt Kante und sorgt mit den Vertretern der Kapitalseite dafür, dass Koch neuer Metro-Chef und Franz Haniel neuer Aufsichtsratsvorsitzender wird. Haniel folgt dem zweiten großen Opfer der Rochade, Jürgen Kluge. Der hatte nach den Querelen um Cordes’ Vertragsverlängerung seinen Posten als Aufsichtsratschef geräumt.

„Franz Haniel hat Führungsstärke gezeigt“, sagt sie anerkennend. Und dem neuen Metro-Chef zollt sie Respekt. „Ich finde, dass Herr Koch sowohl einzeln als auch im Team von allem, was ich bisher gesehen habe, einen sehr guten Start hatte. Ich finde, dass sehr wichtige Weichen gestellt worden sind.“

Gefragte Meinung

Nicht minder hochkarätig als bei Metro ist das Kontrollgremium, das sich fünf Autominuten von der TU München trifft und dem Achleitner ebenfalls angehört: der Aufsichtsrat von Linde. Gemeinsam mit Allianz-Chef Michael Diekmann, Deutsche-Bank-Chefaufseher Clemens Börsig und dem Commerzbank-Oberkontrolleur Klaus-Peter Müller wacht sie hier über den zweitgrößten Industriegasehersteller der Welt nach Air Liquide aus Frankreich.

Besonders Aufsichtsratschef Manfred Schneider, ein Überbleibsel der alten Deutschland AG und einer der mächtigsten Konzernkontrolleure der Republik, greift gerne auf Achleitners Rat zurück. „Er konsultiert sie häufig auch zwischen den Aufsichtsratssitzungen und fragt sie um ihre Meinung“, heißt es aus Achleitners Umgebung. Ihr Draht zu Konzernchef Reitzle gilt als gut. „Die Chemie im Dreieck Schneider, Reitzle, Achleitner stimmt“, sagt ein enger Vertrauter eines Linde-Aufsichtsrates. Andere Kontrolleure schätzen ihr strategisches Denken und ihre nüchterne Analysefähigkeit.

Die gebürtige Düsseldorferin und Wahl-Münchnerin weiß, dass ihr Name nicht nur für sie allein, sondern im Grunde für das einflussreichste Ehepaar der deutschen Wirtschaft steht. Denn während sie zwei Dax-Konzerne mitkontrolliert und zusätzlich Mitglied im Verwaltungsrat der Schweizer Bank Vontobel ist, beaufsichtigt ihr Gatte Paul bald vier. Der Noch-Finanzvorstand der Allianz-Versicherung wird am 31. Mai in Frankfurt Chefaufseher der Deutschen Bank und sitzt außerdem in den Aufsichtsräten von Bayer, RWE und Daimler. Außerdem sitzt er im Gesellschafterausschuss bei Henkel.

Es zählt nur Professionalität

Paul Achleitner Quelle: dpa

Vergleiche mit ihrem Mann nerven Achleitner. Und auch Titel wie das „Power-Paar“ oder „Paar mit Top-Rating“, wie die Presse die beiden schon genannt hat, erträgt sie nur schwer. „Wir haben zwei völlig verschiedene Berufe“, sagt sie. Als Achleitner in den Neunzigerjahren am Stiftungslehrstuhl für Bank- und Finanzmanagement der European Business School arbeitete, saßen ihre engsten Austauschpartner bei der US-Investmentbank JP Morgan, von der sie viele vertrauliche Unterlagen über die Branche erhielt. JP Morgan war jedoch ein direkter Wettbewerber von Goldman Sachs, wo ihr Mann seinerzeit arbeitete. Dass sich das Paar über Interna austauschte, liegt für sie außerhalb des Vorstellbaren. „Schon damals zählte nur eines“, sagt Achleitner, „Professionalität.“ Gleiches gelte jetzt für die Aufsichtsratsmandate, die beide zurzeit bekleiden.

Zwar hält Achleitner ihr Privatleben möglichst aus der Öffentlichkeit heraus. Trotzdem gehören auch hier Prominente zum täglichen Umgang. Siemens-Chef Peter Löscher hat früher bei den Achleitners übernachtet, als er noch keine eigene Wohnung in München gefunden hatte, Ex-Bundesaußenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer ist Patenonkel eines der drei Kinder.

Ihr Netzwerk hat Achleitner vor allem ihrem fachlichen Ehrgeiz zu verdanken. Mit 18 beginnt sie ihr BWL-Studium in St. Gallen, schließt ein Jurastudium an, mit 28 Jahren hat sie bereits zwei Doktortitel und ist habilitiert. Anschließend geht es zu McKinsey. In St. Gallen knüpft sie vor allem eine persönliche Verbindung. Hier lernt Achleitner ihren zukünftigen Mann Paul kennen. Am Weltwirtschaftsforum in Davos nahm sie allerdings vor ihm teil. 1998 zeichnete der Chef der jährlichen Großveranstaltung, Klaus Schwab, sie als „Global Leader for Tomorrow“ aus – und sollte recht behalten.

