Burn-out Von der Chefetage in die Psychiatrie – und zurück

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Reißleine statt Klinikum

Nämlich wie lange?

Mindestens so lange, wie es gedauert hat, sie aufzubauen. Wenn es extrem stressig wird, zeige ich bis heute manchmal noch Symptome.

Was machen Sie dann?

Heute weiß ich, wann es zu viel ist, und sehe zu, dass ich runterkomme.

Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls?

Dass ich in eine Spirale wie vor meinem Klinikaufenthalt gerate, halte ich für unwahrscheinlich. Ich würde eher die Reißleine ziehen.

Gruhn: Genau. Die Abmachung muss sein, dass der Betroffene selbst sagt, wenn es ihm zu viel wird. Man kann ja nicht erwarten, dass die Kollegen und Mitarbeiter dafür ein Gespür haben.

Wie sind die Kollegen unterhalb des Vorstands mit Ihrer Rückkehr umgegangen?

Striemer: Frauen verhielten sich interessanterweise anders als Männer. Meine Sekretärin und meine Marketingmanagerin zum Beispiel hatten keinerlei Berührungsängste, haben mich sofort umarmt. Die Männer waren distanzierter. Meine direkten Führungskräfte haben sich gefreut, waren aber verunsichert. Nach dem Motto: Jetzt ist der Chef wieder da, tickt der denn wohl noch ganz richtig?

Sie sagen das so nonchalant. Hilft Ihnen diese Wortwahl beim Verarbeiten?

Nein. Sie ist mehr Ausdruck des Wunsches, dass die Leute nicht so eine exquisite Sache daraus machen sollen. Wenn der Betroffene nicht jedes Wort auf die Goldwaage legt, kann das anderen helfen, unbefangener mit der Krankheit umzugehen.

Gruhn: Ich finde das auch angenehm enttabuisierend. Auf der anderen Seite muss man aufpassen, nicht selbst genauso locker darüber zu sprechen. Das hielte ich für anmaßend.

Wie man rhetorisch mit so einer Situation umgeht, ist das eine. Was haben Sie konkret an Ihren Arbeitsabläufen geändert, um nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen und einen erneuten Krankheitsschub zu riskieren?

Diese Berufe machen krank

Striemer: Ich habe mich langsam herangetastet. Dafür habe ich zunächst mit meinen Mitarbeitern gesprochen und ihnen ein paar Hinweise gegeben: dass sie bitte genauso weiter machen sollen wie in den vergangenen zwei Monaten; dass der liebe Onkel dann einmal am Tag vorbeischaut und für ein oder zwei Stunden zuguckt; dass ich verschiedene Aufgaben Stück für Stück wieder übernehmen werde; und dass sie sich weiter um ihre Themen kümmern sollen, solange ich keine anderen Anweisungen gebe. Dadurch habe ich letztendlich nicht alle meine vorigen Aufgaben wieder übernommen.

Wonach haben Sie aussortiert?

Ich muss nicht mehr in alle Entscheidungen involviert sein, bei denen es vielleicht gar nicht um viel geht. Früher habe ich mich auf einem detaillierteren Niveau in Diskussionen und Entscheidungsprozesse eingebracht, heute haben meine Abteilungsleiter viel mehr Verantwortung. Ich sage ihnen: Ihr seid alt genug, ihr verdient eine Menge Geld, ihr seid Führungskräfte, ihr löst das jetzt mal ohne mich. Da geht auch mal was schief, aber das tut es ja auch mal, wenn ich selber mitentscheide. Das muss man ertragen können. Ich will nicht mehr in alles involviert sein, sondern vor allem sichergehen, dass ich schnell erfahre, wenn irgendwo was zu reparieren ist.

Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr noch verändert?

Ich habe mir einen professionelleren Umgang mit beruflichen Kontakten angewöhnt. Es gibt wie überall unaufrichtige Menschen. Die können von mir erwarten, dass ich ihnen sachlich und fair gegenübertrete. Mehr nicht. Ich nehme den Ärger über sie nicht mehr mit nach Hause. Ich grüble nicht mehr stundenlang, um für ihr Anliegen eine Lösung zu finden. Und dann gibt es Menschen, die ehrlich und aufrichtig sind. Wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel meine Unterstützung braucht, dann helfe ich ihm gerne. Aber ich mache Probleme anderer nicht mehr zu meinen.

Wie schützen Sie sich außerhalb des Büros davor, wieder krank zu werden?

Sich vollständig vor einem Rückfall zu schützen – das geht nicht. Aber jenseits des Jobs hat sich mein Leben tatsächlich am meisten geändert: Ich gehe bewusster mit mir selbst um, nutze die Zeit ganz anders als früher. Ich gucke kein Fernsehen, außer manchmal morgens im Hotel. Ich versuche, meine Freunde oft genug zu sehen, aber passe auch auf, dass meine Freizeit nicht zum Stress wird. Früher habe ich mir das Wochenende mit Terminen vollgeballert. Ich verbringe bewusst viel Zeit mit mir alleine und gehe manchmal am Wochenende sechs Stunden in den Wald. Das hätte ich früher völlig bescheuert gefunden – jetzt finde ich es großartig.

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