Dammanns Jobtalk

Weg von der Präsenzkultur

Angelika Dammann Strategische Beraterin, Coach

Die meisten Mitarbeiter wünschen sich flexiblere Arbeitszeit- und Karrieremodelle. Nur die wenigsten erleben sie allerdings auch in der Praxis, weil Unternehmen und Führungskräfte Angst vor Kontrollverlust haben. Und das, obwohl in einer globalen Welt mit oft nur noch virtueller Führung Kontrolle ohnehin nicht mehr möglich ist und von mehr und mehr selbstbestimmt arbeitenden Mitarbeitern auch immer häufiger abgelehnt wird…

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Die typisch deutsche Präsenzkultur hat deshalb eigentlich schon lange ausgedient: Denn auch das wachsende Heer an befristet Beschäftigten, externen Beratern, Freiberuflern und Zeitarbeitnehmern sorgt dafür, dass es in den Unternehmen mehr und mehr wie beim Tangotanzen zugeht. Immer öfter heißt es: Ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner.

Mathias Grünewald weiß, wie man Mitarbeiter motiviert und bei der Stange hält: Wenn sie Fragen stellen, lässt man sie nicht lange warten und hat ein offenes Ohr für sie, wenn es Probleme gibt, selbst wenn sie Tausende von Kilometern weit entfernt von einem arbeiten. Der Leiter des technischen Einkaufs beim Chemiekonzern Merck ist für 22 Einkäufer in Deutschland, Frankreich und den USA der direkte Vorgesetzte. Mit insgesamt 70 Einkäufern in Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien arbeitet er projektweise zusammen.

Mitarbeiter-E-Mails sind binnen 12 Stunden zu beantworten

Der 48-jährige kommuniziert überwiegend per E-Mail. Um seinen Mitarbeitern „die nötige Wertschätzung auszudrücken“ folgt der Manager dabei einem festen Vorsatz: Jede Mitarbeiter-Mail muss binnen zwölf Stunden beantwortet sein. Kein Kinderspiel, schließlich arbeiten Grünewalds Leute Tag und Nacht. Sein eigener Arbeitstag beginnt mit dem Abarbeiten der E-Mails seiner Einkäufer in Indien und China, die über Nacht in seinem E-Mail-Account aufgelaufen sind. Und wenn der Manager abends von der Arbeit nach Hause kommt, setzt er sich häufig noch einmal an den Rechner, um die Mails der US-Kollegen zu beantworten, bei denen es dann gerade Nachmittag ist.

Führungskräfte brauchen ein hohes interkulturelles Verständnis im globalen Miteinander

Das Beispiel von Grünewald und seinem Team zeigt, dass Mitarbeiter nicht alle zum gleichen Zeitpunkt tätig sein müssen, um erfolgreich zusammenzuarbeiten. Wer seine Mitarbeiter allerdings nicht jeden Tag sieht, muss als Führungskraft mit viel Selbstdisziplin und interkulturellem Verständnis dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter sich trotz der Distanz emotional aufgehoben und verstanden fühlen, aber auch dafür, dass der Gesprächsfaden nie abreißt. 

Grünewalds Arbeitgeber Merck achtet deshalb schon bei der Auswahl seiner Führungskräfte darauf, dass sie zur Selbstreflexion und zu Perspektivwechseln fähig sind. Wer überwiegend virtuelle Teams steuert, muss in der Lage sein, anderen klare Ziele zu setzen, die ergebnisorientiert und messbar sind und die klar bewertet werden können, damit am Ende das übergeordnete Unternehmensziel erreicht wird. Das setzt jedoch auch voraus, dass sich die Manager selbst kritisch hinterfragen: In welcher Situation steckt der andere gerade? Habe ich die kulturellen Rahmenbedingungen bei meinen Aufgabenstellungen ausreichend bedacht? Und wenn es zu Konflikten kommt, sich selbst zu hinterfragen: Hat der andere mich richtig verstanden und war er überhaupt in der Lage, auf meine inhaltliche Ausrichtung adäquat zu reagieren?

