WirtschaftsWoche: Justizminister Heiko Maas will den Druck auf die Betreiber von sozialen Netzwerken erhöhen, was das Löschen von Hasskommentaren und Fake News angeht. Sie sagen, derartiges betrifft auch Unternehmen, die immer häufiger von Cybermobbing betroffen sind. Was ist das?
Ruben Hofmann: Cybermobbing gegen Unternehmen ist ein vergleichsweise neues Phänomen. Den Begriff assoziiert man eher mit Schulhof und Hänseleien. Aber tatsächlich hat das wenig mit Schulhof, sondern vielmehr damit zu tun, dass im Extremfall eine Unternehmerpersönlichkeit oder eine ganze Marke angegriffen und beschädigt wird.
Wie sieht dieses Cybermobbing in der Wirtschaft aus?
Wir sind mit dem Thema das erste Mal vor allem über einen Mandanten, einen großen Windparkanlagenbauer, in Berührung gekommen. Gegen das Unternehmen wurden im Internet Hetzkampagnen veranstaltet, die sich gegen den Geschäftsführer als Person richteten.
Zur Person
Dr. Ruben A. Hofmann ist Rechtsanwalt und Salaried Partner bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in der Praxisgruppe IP, Media & Technologie. Sein Spezialgebiet ist der gewerbliche Rechtsschutz, hier insbesondere das Wettbewerbs- und Markenrecht sowie der Schutz der Unternehmensreputation.
Im Internet tauchten Websiten auf, die seinen Namen in der URL hatten, also Vorname-Nachname.to zum Beispiel – und die einem Fahndungsaufruf glichen. Da war dann ein Foto von ihm zu sehen und darüber stand: Herr soundso ist kriminell. Unter dem Foto wurde aufgelistet, welche Verbrechen er angeblich begangen habe. Gleichzeitig wurde das Vorgehen seines Unternehmens in einem anonymen Blog verunglimpft, der sich einen objektiven und seriösen Anstrich gegeben hatte.
So etwas ist doch in jedem Fall strafrechtlich relevant.
Das ist auf jeden Fall justiziabel. Zivilrechtlich kann so etwas Konsequenzen für den Täter haben. Das Problem ist allerdings, den Täter auch seiner Tat zu überführen. Solche Dinge geschehen ja in der Regel anonym. Technisch ist es faktisch kaum möglich, herauszufinden, wer eine Domain, zum Beispiel auf der Insel Tonga, registriert hat. Aber manchmal hat man ja schon so ein Gefühl, wer dahinter steckt.
Welche Formen Mobbing im Internet annehmen kann
Cybermobbing bezeichnet verschiedene Formen der Diffamierung, Beleidigung, Belästigung, Bloßstellung und Nötigung im Internet. Die Angriffe erfolgen etwa per Mail, über Messenger wie WhatsApp oder in sozialen Netzwerken.
Der Begriff bezieht sich auf das Stalking im Netz, also die Belästigung, Verfolgung oder sonstige Behelligung einer Person, etwa des Ex-Partners.
In manchen Beziehungen werden freizügige oder intime Fotos und Videos per Handy verschickt, das nennt man auch Sexting (Sex + texting (engl: simsen)). Nach der Trennung werden sie manchmal aus Eifersucht oder Wut öffentlich gemacht. In diversen Ländern und zahlreichen US-Staaten gibt es Gesetze dagegen, die Opfer schützen sollen.
Jeder hat Geheimnisse, die er nicht mit anderen teilen will. Gelegentlich werden sie böswillig veröffentlicht - „geoutet“.
Dabei werden gewalttätige Übergriffe - vom spontanen Schlagen auf die Wange bis hin zur sexuellen Nötigung - per Kamera aufgezeichnet. Das Material wird dann ins Netz gestellt und das Opfer somit erneut gedemütigt.
Wie meinen Sie das?
Man muss sich fragen: „Wer ist denn so sauer auf mich, dass er sich diese Mühe macht, eine komplette Website einzurichten?“ In diesem Fall gab es einen langjährigen Gesellschafterstreit. Wir hatten das Glück, dass es in diesem Fall viele Indizien gab, die wir in großer Fleißarbeit auflisten konnten.
So wurde in dem Blog beispielsweise Herrschaftswissen veröffentlicht: Zahlen oder Gespräche, die nur jemand kennen konnte, der in der letzten Gläubigerversammlung gesessen hat. Da konnte man dann ableiten, wer es war. Außerdem haben wir von einem forensischen Linguisten Textproben analysieren lassen, um herauszufinden, wer der Urheber war. Da wurde es schon sportlich.
