Authentizität Sei alles, nur nicht du selbst

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Sei alles – manchmal sogar du selbst

Was man also braucht, ist eine Art emotionalen Filter. Der Schweizer Autor Rolf Dobelli bemüht dazu das Bild des persönlichen Außenministers, den man sich in der Öffentlichkeit immer dazu denken sollte und der den eigenen professionellen Auftritt steuert. Besetzt man die Stelle dagegen – um im Bild zu bleiben – mit einem reinen Innenpolitiker, kann es schwierig werden. Denn wer sich selbst zwanghaft treu bleibt, verpasst die Gelegenheit, durch Veränderung persönlich zu wachsen.

Die Ökonomin Herminia Ibarra sieht diese Gefahr besonders bei Menschen, die gerade befördert wurden. Die Anforderungen und Erwartungen an den Job änderten sich durch den Karriereschritt – deshalb müssten die Beförderten auch ihr eigenes Verhalten auf die Probe stellen und wenn nötig anpassen, so die Professorin, die an der London Business School forscht.

Wer sich davor scheue, nutze Authentizität als Vorwand, um sein altes Verhalten beizubehalten. Eine bessere Führungskraft hingegen tue auch mal Dinge, die dem Konzept der Authentizität widersprechen, sagt Ibarra. Bloß: Hat man dann im Arbeitsalltag überhaupt noch Gelegenheit, man selbst zu sein – und wenn ja, wann?

Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz

Inseln der Echtheit

Zum Beispiel bei Ursula Armbruster. Die Schauspiellehrerin am Comedia Theater in Köln bietet Seminare für Unternehmen, bei denen die Teilnehmer auf der Bühne so sein dürfen, wie sie sich gerade fühlen – egal, ob ängstlich, sauer oder euphorisch. Authentisch eben. „Hier darf man viel mehr Gefühle ausdrücken als im normalen Berufsalltag“, sagt Armbruster. Die Teilnehmer sollen durch die Übungen sensibler werden für die eigenen Emotionen und die der Kollegen – und ihre Gefühle dadurch besser kontrollieren können.

Scheidungsanwältin Ingeborg Rakete-Dombek trifft sich regelmäßig mit zwei Kolleginnen. Zusammen mit einer Psychologin spricht das Trio über die Dinge, die ihnen bei Mandaten oder Richtern Probleme bereiten. Die Hamburger Psychologin Astrid Emmerich nennt solche Treffen „Inseln der Echtheit“. Sie empfiehlt, die eigenen Gefühle regelmäßig in einem geschützten Umfeld zu zeigen.

Denn auch das hat ihre Forschung gezeigt: Die totale Selbstverleugnung ist für das persönliche Wohlbefinden ebenso schädlich wie absolute Authentizität.

Vielleicht hilft daher ein weniger resolutes Erfolgsmotto: Sei alles – und manchmal sogar du selbst.

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