Compliance Die Angst der Manager vor Weihnachten

Üppige Geschenke, teure Essen und VIP-Einladungen – das war einmal. Viele Unternehmen haben strenge Regeln gegen Korruption, die Manager fürchten daher üppige Präsente.

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Ein Mann steht vor einem riesigen Paket Quelle: Illustration: Daniel Stolle

Na, haben Sie auch wieder die eine oder andere Flasche Wein zu Weihnachten bekommen? Stapeln sich Adventskalender auf Ihrem Sideboard? Sind Sie vielleicht gar eingeladen zur Neujahrsmatinee von RWE oder gehen mit Adidas zu einem Spiel des FC Bayern in die Allianz Arena? Ach – was war das früher schön! Da gab es nicht nur ungleich mehr Präsente und Einladungen zu prächtigen Events als heute, man hat sie auch ohne große Bedenken angenommen. Oder schielte neidisch auf die Kiste mit dem Jahrgangschampagner, die beim Nachbarn auf dem Schreibtisch stand.

Vorbei.

Nettigkeit oder Korruption?

Heute plagt einen schnell das Gewissen: Was nehm und geb ich, und wenn ja, wie viel? Wann wird Nettigkeit zur Korruption – oder richtig peinlich, wenn sie publik wird?

Die Angst geht um in deutschen Büroetagen: War es Unternehmen nach deutschem Recht bis 1999 sogar möglich, Bestechungsgelder von der Steuer abzusetzen, weiß heute kaum jemand mehr, wann Firmenpräsente oder Einladungen noch im Rahmen des Erlaubten sind oder wann sie anrüchig werden – gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit. Aber auch im Rest des Jahres. Wo in früheren Jahren unternehmensinterne Poststellen körbeweise Präsente in die Büros karrten, herrscht nun gähnende Leere. Gehörte die sündteure Cohiba noch vor wenigen Jahren zum standesgemäßen Abschluss eines Geschäftsessens, werden Einladungen zum Essen heute schon mal abgesagt, weil sich durch einen Anruf im Sterne-Restaurant herausstellt, dass das Menü, das anlässlich der Einladung kredenzt werden soll, 200 Euro kostet. Findet das Geschäftsessen doch statt, endet es nicht selten mit getrennten Rechnungen – jeder bezahlt für sich.

Keine konkreten Euro-Limits

Der Grund: Zwar ist klar, dass Unternehmen Geschenke bis zu einem Wert von 35 Euro von der Steuer absetzen können. Ab wann genau das Geben oder Annehmen von Präsenten aber strafbar ist, ist nicht eindeutig geklärt. Konkrete Euro-Limits schreibt das deutsche Recht nicht vor, in jedem Land gelten andere Schenksitten. In letzter Instanz entscheiden Richter oder Staatsanwalt, was angemessen war.

Während Unternehmen in China bei Parteivertretern mit ihren Anliegen meist nur mit teurem Likör und Luxuszigaretten durchdringen und umgekehrt Geschäftspartner brüskiert wären, würden deren Geschenke mit Hinweis auf Antibestechungsrichtlinien abgelehnt, gehen Unternehmen in den USA dazu über, gar nichts mehr zu schenken. Sie empfehlen stattdessen das Versenden von Weihnachtskarten, verbunden mit einer Spende an eine Wohltätigkeitsorganisation. „Damit“, sagt Robby Narcisse, Compliance-Beauftragte des Frankiermaschinen-Herstellers Pitney Bowes, „kann man gar nichts falsch machen“.

Zauberwort Compliance

Gepflogenheiten und Vorschriften, die auch auf ausländische Unternehmen rückwirken. Und aus Sicht von Kai Bussmann, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Halle-Wittenberg, eine Art „weltweites Wettrüsten der gesetzlichen Korruptionsbekämpfung“ anstoßen. Jüngstes Beispiel: der UK Bribery Act, der es der britischen Justiz möglich macht, jedes deutsche Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zur Insel wegen Korruption zu belangen.