Erst nach Macht streben, dann auf Moderator umschalten

Im internationalen Geschäft wissen Unternehmen schon seit längerem, dass ihr Erfolg von Managern abhängt, die mit Durchsetzungsvermögen und dem nötigen Willen zur Macht auf der Karriereleiter aufsteigen, die aber – sobald es die Führungsposition verlangt – dann auch in der Lage sind, auf die Rolle des Moderatoren umzuschalten und mit Empathie ihre weit verstreuten Teammitglieder für die gemeinsame Sache zu begeistern. Seitdem der Trend zum projektorientierten Arbeiten die Hierarchien in immer kurzfristigeren Rhythmen durcheinanderwirbelt, wird immer deutlicher, dass das, was Mathias Grünewald praktiziert, künftig alle Führungskräfte aus dem Effeff beherrschen müssen. Wo lose, flexiblere und kurzfristigere Bindungen die einst so festen Arbeitsverhältnisse ersetzen, springen Manager mit Kommandoton, Hierarchie- und Abteilungsdenken zu kurz. Stattdessen gilt es Selbstständigkeit zuzulassen, sich klar auf eine Ergebniskultur zu fixieren, Beziehungen zu managen und jenseits von Linienfunktionen oder Bereichszugehörigkeiten durch Einflussnahme zu führen und genau zu verstehen, wer was mit welchem Talent, welcher Fachspezialisierung und welchem Zeitbudget zu leisten in der Lage ist.

Emotionale Bindung von Mitarbeitern

Ein Team an Arbeitskräften steht hinter dem Manager Quelle: Fotolia

In derart komplexen Organisationen kann das flexible Zusammenspiel der Beteiligten nur an Stabilität gewinnen, wenn sich Führungskräfte und Mitarbeiter emotional mit dem Unternehmensziel verbunden fühlen. Genau diese emotionale Verbindung ist vielen Beschäftigten aber in den letzten Jahren mehr und mehr abhanden gekommen. Die aktuelle Gallup-Studie unter mehr als 1.300 Arbeitnehmern ergab, dass 92 Prozent der Beschäftigten in Deutschland aktuell mit ihrem Job zufrieden sind, was den Arbeitsinhalt angeht. Trotzdem sagen sich 63 Prozent: „Ich mache nur Dienst nach Vorschrift. Mehr Engagement darüber hinaus hast Du – mein lieber Arbeitgeber – gar nicht verdient.“ Lediglich 14 Prozent stehen ihrem Unternehmen gefühlsmäßig so nahe, dass sie bereit sind, für ihn ihr Bestes zu geben. Betonten 2001 bei der gleichen Umfrage 15 Prozent, dass sie bereits innerlich gekündigt hätten, ist die Quote der versteckten, weil völlig frustrierten Leistungsverweigerer in den letzten zehn Jahren auf 23 Prozent angestiegen, d.h. beinahe jeder 4. Mitarbeiter in deutschen Unternehmen hat bereits innerlich gekündigt. Der Frust hat für die Unternehmen handfeste finanzielle Konsequenzen. Laut Unternehmensberatung Gallup haben Mitarbeiter ohne emotionale Bindung im Schnitt 3,5 Fehltage mehr als solche, die sich ihrem  Unternehmen verbunden fühlen, von den Produktivitätsverlusten für die Unternehmen einmal ganz abgesehen.

Mitarbeiter brauchen menschliche Zuwendung und mehr Zeitsouveränität

Als Ursache des Übels führt Gallup das Verhalten der Chefs an, das die Mitarbeiter demotiviere. Zu wenig Lob, zu wenig Einfühlungsvermögen legten die Führungskräfte an den Tag. Viele Mitarbeiter litten vor allem darunter, dass sich ihre Chefs nur unzureichend für „den Menschen“ hinter der Funktion interessierten. Gleichgültigkeit und Millionenverluste sind aber längst nicht nur die Folge von individuellen Führungsdefiziten, auch wenn Unternehmen durch unzureichend flexible Arbeitszeit- und Karrieremodelle zu wenig Rücksicht auf die Interessen der Mitarbeiter nehmen und so  systematisch demotivieren.

Auch wenn in der Presse viel über familienfreundliche Arbeitszeiten geschrieben wird, von wirklicher Arbeitszeitflexibilität kann in vielen Unternehmen bislang noch keine Rede sein. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten etwa 58 Prozent der Beschäftigten 2010 in einem starren Modell. Wann sie das Büro betreten und wieder verlassen dürfen, schrieb ihnen ihr Arbeitgeber strikt vor. Lediglich etwa ein Drittel aller Beschäftigten hatten Einfluss auf ihre Zeiteinteilung, beispielsweise über Arbeitszeitkonten. Sie hatten in einer Kernzeit anwesend zu sein, mussten ansonsten aber nur eine Gesamtstundenzahl vorweisen können.