"Ich will ja noch etwas lernen"

Ob in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik, Achleitner drängt sich nie auf, sondern zieht es vor, um Rat gefragt zu werden. Sie gilt als fleißig und wissbegierig und arbeitet sich detailliert in Themen ein. Die Liste der Auszeichnungen ist bei der Mittvierzigerin so lang wie bei viel Älteren der Lebenslauf. Trotzdem zeigt sie wie kaum eine andere in ihrer Position offen, dass sie immer noch hinzulernen will.

Auf der „Super-Return“ in Berlin, dem jährlichen Treffen der Finanzinvestoren, hielt Achleitner im Februar einen Vortrag, war danach aber nicht mehr zu sehen. Als ein Redner die Zuhörer fragt, ob Frau Achleitner noch da sei, ertönt aus der letzten Reihe ihre Stimme: „Sicher bin ich im Raum, ich will ja noch etwas lernen.“ Achleitner machte Notizen und saß auch am nächsten Tag früh morgens im Auditorium, um Berichte aus der Praxis zu hören.

Denn Private-Equity-Finanzierung in Familienunternehmen, also die zeitweise Beteiligung von Investoren, ist ein Forschungsgebiet, mit dem sich Achleitner an der TU München beschäftigt. Zusammen mit ihrem Kollegen Christoph Kaserer hat sie gemeinsam mit der Deutschen Börse den German Entrepreneurial Index (GEX) entwickelt. Der bildet die Performance eigentümergeführter Unternehmen ab, nachdem sie an die Börse gegangen sind.

Herzblutthemen mit Konjunktur

Ann-Kristin Achleitner Quelle: dpa

Wenn Achleitner über etwas forscht, dann spricht sie von „Herzblutthemen“. Sie packt Probleme an, die ihr selbst wichtig sind. Als sie begann, sich mit der Frage des sozialen Unternehmertums zu befassen, wollte das mancher Professorenkollege nicht fassen, legte es ihr als persönliche Midlife-Crisis aus. Seit der Finanzkrise hat das Thema jedoch Konjunktur.

Großes Renommee verschaffte sich Achleitner mit ihren Arbeiten zur internationalen Rechnungslegung in Unternehmen vor allem während ihrer Zeit an der European Business School. Zusammen mit Werner Seifert, dem ehemaligen Chef der Deutschen Börse, und Frank Mattern, dem Deutschland-Chef von McKinsey, verfasste sie zudem ein Buch über die europäischen Kapitalmärkte.

Achleitner vermeidet es, als eiskalte Karrierefrau rüberzukommen. Sie lächelt viel und hat immer ein freundliches Wort für ihre Mitarbeiter übrig. Eine Collage aus kleinen Fotos aller ehemaligen Assistenten, die Achleitners Porträt darstellen, hängt in ihrem Büro. Noch immer kennt sie alle Namen und freut sich, wenn sie Jahre später noch etwas von ihnen hört.

Kein Wunder, dass so eine auch von den Politikern hofiert wird. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger holte Achleitner in die Corporate-Governance-Kommission, die Regeln für gute Unternehmensführung erarbeitet. Schon während ihrer Zeit in der Schweiz beschäftigte sich die Ökonomin mit diesem Thema. Zu ihren Mitstreitern in der Kommission zählen unter anderem Fraport-Vorstandschef Stefan Schulte, die ehemalige Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro und Daniela Weber-Rey, Partnerin der Anwaltskanzlei Clifford Chance. Zusammen mit ihnen will Achleitner für mehr Unabhängigkeit von Aufsichtsräten sorgen.

Nicht viel Zeit für Privates

Die Liste der Gremien und Kommissionen, denen Achleitner angehört, passt kaum auf ein DIN-A4-Blatt. In der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation erstellte sie mit ihren Hochschulkollegen Jutta Allmendinger, Joachim Luther und dem inzwischen verstorbenen Hariolf Grupp Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit in Deutschland.

In der Expertengruppe „Zukunft Bayern 2020“ des damaligen Ministerpräsidenten Stoiber arbeitete sie unter der Regie von Ex-McKinsey-Europachef Herbert Henzler unter anderem mit dem ehemaligen „Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort und FC-Bayern-München-Präsidenten Uli Hoeneß zusammen. Im Politzirkel „Zukunft soziale Marktwirtschaft“ hatte sie es mit dem Präsidenten des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, Erzbischof Reinhard Marx, dem BMW-Betriebsratsvorsitzenden Manfred Schoch und Rudolf Staudigl, dem Chef von Wacker Chemie, zu tun. Und mit Bahn-Chef Rüdiger Grube, Telekom-Chef René Obermann und RWE-Manager Fritz Vahrenholt sitzt sie im Senat der Fraunhofer-Gesellschaft, einer der wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen.

Viel Zeit für Privates bleibt ihr nicht. Ein Bild ihrer drei Kinder im Alter von 7 bis 13 liegt noch auf der Fensterbank und wartet auf einen Platz an der Wand. Achleitner hat ihr Büro erst vor Kurzem bezogen. Ein Bild des Comic-Hundes Snoopy fehlt – in einem Snoopy-Laden hat Achleitner samstags während ihres Studiums gearbeitet. Doch ihre Kinder mochten lieber die Comic-Figuren Sitting Ducks. Die kriegen auch bald einen Platz über ihrem Schreibtisch neben dem McKinsey-Huhn.

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