Um irreparablen Imageschäden vorzubeugen und existenzgefährdende Geldbußen zu verhindern, gehen auch deutsche Unternehmen inzwischen auf Nummer supersicher. Compliance heißt das moderne Zauberwort, es steht für „Regeltreue“ oder „Wohlverhalten“. Neben dem Kampf gegen die Schmiererei geht es um fairen Wettbewerb, seriöse Produkte oder Datenschutz. Früher galt der ehrbare Kaufmann als Ideal, heutzutage hat man „compliant“ zu sein. Darum müht sich hierzulande schon jedes zweite Unternehmen, ermittelte die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) in ihrer jüngsten Umfrage zu Wirtschaftskriminalität unter 830 Unternehmen, vor allem aus Angst vor straf- oder zivilrechtlichen Folgen (siehe Grafik). Sie berufen Compliance-Chefs auf Top-Managementebene, bauen Compliance-Abteilungen mit bis zu einigen Hundert Mitarbeitern auf, installieren Ombudsleute, machen für alle Mitarbeiter Schulungen zur Pflicht, richten Datenbanken und Kontrollen ein.

Code of Conduct

Allianz-Arena Quelle: dapd

Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik hat einen Code of Conduct entwickelt, in dem sich Unternehmen wie ThyssenKrupp, Allianz, Henkel oder Fraport verpflichten, Geschenke grundsätzlich abzulehnen. Demnach dürfen Geschäftsführung und Mitarbeiter „im Geschäftsverkehr keine Geschenke, Zahlungen, Einladungen oder Dienstleistungen anbieten, versprechen, fordern, gewähren oder annehmen, die mit der Absicht gewährt werden, eine Geschäftsbeziehung in unzulässiger Weise zu beeinflussen, oder bei denen die Gefahr besteht, die professionelle Unabhängigkeit des Geschäftspartners zu gefährden“.

Ab kommendem Jahr will auch der Energiekonzern RWE, der seine Mitarbeiter jüngst per Informationsstand vor der Kantine für das Thema sensibilisierte, per Rundschreiben Lieferanten und Geschäftspartner darauf aufmerksam machen, dass von Weihnachtspräsenten bitte Abstand zu nehmen sei. Er freue sich, „dass in den vergangenen Jahren keine wesentlichen Korruptionsvorfälle oder sonstige Compliance-Verstöße festgestellt wurden“, verkündete der noch amtierende RWE-Chef Jürgen Großmann mittels Internet-Botschaft.

Die Deutsche Telekom, Sponsor des Rekordmeisters Bayern München, hat kürzlich ihre exklusiven VIP-Logen in der Allianz Arena aufgegeben. „Einladungen im Gegenwert von 800 Euro pro Kopf wollte keiner unserer Manager mehr aussprechen“, sagt Telekom-Sponsoringchef Stephan Althoff. „Es finden sich auch immer weniger Gäste, die sie annehmen.“

Angemessen

Seine Mitarbeiter brachte er in mehreren Meetings auf Kurs, dort wurde ihnen die neue „Event-Policy“ eingebläut: Mehr als 350 Euro pro Kopf darf die Bespaßung von Telekom-Geschäftspartnern nicht mehr kosten. Bei Amtsträgern liegt die Schmerzgrenze weit darunter.

Beim Energiekonzern E.On liegt diese Schmerzgrenze schon bei 50 Euro. Geschenke, deren Wert darüber hinausgeht, sind mit dem Chef oder Compliance-Manager abzusprechen. Aber auch unterhalb des Limits müssen Einladungen und Geschenke angemessen und üblich sein. So will es die „Leitlinie Zuwendungen“, eine zwölfseitige Anlage zum Verhaltenskodex des Unternehmens.

Neun Millionen Euro Strafe

„Um den Ruf nicht zu gefährden, geben sich viele strengere Regeln, als es strafrechtlich nötig wäre“, sagt Steffen Salvenmoser. Der einstige Staatsanwalt steht heute als Experte für Kriminaltechnik in Diensten der Unternehmensberatung PwC.

Eine Entwicklung, die auch als Reaktion auf schmerzhafte Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit zu verstehen ist: Im Oktober brummte das Bundeskartellamt dem Familienunternehmer Krüger aus Bergisch Gladbach und Kraft Foods neun Millionen Euro Strafe wegen unerlaubter Preisabsprachen bei Cappuccino auf. Industriedienstleister Ferrostal einigte sich mit der Staatsanwaltschaft München auf eine Strafzahlung von 150 Millionen Euro als Folge einer 2009 aufgeflogenen Schmiergeldaffäre. Millionenverluste machte dadurch auch Ferrostal-Mutter MAN, die den Verkauf des krisengeschüttelten Unternehmens gerade rückabwickeln musste. Und Henkel wurde vor Kurzem von der französischen Wettbewerbsaufsicht wegen Preismauscheleien bei Waschmitteln zu 92 Millionen Euro Bußgeld verurteilt.

