Daimler-Personalvorstand Porth "Stur seine Idee durchziehen geht nicht mehr"

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"Froh, dass die Politik das Thema Flexibilität erkannt hat"

Was muss Daimler hochqualifizierten Nachwuchskräften bieten? Reicht die Aussicht auf einen Dienstwagen – in Anbetracht von Arbeitsmodellen wie bei Google – noch aus?
Wenn ich mir die Anzahl und Qualität der Bewerbungen anschaue, machen wir offenbar vieles richtig. Wir haben deutlich mehr Bewerber als Stellen. Uns macht die Kombination vieler Vorteile attraktiv. Die Neuerfindung des Automobils, die über das reine Fahrerlebnis hinausgeht, neue umweltschonende Antriebstechnologien, die Vernetzung des Autos mit der Umwelt und den Insassen, der Weg zum autonomen Fahren - das sind alles hochspannende Themen. Die Googles und anderen IT-Konzerne dieser Welt haben sehr erfolgreiche, aber eindimensionale Geschäftsmodelle. Wir hingegen verknüpfen die reale mit der neuen, digitalen Welt – und das ist meiner Meinung nach sehr attraktiv. Von unserem traditionsreichen Unternehmen und dem weltbekannten Mercedes-Stern mal abgesehen.

Wie Daimler 2014 abgeschnitten hat

Die Politik will mehr Silicon-Valley-Atmosphäre in Deutschland. Kann dieser Wandel in Unternehmen beginnen oder müssen erst Rahmenbedingungen wie Tarifverträge angepasst werden? Mit einer starren 40-Stunden-Woche wäre das Silicon Valley nie geworden, was es heute ist.
Das lässt sich nicht nur auf die Arbeitszeit reduzieren, hier zählen mehrere Themen. Ich halte zum Beispiel die Zusammenarbeit über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg für wichtiger. Zum Beispiel haben wir in unserem Trainee-Programm CAReer jetzt ein Modul, bei dem die Teilnehmer einen Einsatz bei einem anderen Wirtschaftsunternehmen absolvieren können, um ihre Erfahrungen zu erweitern. In Sachen Flexibilität der Arbeitswelt gibt es viele rechtliche Rahmenbedingungen, die hemmen. Ich bin aber froh, dass die Politik erkannt hat, dass wir an diesem Thema nicht vorbei kommen und die Gewerkschaften in der Flexibilisierung der Arbeit nicht nur eine Bedrohung, sondern auch Chancen sehen. Ich bin noch nicht zufrieden, über welche Themen wir reden und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Wenn ich, wie es im Moment passiert, die Rahmenbedingungen für Werk- und Dienstverträge verschärfe, muss ich mir die Frage stellen, wie junge IT-Unternehmen und Start-ups mit etablierten Unternehmen zusammenarbeiten sollen. Die Regeln zwingen uns, mit solchen Unternehmen über Repräsentanten zu kommunizieren anstatt sich direkt zu unterhalten. Wenn die Art und Weise, wie so etwas in den täglichen Arbeitsablauf integriert wird, Kriterien sind, die einen Werk- oder Dienstvertrag ausschließen, dann behindern die Regeln unsere Möglichkeiten, moderne Technologien zu nutzen. Hier müssen wir die Grunderkenntnis, dass wir alle den Wandel wollen, auf die Fakten herunterbrechen, die wir wirklich ändern müssen, damit wir zu guten Ergebnissen kommen.

Darüber machen sich Unternehmer im Silicon Valley keine Gedanken.
Natürlich gibt es dort andere Themen, die man kritisch betrachten muss. Keiner will, dass unsere Mitarbeiter jetzt 24 Stunden am Tag verfügbar sind. Ich habe nichts gegen eine Höchstgrenze von zehn Stunden Arbeit am Tag. Aber wenn der Mitarbeiter die zehn Stunden nicht am Block arbeiten will oder kann, aber elf Stunden lang wegen einer gesetzlichen Zwangspause nicht arbeiten darf, hemmt das. Mit solchen Fragen müssen wir uns auseinandersetzen. Ich bin aber zufrieden, dass alle Beteiligten erkannt haben, welche Chancen in diesem Thema liegen. Wir müssen nur noch zu gemeinsamen, sinnvollen Schlüssen kommen.

Betrifft das vor allem Deutschland oder auch andere Länder, in denen Sie aktiv sind?
Deutschland und der Rest von Europa sind in diesem Punkt recht ähnlich. In den USA oder in China reden wir weniger über diese Themen. Europa ist hier sicher am schwierigsten.

Ein solches Modell kommt nicht für jeden Daimler-Mitarbeiter in Frage. In der Produktion lässt sich die Arbeitszeit nicht so einfach flexibler gestalten, weil sie an Schichten gebunden ist. Was muss sich im Bereich der Ausbildungsberufe ändern?
Das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist genial, darum werden wir in aller Welt beneidet. Die Berufsschulen und wir mit unserer technischen Ausbildung sind sehr nahe an der Realität. Wir sind immer dabei, unsere Berufsbilder anzupassen, etwa vom Mechaniker zum Mechatroniker. Aber auch dieses Berufsbild ist nicht in Stein gemeißelt. Ich bin mir sicher, dass wir genügend qualifizierte Mitarbeiter finden und unsere Ausbildung zukunftsgerecht gestalten werden, um unseren Bedarf auch in der Zukunft zu decken.

Viele Entwicklungen werden immer komplexer, von der Motorentechnik über Connectivity bis zum autonomen Fahren. Braucht ein moderner Autobauer mehr Spezialisten für die einzelnen Bereiche oder Generalisten?
Am Ende brauchen wir eine gute Mischung, um erfolgreich zu sein. Am Band hat jeder Mitarbeiter seine spezielle Aufgabe. Hätten wir dort aber nicht auch Menschen, die das Auto als Ganzes betrachten, könnten wir nicht so gute Autos bauen. Beim Thema Connectivity brauchen wir Spezialisten, die einzelne Funktionen und Geschäftsmodelle entwickeln. Aber auch den Generalisten, der das System mit den Augen des Kunden sieht – ansonsten könnten nur Spezialisten die Software bedienen. Nehmen wir ein Beispiel: Es gibt technologisch fortschrittlichere Smartphones als das iPhone. Dennoch hat es Apple geschafft, mit seinen Funktionen in der Gesamtheit eine Welt zu schaffen, für die der Kunde viel Geld ausgibt. Bei so komplexen Systemen geht das neben den Spezialisten nur mit Menschen, die den Überblick behalten und alles zu einer Vision zusammenfügen.

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