Shitstorms besser aussitzen
Wie funktioniert das?
Im ersten Schritt muss die Plattform auf den diffamierenden Beitrag hingewiesen werden. Sie kontaktiert dann den User und bittet um Stellungnahme. Meistens verteidigen diese Nutzer ihre Beiträge nicht, weshalb die Plattformen diese dann löschen. Setzt sich der Urheber allerdings mit dem Vorwurf der Plattform auseinander und weist das zurück, geht es zurück an den Kläger – das kann dann zu einem richtigen Pingpong-Spiel werden.
Wenn ein Unternehmen eine einstweilige Verfügung erwirken will, worauf sollte man achten?
Man muss da schnell reagieren und am besten eine einstweilige Verfügung erwirken. Je nach zuständigem Gericht muss der Kläger vier bis spätestens acht Wochen nach dem Bemerken des Posts bei Gericht vorstellig werden, sonst wird die Dringlichkeit aberkannt. Und bis auf normalem Klageweg ein Urteil zustande kommt und der Post gelöscht wird, können Jahre vergehen, deshalb ist definitiv Eile geboten.
Ist es aussichtsreich, einen Beitrag bei der Plattform selbst als unangemessen zu melden?
Eine Mandantin von uns betreibt eine psychiatrische Einrichtung, über die jemand ein Video gedreht hat. Darin ist die Einrichtung eindeutig zu erkennen und der Urheber sagt, dass es sich hierbei um ein Konzentrationslager handele, in dem Menschen umgebracht werden. Das war keine sachliche Auseinandersetzung, sondern richtig harter Tobak. In diesem Fall haben wir den internen Weg gewählt und das Video bei Youtube gemeldet. Youtube hat den Beitrag dann auch sehr schnell gelöscht, aber darauf sollte man sich nicht verlassen.
Gerade Facebook hat häufig seltsame Ansichten, was gelöscht werden muss und was nicht: Ein Foto von einer blanken Brust verschwindet sofort, ein Hakenkreuz interessiert niemanden.
Angriffsziele von aufsehenerregenden Cyberangriffen
Im Dezember 2015 fiel für mehr als 80.000 Menschen in der Ukraine der Strom aus. Zwei große Stromversorger erklärten, die Ursache sein ein Hacker-Angriff gewesen. Es wäre der erste bestätigte erfolgreiche Cyberangriff auf das Energienetz. Ukrainische Behörden und internationale Sicherheitsexperten vermuten eine Attacke aus Russland.
Im Februar 2016 legt ein Erpressungstrojaner die IT-Systeme des Lukaskrankenhauses in Neuss lahm. Es ist die gleiche Software, die oft auch Verbraucher trifft: Sie verschlüsselt den Inhalt eines Rechners und vom Nutzer wird eine Zahlung für die Entschlüsselung verlangt. Auch andere Krankenhäuser sollen betroffen gewesen sein, hätten dies aber geheim gehalten.
Ähnliche Erpressungstrojaner trafen im Februar auch die Verwaltungen der westfälischen Stadt Rheine und der bayerischen Kommune Dettelbach. Experten erklären, Behörden gerieten bei den breiten Angriffen eher zufällig ins Visier.
In San Francisco konnte man am vergangenen Wochenende kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil die rund 2000 Ticket-Automaten von Erpressungs-Software befallen wurden. Laut einem Medienbericht verlangten die Angreifer 73 000 Dollar für die Entsperrung.
Im Mai 2015 fallen verdächtige Aktivitäten im Computernetz des Parlaments auf. Die Angreifer konnten sich so weitreichenden Zugang verschaffen, das die Bundestags-IT ausgetauscht werden. Als Urheber wird die Hacker-Gruppe APT28 vermutet, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden.
Die selbe Hacker-Gruppe soll nach Angaben amerikanischer Experten auch den Parteivorstand der Demokraten in den USA und die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampf-Stabschef John Podesta gehackt haben. Nach der Attacke im März wurden die E-Mails wirksam in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht.
APT28 könnte auch hinter dem Hack der Weltdopingagentur WADA stecken. Die Angreifer veröffentlichen im September 2016 Unterlagen zu Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von Medikamenten, mit einem Fokus auf US-Sportler.
Ein Angriff, hinter dem Hacker aus Nordkorea vermutet wurden, legte im November für Wochen das gesamte Computernetz des Filmstudios lahm. Zudem wurden E-Mails aus mehreren Jahren erbeutet. Es war das erste Mal, dass ein Unternehmen durch eine Hackerattacke zu Papier und Fax zurückgeworfen wurde. Die Veröffentlichung vertraulicher Nachrichten sorgte für unangenehme Momente für mehrere Hollywood-Player.