Eintrittskarten

Siemens-Aktionäre Quelle: dpa

Dass manchmal auch ein paar Eintrittskarten für einen Riesenwirbel sorgen können, musste vor sechs Jahren schon Utz Claassen erfahren: Der Ex-Chef des Energiekonzerns EnBW hatte mit der Weihnachtspost 2005 Gutscheine für Tickets der bevorstehenden Fußball-WM in Deutschland verschickt – an den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und fünf seiner Kabinettskollegen – und war prompt in die Schusslinie geraten. Was Claassen als nette Geste verstanden wissen wollte, interpretierte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe als unerlaubte Vorteilsgewährung und begann mit den Ermittlungen. Auch wenn Claassen im Prozess 2008 freigesprochen wurde – der Fall hatte die Unternehmenswelt aufgeschreckt. Ebenso die Enthüllungen bei Siemens im Jahr zuvor: Beim einstigen Vorzeigekonzern kam 2006 ans Licht, dass Siemens ein System geheimer Kassen für Schmiergeldzahlungen unterhielt, um international an Aufträge zu kommen. Den einstigen Vorzeigekonzern kostete das seinen guten Ruf, fast drei Milliarden Euro Strafe und Nachzahlungen. Und den damaligen CEO Klaus Kleinfeld sowie seinen Vorgänger und damaligen Aufsichtsratschef Heinrich v. Pierer Amt und Würde.

Eine Situation, die Peter Löscher in seiner Amtszeit nicht erleben möchte. Der 2007 installierte Siemens-Chef bürstet den Konzern seit seinem Amtsantritt weltweit auf Tugend, positioniert das Unternehmen als Mutter des organisierten Wohlverhaltens. Geschätzt 100 Millionen Euro im Jahr lassen sich die Münchner die Compliance kosten, rund 600 Menschen sind im Einsatz, um mehr als 400.000 Mitarbeiter an die Kandare zu nehmen.

Auch nach außen vermarkten sie das eigene System nach Kräften. Kein Podium, kein Bericht zum Thema Compliance ohne Siemens – Ziel ist Imagepflege bei den Kunden genau wie Wohlwollen seitens der Behörden und die Gunst von Investoren.

Eindrucksvolles Regelwerk

Das Regelwerk ist eindrucksvoll. Allein das Policy & Control Masterbook von Siemens definiert mehr als 740 konzernweit gültige Vorschriften. Das Business Partner Compliance Due Diligence Tool, ein hauseigenes Computerprogramm, prüft Tausende Geschäftspartner mit ihren Risikofaktoren wie Marktbesonderheiten, Transaktionsvolumina oder Kontakten zu Behörden. Selbst Weihnachten ist bei Siemens standardisiert, zumindest wenn es um den Umgang mit Amtsträgern geht, also um Politiker, Beamte, Richter oder auch Privatpersonen, die Aufgaben in öffentlich-rechtlichen Organisationen wahrnehmen. Wer sie beschenkt oder einlädt, setzt sich schnell dem Risiko der versuchten Bestechung aus. Ob in der Zentrale in München oder im fernen Peking: Siemens-Mitarbeiter müssen jede Zuwendung in der eigens dafür erstellten Gifts- and Hospitality-Scorecard eintragen.

Die Abschreckung bei Siemens scheint zu funktionieren: Kontrollen gelten als hart, Betroffene berichten von „FBI-Methoden“, wenn die internen Ermittler anrücken. „Wir gehen jedem Hinweis auf Verletzung der Regeln sorgfältig nach“, sagt Klaus Moosmayer, in dessen Ressort die Untersuchungen fallen, „in 50 Prozent der Fälle können wir Entwarnung geben.“

448 Compliance-Verstöße

Doch immer wieder knallt es auch: 448 Compliance-Verstöße bilanzierte Siemens im Jahr 2010, 108 führten zum Rauswurf. Diesen Sommer traf es drei Vertriebsmanager in Kuwait, gegen sie wird wegen Bestechung ermittelt. Und im Oktober flog der Landeschef in Brasilien, weil er gegen interne Regeln verstoßen haben soll.

