Beschwerdemanagement Meckernde Kunden sind eine Schatztruhe für Unternehmen

Seite 2/4

Eine Schatztruhe voller Infos

So verfügt etwa jeder Mitarbeiter in einem Ritz-Carlton-Hotel über eine Summe von 2000 Dollar, die er sofort und ohne Absprache mit dem Vorgesetzen für die Zufriedenheit seines Gastes aufwenden kann. Bei Henkel sitzen ausgebildete Friseure an der Service-Hotline für Haarpflegeprodukte, damit sie unzufriedenen Kunden sofort mit fachkundigen Rat helfen können. Die Fast-Food-Kette McDonald’s hat mit fragmcdonalds.de sogar extra eine eigene Web-Plattform gegründet, um auf die zahlreichen Fragen und Beschwerden ihrer Kunden zum Thema Essen unkompliziert und schnell reagieren zu können.

„Beschwerden sind eine Schatztruhe für Unternehmen, die es zu öffnen gilt“, sagt Dirk Nonnenmacher von der Unternehmensberatung Hogreve & Cie., die sich auf das Thema spezialisiert hat. Hinzu kommt: Ein unzufriedener Konsument spricht laut einer Studie des Instituts für Marketing and Consumer Research der Wirtschaftsuniversität Wien im Schnitt mit zehn weiteren Personen über sein Erlebnis.

British Airways Quelle: REUTERS

Das allein kann schon rufschädigend für ein Unternehmen sein – doch teilt der Mecker-Kunde seinen Unmut nicht nur mit dem örtlichen Stammtisch, sondern auch mit seinen Followern auf Facebook und Co., können aus den zehn Personen schnell Hunderttausende werden. Allein Twitter hat weltweit mehr als 250 Millionen Mitglieder – durch diese enorme Reichweite verleihen die sozialen Medien dem Konsumenten eine nie da gewesene Macht. Was passieren kann, wenn ein Unternehmen unzufriedene Kunden einfach ignoriert, zeigt das Beispiel von Hasan Syed.

British Airways verschluderte Ende 2013 auf einem Paris-Flug das Gepäck von Syeds Vater. Nachdem der Brite zwei Tage lang auf eine Antwort wartete, entschloss er sich, seinem Ärger auf einem ungewöhnlichen Weg Luft zu machen: Er kaufte einen sogenannten gesponserten Tweet bei Twitter – also eine Nachricht, die normalerweise nur von Firmenkunden genutzt wird, um ihre Werbebotschaft möglichst prominent auf Twitter zu platzieren – eine Privatperson hatte diese Möglichkeit bis dato noch nicht genutzt.

Gewaltiger Shitstorm

Hasan Syeds knappe Botschaft: „Fliegt nicht mit British Airways. Ihr Kundenservice ist schrecklich.“ Diese 67 Zeichen lange Nachricht wurde an alle der rund 300.000 Personen gesendet, die der Fluggesellschaft zu diesem Zeitpunkt auf ihren zwei Twitter-Kanälen folgten. Es dauerte nicht lange, bis sich auch andere Nutzer mit ihren negativen Erfahrungen meldeten und so einen gewaltigen Shitstorm in Gang setzten. Für die Airline war das eine Katastrophe. „Vielfach mangelt es bis heute an dem Verständnis von Beschwerden als größte Chance für Wachstum“, sagt Bernd Stauss, der viele Jahre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zu dem Thema lehrte. Denn schließlich können Beschwerden die Kundenloyalität sichern, die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen gewährleisten und Fehlerkosten senken.

Doch dieser Grundsatz hat bislang nur in wenigen Unternehmen Einzug gehalten. Denn dahinter steht häufig nicht weniger als ein Paradigmenwechsel für die Mitarbeiter wie auch für das Management. Denn es gilt, eine Beschwerde nicht als Angriff, sondern als Chance zur Wiedergutmachung zu begreifen. Dass dieser Weg mühsam und lang sein kann, musste auch die Allianz-Versicherung feststellen.

Das Problem mit dem Marder

Ein Marderbiss ist für Autobesitzer eine ärgerliche Sache – doch in den meisten Fällen klappt die Bearbeitung des Schadens problemlos. Die Kosten für die Reparatur werden fast komplett von der Teilkaskoversicherung übernommen. Aber eben nur fast. Um die kaputten Schläuche auswechseln zu können, muss die Werkstatt zunächst das Kühlwasser ablassen. Nach der Reparatur wird die fehlende Flüssigkeit einfach wieder aufgefüllt.

Doch für den Ersatz bestand kein Versicherungsschutz, denn das Kühlwasser muss von Zeit zu Zeit vom Versicherungsnehmer selbst ausgewechselt werden. „Die Kosten für die ausgelaufene Kühlflüssigkeit nicht zu ersetzen war rechtlich zwar einwandfrei“, sagt Joachim Zäch, Leiter des zentralen Beschwerdemanagements der Allianz-Versicherung. „Aber bei den Kunden löste diese Regelung regelmäßig Unverständnis aus.“

Und so landeten in den letzten Jahren 365 Beschwerden zum Thema Kühlflüssigkeit auf seinem Schreibtisch – aus seiner Sicht zu viele. Und deshalb wurde es ein Thema für die nächste Beschwerdekonferenz. Achtmal im Jahr setzen sich Zäch und die Abteilungsleiter der verschiedenen Versicherungssparten, des Kundenservices sowie der Unternehmenskommunikation einen Tag lang zusammen. Das Ziel dieser Treffen: Probleme lösen, die bei den Kunden für Unmut gesorgt haben – wie zum Beispiel die Kühlflüssigkeit beim Marderbiss. Vier Monate und einige Abstimmungsrunden mit der Vertragsabteilung und dem Vertrieb später bekamen bereits die ersten Kunden ihre Flüssigkeit bezahlt.

„Früher sahen viele Sachbearbeiter eine Beschwerde als Angriff“, sagt Joachim Zäch. „Wir haben ihnen klargemacht, dass sie durch eine Beschwerde nicht schlecht dastehen, sondern wir nur an einer Lösung für den Kunden interessiert sind.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%