Bei dem bisher größten bekanntgewordenen Datendiebstahl verschaffen sich Angreifer Zugang zu Informationen von mindestens einer Milliarde Nutzer des Internet-Konzerns. Es gehe um Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter. Der Angriff aus dem Jahr 2014 wurde erst im vergangenen September bekannt.
Ein Hack der Kassensysteme des US-Supermarkt-Betreibers Target macht Kreditkarten-Daten von 110 Millionen Kunden zur Beute. Die Angreifer konnten sich einige Zeit unbemerkt im Netz bewegen. Die Verkäufe von Target sackten nach der Bekanntgabe des Zwischenfalls im Dezember 2013 ab, weil Kunden die Läden mieden.
Eine Hacker-Gruppe stahl im Juli 2015 Daten von rund 37 Millionen Kunden des Dating-Portals. Da Ashley Madison den Nutzern besondere Vertraulichkeit beim Fremdgehen versprach, erschütterten die Enthüllungen das Leben vieler Kunden.
Im Frühjahr 2016 haben Hacker den Industriekonzern Thyssenkrupp angegriffen. Sie hatten in den IT-Systemen versteckte Zugänge platziert, um wertvolles Know-how auszuspähen. In einer sechsmonatigen Abwehrschlacht haben die IT-Experten des Konzerns den Angriff abgewehrt – ohne, dass einer der 150.000 Mitarbeiter des Konzerns es mitbekommen hat. Die WirtschaftsWoche hatte die Abwehr begleitet und einen exklusiven Report erstellt.
Im Mai 2017 ging die Ransomware-Attacke "WannaCry" um die Welt – mehr als 200.000 Geräte in 150 Ländern waren betroffen. Eine bislang unbekannte Hackergruppe hatte die Kontrolle über die befallenen Computer übernommen und Lösegeld gefordert – nach der Zahlung sollten die verschlüsselten Daten wieder freigegeben werden. In Großbritannien und Frankreich waren viele Einrichtungen betroffen, unter anderem Krankenhäuser. In Deutschland betraf es vor allem die Deutsche Bahn.
Das soll jetzt besser werden: Justizminister Maas‘ Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Plattformen offensichtlich strafbare Inhalte wie Verleumdung oder Volksverhetzung innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde löschen oder User sperren müssen.
Bei Google und Facebook passiert ohne Gerichtsentscheidung häufig nichts. Dafür agieren beide sehr weitreichend, wenn eine einstweilige Verfügung vorliegt. So hatten wir für einen Mandanten eine einstweilige Verfügung gegen drei Sätze einer Behauptung auf einer Website erwirkt und Google hat die komplette Seite ausgelistet. Die war dann wegen dieser drei Sätze über Google nicht mehr zu finden. Für unseren Mandanten war das natürlich positiv, aber Google hat gleichzeitig auch etwas überreagiert.
Neben Beleidigungen von einzelnen Personen sind Unternehmen immer häufiger mit Shitstorms konfrontiert: Ein Kunde fühlt sich schlecht behandelt oder ist mit einem Unternehmen unzufrieden und der Protest verselbstständigt sich im Netz. Können Unternehmen dagegen etwas tun?
Ich kann nicht per se ein Verbot aussprechen, dass niemand etwas Böses über mein Unternehmen sagen darf. Anders ist es natürlich, wenn sich ein Shitstorm verselbstständigt und etwa aus einer Beschwerde über die Sitzbezüge der Bahn eine Beleidigung wird oder jemand zu Gewalt gegen den Vorstand aufruft. Aber ich würde nur nach reichlicher Überlegung dazu raten, gegen einen Shitstorm juristisch vorzugehen. Wer versucht, jede Aussage anzufechten, hat meistens viel Aufwand und erreicht wenig. Anders sieht es aus, wenn es bei einem Shitstorm einen Rädelsführer gibt, der die Sache immer wieder anfeuert oder Personen konkret beleidigt. Diesen kann man dann meistens belangen, wenn er ermittelbar ist. Aber natürlich ist es wichtig, die Grenze zur Meinungsäußerung zu wahren.
Also den Sturm lieber aussitzen als klagen.
Die meisten Shitstorms gehen so schnell wieder, wie sie auch gekommen sind. Deshalb rate ich dazu, so etwas in den meisten Fällen einfach auszusitzen oder durch positive Kommunikation zu überlagern. Sonst wird so ein Shitstorm schnell zu einem eigenen Medienereignis und das will wirklich niemand.