Um Regeln über den Umgang mit Geschäftspartnern unter die Belegschaft zu bringen, muss sich jeder deutsche Vertriebsmanager Quartal für Quartal durch eine Online-Schulung klicken, inklusive Fallbeispiel zur Lernkontrolle. Wer durchfliegt, muss noch mal ran. Es folgt die Erklärung, dass er sich in den vergangenen drei Monaten gesetzestreu verhalten hat, dann darf er wieder raus an die Verkaufsfront.

Persönlicher Austausch

Unternehmenszentrale der Robert Bosch GmbH Quelle: dapd

Statt ihre Kollegen nur am Computer pauken zu lassen, setzt Susanne Jochheim auf persönlichen Austausch. Unter vier Augen will die Leiterin der Legal-Compliance-Abteilung des Automobilzulieferers Robert Bosch mit den Mitarbeitern sprechen. Gerade einmal sieben Kollegen zählt Jochheims Truppe in der Zentrale, dazu kommen Beauftragte in den Außenstellen. Sie werben in der Mitarbeiterzeitschrift um Vertrauen, nächstes Jahr stehen persönliche Schulungen für mehr als 12.000 Beschäftigte in Deutschland an. Jochheims Gretchenfrage zum Compliance-Selbsttest: „Schämst du dich, wenn es deine Mutter morgen in der Zeitung liest? Dann lass es sein!“

Für Rewe-Kommunikationschef Martin Brüning bietet Compliance Mitarbeitern in erster Linie Sicherheit. Der Handels- und Touristikkonzern ist Trikotsponsor des Fußballbundesligisten 1. FC Köln. „Was tun, wenn mich der FC ins Trainingslager einlädt?“, fragte er intern nach. „Dankend ablehnen“, entschied die Compliance-Abteilung, und das Thema war durch.

Verbindliche Richtschnur für die Rewe-Mitarbeiter ist ein mit dem Betriebsrat abgestimmter Verhaltenskodex, auf dessen Einhaltung neben Compliance-Leiter Volker Dürschlag auch ein Rechtsanwalt als externer Ombudsmann wacht, an den sich Mitarbeiter und Dritte in Verdachtsfällen wenden können. Ein Compliance-Management-System hilft Konzern-Mitarbeitern auch im Ausland, die Regeln einzuhalten. Die Fortschritte dabei sind Bestandteil der Zielvereinbarungen mit den 22 Bereichsführungskräften, die neben den vier zentralen Compliance-Managern für das Thema zuständig sind. „Trotzdem ist man vor krimineller Energie niemals ganz gefeit“, sagt Rewe-Manager Brüning.

Aufforderung zum Petzen

Das bestätigt auch der jüngste Fall im Hause Metro: Ließen sich doch Mitarbeiter der Konzerntochter Media Saturn offenbar jahrelang von Breitband-Anbietern schmieren, um in den Märkten zum Zuge zu kommen. Der im Oktober suspendierte Deutschland-Chef von Media Markt sitzt seit November in Haft.

Aufgeflogen war der Mann durch einen internen Tipp. Ein System, mit dem auch das Energieunternehmen MVV Energie aus Mannheim gute Erfahrungen gemacht hat. „Ich war erst skeptisch“, sagt MVV-Chefsyndikus Martin Auer, „weil ich fürchtete, das würde eine Hotline für Gerüchte und Petzerei. Aber es kommen fast ausschließlich gute Hinweise, wir klären dadurch im Schnitt einen harten Korruptionsfall pro Jahr.“

Fingerspitzengefühl

Dass gerade komplexe Strukturen Fingerspitzengefühl verlangen, zeigt ein Blick auf die SMS Group, ein Konglomerat aus Firmen im Maschinen- und Anlagenbau mit knapp 11.000 Beschäftigten und drei Milliarden Euro Umsatz. Weltweit sind 30 Mitarbeiter nebenbei für Compliance zuständig. 2011 habe man „fünf bis sechs Mannjahre in das Thema investiert“, sagt der Generalbevollmächtigte Meinhard Remberg. Diese dezentrale Struktur macht Compliance Management besonders schwer. In vielen, oft mittelständisch geprägten Firmen der Gruppe muss er bei dem Thema um Verständnis werben – und setzt dabei auf Rückhalt von ganz oben.

Das empfiehlt Remberg auch den Mittelständlern aus dem Branchenverband VDMA: „Wenn sich ein Chef vor seine Leute stellt und sagt: ,Ich will nicht, dass wir Aufträge durch unsaubere Methoden erlangen‘, ist das wirksamer als jede PowerPoint-Präsentation zur Korruptionsbekämpfung.“

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