Kein Wunder, dass immer mehr Arbeitnehmer die starren Arbeitzeitregelungen als erdrückendes Korsett empfinden. Laut Zukunftsinstitut erwarten drei von fünf Studenten von ihrem künftigen Arbeitgeber, ihre Tätigkeit unabhängig von Arbeitsort und Arbeitszeit verrichten zu dürfen. Der Studie „work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten“ zufolge sagen 94 Prozent der Menschen, dass sie ihre besten Ideen an völlig anderen Orten haben als an ihrem Arbeitsplatz. 17 Prozent sind auf dem Sofa besonders kreativ, 14 Prozent kommen in der Dusche auf ihre besten Ideen und 12 Prozent beim Sport. Diese Kreativität und Innovationskraft für sich nutzbar zu machen, fällt aber offensichtlich gerade deutschen Unternehmen besonders schwer. Die Unternehmen schaffen es einfach nicht, sich dazu durchzuringen, ihren Mitarbeitern Zeitsouveränität zuzugestehen und sie statt an der Präsenz ausschließlich an den erreichten Ergebnissen zu messen.

Lenins Leitspruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ schadet Firmen

Um von der typisch deutschen Präsenzkultur Abschied zu nehmen, Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen wahrzumachen, fehlt ihnen das Vertrauen, dass Menschen gerne etwas leisten, sich einbringen und entfalten wollen. Stattdessen hält man lieber an Lenins Leitspruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ fest. Zum Schaden der Unternehmen. Zumal es Führungskräften heute gar nicht mehr so leicht fällt, zu definieren, wer zu ihren Mitarbeitern zählt und wer nicht. Externe Berater, Mitarbeiter von Partnerunternehmen oder auch vorübergehend engagierte Projektmitarbeiter mischen sich immer häufiger unter die Festangestellten, betont das Zukunftsinstitut in seiner neuesten Studie „work:design – Die Zukunft der Arbeit gestalten“. Die Forscher rund um den Zukunfts- und Trendguru Matthias Horx verweisen auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen bereits ein Viertel aller Erwerbstätigen mittlerweile in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dazu zählen etwa Zeitarbeitnehmer oder befristet Beschäftigte, die nicht selten hochqualifizierte Arbeit leisten. Das alte Bild, dass Kooperation und Bindung auf der Basis langfristiger und vor allem planbarer Strukturen entsteht, kommt also ohnehin immer mehr ins Wanken. Stattdessen entwickeln sich neue dynamischere Organisationsmodelle, in denen intensives Miteinander und lockere Kooperation in raschem Wechsel möglich sind und Menschen auch dann Verbindungen halten können, wenn die Distanz am größten ist.

Immer öfter heißt es: Ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner

Wie sich diese neuen Beziehungsmuster organisatorisch bereits heute schon in die deutsche Arbeitswelt integrieren lassen, zeigt das Netzwerk KIM Kooperationsinitiative Maschinenbau. Der Zusammenschluss von kleinen und mittelgroßen Unternehmen sowie zwei Universitäten aus dem Raum Braunschweig umfasst insgesamt rund 6.000 Mitarbeiter. Die Unternehmen und Unis tauschen flexibel ihre Mitarbeiter untereinander aus. Kurzarbeit und Entlassungen lassen sich so vermeiden und die Mitarbeiter lernen die Abläufe in anderen Unternehmen kennen und erweitern gleichzeitig ihre Fachkompetenz.

Das Zukunftsinstitut vergleicht die Manager von morgen denn auch mit argentinischen Tango-Tänzern: Statt sich über die neue Arbeitswelt als Taubenschlag zu beklagen, sollten die Führungskräfte das Wechselbad zwischen intimer Nähe und weiter Distanz besser zu ihrer neuen Leidenschaft erklären: „Immer öfter heißt es: ein neues Stück, ein neuer Tanzpartner – ohne dabei den bisherigen Tanzpartner zu vergrämen, sondern im Gegenteil dieses Wechselspiel nicht nur zu beherrschen, sondern zu genießen“.

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