In besonderen Fällen darf der Chef Überstunden von seinen Mitarbeitern verlangen. Das kann ein Personalengpass sein oder ein dringendes Projekt. Hierbei sind die Arbeitnehmer in der Pflicht – aber auch die Arbeitgeber. Diese dürfen ihre Mitarbeiter nicht überstrapazieren.
Arbeitsrechtsanwalt Sebastian Frahm spricht von der „gegenseitigen Rücksichtsnahmepflicht“ von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. „Bei Eltern müssen Arbeitgeber etwa Rücksicht nehmen, wenn sie ihre Kinder aus der Kita abholen müssen“, sagt der Rechtsanwalt der Stuttgarter Arbeitsrechtskanzlei Naegele. Das Arbeitsgericht in Frankfurt an der Oder hat sogar entschieden, dass ein Arbeitgeber anstehende Überstunden mindestens vier Tage vorher ankündigen muss. So soll es den Mitarbeitern möglich sein, ihr Privatleben immerhin an die Überstunden anzupassen.
Ab und zu eine Überstunde zu verhängen ist also angemessen – aber nicht Tag für Tag. Das Arbeitszeitgesetz besagt, dass die tägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten darf. Und Ausnahmefälle mit bis zu zehn Stunden sind nur dann erlaubt, wenn es innerhalb von sechs Monaten durchschnittlich bei acht Stunden pro Tag bleibt. Außerdem steht Arbeitnehmern eine Ruhezeit von elf Stunden zwischen Arbeitsende und dem nächsten Arbeitsbeginn zu.
Oftmals reichen die vertraglich festgelegten acht Stunden aber nicht aus, um den Aufgabenberg abzuarbeiten. Dann machen Arbeitnehmer oft Überstunden, ohne dass der Chef das explizit verlangt hat. Davon rät Christian Götz, Jurist bei der Gewerkschaft Verdi, jedoch ab: „Eine vertraglich festgelegte Arbeitszeit haben, von sich aus Überstunden machen und dann dafür Geld verlangen? Das geht nicht“, sagt Götz. „Sowas muss man vorher mit dem Arbeitgeber absprechen.“
Denn nur jene zusätzliche Arbeitszeit gilt als Überstunde, die vom Vorgesetzten angeordnet wurde – alles andere gilt als verschenkte Freizeit. „Manchmal muss man Arbeitnehmer vor sich selbst schützen“, sagt Götz. „Ich kenne Fälle, in denen es ein Stempelsystem gibt, und sich Mitarbeiter zwar am Ende des Tages ausbongen, aber dann trotzdem weiter arbeiten.“ Götz rät das zu bedenken: „Arbeitnehmer sollten sich immer vor Augen halten, was vertraglich festgelegt ist und ob sie sich ausbeuten lassen – oder vielleicht sogar sich selbst ausbeuten.“
Was Chefs bezahlen müssen, und was nicht
Denn Arbeitszeit, die der Chef nicht angeordnet hat, muss er auch nicht bezahlen – obwohl diese Zeit vielleicht nötig war. Arbeitsrechtsexperte Sebastian Frahm kennt dieses Problem aus Krankenhäusern: „Ärzte beklagen immer wieder, dass sie nicht nach Hause konnten, weil sie noch Patienten versorgen mussten.“ Die Krankenhäuser verweigern dann im Zweifel Zahlungen und verweisen darauf, dass sie Überstunden explizit nicht verlangt haben. „Das mag unmoralisch sein, aber es ist nicht Aufgabe des Arbeitgebers, durch die Flure zu gehen und alle Mitarbeiter nach Hause zu schicken.“
Mitarbeitern, die ihre Arbeitsflut nur durch Überstunden bewältigen können, empfiehlt Frahm, die Mehrarbeit aufzuschreiben und vom Chef gegenzeichnen zu lassen. „Viele machen den Fehler, Überstunden bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses anzuhäufen, und erst dann einen Ausgleich zu fordern.“ Dann kann es jedoch oftmals zu spät sein. Schließlich verfallen Ansprüche spätestens nach drei Jahren, sofern im Arbeitsvertrag nichts anderes geregelt ist. Die dort festgelegten Fristen betragen oftmals auch nur drei Monate.
Ob Arbeitnehmer für die Überstunden bezahlt werden oder frei bekommen, können sie sich nicht selbst aussuchen – das entscheidet der Chef. Das gilt auch dafür, wann die Überstunden abgefeiert werden. „Das läuft spiegelbildlich zum Urlaubsantrag“, erklärt Frahm. Der Arbeitnehmer kann beantragen, zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen Überstunden frei zu bekommen, und der Arbeitgeber genehmigt das oder nicht. „Dies lässt sich unter das arbeitgeberseitige Direktionsrecht einordnen, das sich eigentlich auf die Art und Weise der Arbeit bezieht.“
Oftmals ist jedoch vertraglich jeglicher Ausgleich für Überstunden ausgeschlossen: Dann heißt es etwa, dass Arbeitnehmer für Über- oder Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung erhalten oder, dass mit dem Bruttogehalt alle Überstunden abgegolten sind. Bei solchen Fällen haben Richter unterschiedlich entschieden und sich jeweils nach der Gehaltshöhe gerichtet. Je niedriger das Gehalt ist, desto eher haben Mitarbeiter trotzdem einen Anspruch auf Überstunden.
Hierbei orientieren sich die Richter an Paragraf 612 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) . Dieser spricht Arbeitnehmern eine Bezahlung von Überstunden zu, wenn dafür eine wirksame Regelung fehlt. Eine zusätzliche Vergütung sei vor allem dann zu erwarten, wenn der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt beziehe.
Ob Überstunden bezahlt werden, hängt vom Gehalt ab
Davon profitierte etwa ein Lagerarbeiter, der in einer Spedition für 42 Stunden die Woche 1.800 Euro monatlich erhielt. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die in seinem Vertrag festgehaltene Regelung für unwirksam, Überstunden nicht zu bezahlen. Schließlich habe der Mitarbeiter bei der Unterzeichnung nicht ahnen können, wie viel Arbeit auf ihn zukommt. Im Prozess nach Vertragsende sprachen ihm die Bundesarbeitsrichter eine Überstundennachzahlung für drei Jahre zu.
Kein Glück hatte ein Rechtsanwalt vor dem Bundesarbeitsgericht. Auch er forderte die Bezahlung seiner Überstunden ein und scheiterte. Als Grund nannten die Richter sein Jahresgehalt von rund 80.000 Euro brutto. Bei dieser Bezahlung sei es, wie bei einer Führungsposition, üblich, Leistung zu erwarten, die über das Normalmaß hinausgeht. Es ist fraglich, wie gerecht dieses zweierlei Maß ist. Schließlich ist in beiden Fällen Mehrarbeit mehr Arbeit.
Die verschiedenen Urteile zeigen, dass es sich lohnen kann, für seine Extra-Bezahlung zu kämpfen. „Zuerst sollte man mit dem Chef sprechen und dabei auch den Betriebsrat einschalten. Wenn das nicht fruchtet, sollte man vor Gericht ziehen“, empfiehlt Christian Götz von Verdi. „Viele Arbeitnehmer scheuen sich, vor Gericht zu ziehen, aber dafür gibt es keinen Grund.“