WirtschaftsWoche: Was macht den perfekten Chef aus?
Christine Koller: Den perfekten Chef gibt es nicht, aber einen guten Chef und der kann sich vor allem selbst führen: Er kennt seine Ziele und Wünsche, tritt für sie ein, ist echt und weiß sich abzugrenzen. Auch wenn das bedeutet, unangepasst, mit Ecken und Kanten zu agieren.
Das klingt nicht nach etwas, das man lernen könnte
Doch. Ich muss dafür allerdings sehen können: Bin ich echt, habe ich Schwächen? Viele Chefs haben oftmals Tomaten auf den Augen, sitzen in ihren Abteilungen, in denen sie schalten und walten können, wie es ihnen passt, und erkennen ihre blinden Flecken nicht. Wer aber erkannt hat, wo seine persönliche Defizite liegen, dem kann ein Coach weiterhelfen.
Die Fehler der anderen sieht man in der Regel schneller als die eigenen.
Richtig, wegen des blinden Flecks. Da hilft es, wenn einen eine vertraute Person darauf aufmerksam macht: Der Partner, ein Kollege oder auch der Vorgesetzte. Auch wenn Mitarbeiter oft wechseln oder innerlich kündigen, ist das ein Warnsignal, dass etwas an meinem Führungsstil nicht stimmt.
10 Tipps für den perfekten Chef
Jeder Mensch macht Fehler, denn Menschen sind nicht perfekt. Durch diese Eigenschaft werden Menschen überhaupt erst liebenswert. Wichtig ist jedoch, dass wir um unsere Fehler wissen und Wege finden, wie diese Fehler behoben werden können. Fehler, richtig verstanden, führen zu einer Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und des Unternehmens.
Es ist daher verwunderlich, warum immer noch so viele Chefs meinen, dass sie perfekt sind. Eine solch grobe Selbstüberschätzung führt letztlich zu Arroganz und einem Stillstand an Wachstum (sowohl persönlich als auch unternehmerisch).
Darin liegt die Größe eines wirklich „perfekten“ Chefs. Er verwendet die Kenntnis seiner Fehler für die persönliche Weiterentwicklung. Gute Führungspersönlichkeiten meinen nicht, „jemand zu sein“, sondern verstehen sich als „jemand, der wird“ und zwar jeden Tag ein wenig mehr.
Eine wesentliche Eigenschaft von „perfekten“ Chefs ist, dass sie Menschen mögen. Viele so genannte Führungskräfte mögen aber nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere Menschen. Unter solchen Umständen wird Führung nur schwer möglich sein. Um exzellent zu sein, muss man das, was man tut, lieben. Und um exzellent zu führen, muss man Menschen lieben.
Der „perfekte“ Chef sagt und meint „Wir!“ und nicht „Ich!“ Er ist ein Teamspieler. Im 21. Jahrhundert werden nur Teams gewinnen und nicht Einzelspieler. Die Mondlandung beispielsweise war auch nicht das Werk eines einzelnen Menschen, sondern das mehrerer tausend Ingenieure, auch wenn die visionäre Kraft eines Wernher von Brauns dahinter stand. Aber er hätte es niemals alleine geschafft.
Der „perfekte“ Chef fordert Menschen heraus. Er will Leistung erleben und regt Menschen an, sie zu erbringen. Dabei orientiert er sich nur ungern am Durchschnitt, sondern an Spitzenleistungen. Der „perfekte“ Chef gibt sich mit dem zweitbesten Ergebnis nicht zufrieden.
Von dem Gedanken, stets der Beste in allen Bereichen sein zu wollen, müssen sich Führungspersönlichkeiten trennen. Der „perfekte“ Chef konzentriert sich auf seine Stärken und seine Hauptaufgaben.
Grundvoraussetzung eines „perfekten“ Chefs sind gelebte Werte, die von allen Mitarbeitern als Führungsgrundsätze empfunden werden. Nur so entsteht das viel geforderte Vertrauen.
