Aufsichtsräte Der Höllenjob

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Anspruchsvoller und anstrengender

Der 70-jährige wirkt, als wolle er diese Sorge schon mit seinem Auftreten zerstreuen. Der studierte Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur ist erstaunlich durchtrainiert, leichten Fußes und braun gebrannt empfängt er Besucher an der Tür seines großen Büros im sechsten Stock der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer. Ein Jackett hat er sich gar nicht erst übergezogen, locker hängt es über der Stuhllehne, so viel Freiheit muss sein. Die nimmt sich der Multi-Aufsichtsrat auch im Gespräch über den Wandel seiner Profession.

Für ihn steht außer Zweifel, dass die Aufgabe deutlich anspruchsvoller und anstrengender geworden ist. „Aufsichtsräte müssen viel stärker in die Sache hineingehen“, sagt Lehner. Anders als früher gebe es einen langen Katalog von Gesetzen, wie ein Unternehmen geführt werden und wie ein Aufsichtsrat überwachen soll.

So kamen Regeln zu Angemessenheit der Vorstandsvergütung hinzu, was das gesamte Entlohnungssystem deutlich komplexer machte. Oder es wurde die Präsenz sogenannter „Financial Experts“ in den Gremien vorgeschrieben, unabhängige Experten, die sich mit Rechnungslegung auskennen. Auch die Regeln zur Abschlussprüfung wurden komplexer.

Die einflussreichsten Aufsichtsräte

Amtsmüde ist Lehner deshalb keinesfalls, doch „die Lust an der Aufgabe ist heute mit großen Belastungen versehen“, sagt Lehner. Während der Job früher maximales Prestige bei minimalem Aufwand verhieß, sind die Vorzeichen heute umgekehrt. „Das Tempo in den Unternehmen und die Veränderungsrate ist hoch, was kontrolliert wird, ist komplexer geworden“, sagt Lehner. Noch vor wenigen Jahren waren Engagements im Aufsichtsrat entweder nette Nebenjobs für aktive Vorstände oder ein wohltemperiertes Abklingbecken für verdiente Manager. Der Aufwand für den Job war so überschaubar, dass er sich mehr oder weniger nebenbei erledigen ließ. Der legendäre Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen brachte es Mitte der Achtzigerjahre auf zehn Mandate, bei fünf Unternehmen stand er an der Spitze des Aufsichtsgremiums.

„Früher gab es vier Sitzungen im Jahr, man traf sich für zwei Stunden, und dann eilte man zum nur bedingt verdienten Essen“, erinnert sich Christian Strenger. „Der Aufsichtsrat mit der längsten Anreise war am besten vorbereitet.“ Als langjähriges Mitglied der deutschen Corporate-Governance-Kommission hat der frühere Chef der Fondsgesellschaft DWS besonders engagiert für die Professionalisierung der Arbeit im Aufsichtsrat gekämpft.

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Und professioneller ist das Geschäft, keine Frage. Das liegt auch daran, dass neben den Regeln vor allem die Haftungspflichten zugenommen haben. Gerade in Krisensituationen geht es für die Aufseher schnell ans Eingemachte. Aufsichtsräte müssen verstärkt fürchten, dass sie persönlich für Verfehlungen haftbar gemacht werden. Schon 1999 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass Aufsichtsräte selbst haften, wenn sie Vorstände, die Schäden verursacht haben, dafür nicht in Anspruch nehmen. Doch es hat etliche Jahre gedauert, bis die Bedeutung des Urteils in der Wirtschaft ankam.

Doch nun häufen sich die Fälle, und mit ihrer wachsenden Zahl wächst auch die Unsicherheit. Und das umso mehr, weil es schnell um die eigene wirtschaftliche Existenz gehen kann. Anders als in anderen Ländern ist die Haftung in Deutschland der Höhe nach unbegrenzt. Das schürt die Angst, zumal viele Details rechtlich bisher kaum geklärt sind. „Natürlich ist das Thema immer präsent“, sagt die Aufsichtsrätin einer Großbank. Große Kanzleien haben die Beratung von Aufsichtsräten als eigenes Geschäftsfeld entdeckt. Die Folge ist eine Absicherungskultur, bei der rechtliche Fragen mindestens ebenso wichtig sind wie das Wohl des Unternehmens. Im schlimmsten Fall wird das Korsett so eng, dass es das Unternehmen lähmt.

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