Letztlich geht es um das wesentliche: Der „perfekte“ Chef bewirkt, dass Menschen Ziele erreichen. Das Wesen guter Führung ist Wirksamkeit.
Meistens halten wir unsere Meinung für die Wahrheit, basierend auf der Wirklichkeit, wie wir sie empfinden. Häufig entspricht unsere Wirklichkeit jedoch nicht der Realität. Der „perfekte“ Chef setzt sich auf den Stuhl des anderen. Wer durch die Augen anderer sieht, entdeckt eine Fülle von Wirklichkeiten.
Quelle: Perspektive Mittelstand
Unterscheiden sich männliche und weibliche Chefs in dem Punkt voneinander?
Nein, jeder hat so seine Baustellen. Was das Führungsverhalten grundsätzlich angeht, sind Männer geprägt durch unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren in der Regel neugieriger, mutiger und dominanter, wohingegen Frauen kommunikativer und stärker auf Konsens bedacht sind. Auch als Chefin. Da spielen Empathie, Emotionalität und Respekt voreinander eine große Rolle. Bei den Männern dagegen geht es sehr oft um Machtspielchen: Schnell geben Alphamännchen im Meeting beispielsweise die Idee der Kollegin als ihre eigene aus und schmücken sich mit fremden Federn. Das gehört zum Machtspiel ebenso wie der Drang, aufzufallen.
Ist dieses Verhalten für das berufliche Fortkommen gut oder schlecht?
Das ist das Spiel der Spiele. So läuft es in den Führungsriegen.
Also muss eine Führungskraft mitspielen.
Klar, sie muss die Mechanik durchschauen, das Spiel als sportliche Herausforderung sehen und mitspielen. Sich dagegen aufzulehnen, kostet viel Kraft. Jedenfalls, was die Machtspielchen in den oberen Etagen angeht. Bei den eigenen Leuten ist ein empathisches Miteinander sehr wichtig. Das fällt Frauen in der Regel leichter als Männern. Durch Empathie, kreative Handlungsspielräume , Transparenz und gezieltes Feedback lassen sich Leute deutlich besser motivieren als durch reine Autorität. Denn: Menschen wollen respektiert und wahrgenommen werden. Wer das schafft, hat seine Mitarbeiter auf seiner Seite.
Und wenn der Chef mal auf den Tisch hauen muss?
Wer empathisch führt, muss nicht auf den Tisch hauen. Durch diesen Führungsstil fühlen sich die Mitarbeiter gesehen, ziehen stärker an einem Strang, das Betriebsklima verbessert sich. Der harte Hund, der Chef von Gottes Gnaden, gehört der Vergangenheit an.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Aber es gibt doch diverse Situationen, in denen man sich durchsetzen oder unpopuläre Entscheidungen fällen muss.
Natürlich. Aber auch da helfen sachliche Argumente und Transparenz. Der Chef muss seinen Angestellten klar machen, warum er diese Entscheidung treffen muss oder warum er so handelt. Auch unpopuläre Entscheidungen können, wenn sie richtig kommuniziert werden, die Truppe zusammenschweißen und motivieren. Wenn das Vertrauen stimmt!
Der Chef von morgen ist also…
Kooperativ. Ein empathischer, kooperativer Chef, der seine Mitarbeiter kennt und ihre Bedürfnisse sieht, das ist ein guter Chef.
Wie nah sollte der Chef an seinen Mitarbeitern sein?
Das ist natürlich abhängig vom Unternehmen. In der Werbebranche oder einem IT-Unternehmen duzt man sich eher als in der Bank, da ist man sich schon näher. Aber auch im Großkonzern kann man seine Mitarbeiter fragen, wie es ihnen privat geht, und was sie am Wochenende erlebt haben.
Gibt es Grenzen?
Zu viel Nähe funktioniert nicht. Der Chef muss immer Chef bleiben und entsprechende Rahmenbedingungen vorgeben. Es geht um Interesse und Respekt, nicht um Kumpelei und ein flirtives Miteinander. Das killt das Betriebsklima auf Dauer, sorgt für Unruhe und Abwanderung.