Das Wulff-Syndrom Warum Macht Politiker und Manager verblendet

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Befriedigung eigener Bedürfnisse

Illustration Mann in Krone Quelle: Illustration: Thomas Fuchs

Kurz vor Ende des Versuchs reichte Gruenfeld jeder Gruppe einen Teller mit fünf Keksen. Ergebnis: Wer zuvor Macht erhalten hatte, nahm sich mehr Kekse als die anderen, kaute häufiger mit offenem Mund und bekrümelte den Tisch. Gruenfeld zufolge passiert Folgendes, wenn Menschen Macht erlangen: Einerseits konzentrieren sie sich mehr auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und weniger um die ihrer Untergebenen. Andererseits scheren sie sich selbst weniger um jene Regeln, deren Einhaltung sie von allen anderen allerdings erwarten.

„Führungskräfte sind Vorbilder“, sagte der damalige Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel einst in der Mitarbeiterzeitung. Im Februar 2008 durfte er die Aussage bereut haben: An einem trüben Donnerstagmorgen durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei seine Villa wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.

Imagepflege

Zumwinkel verlor nicht nur seinen Posten, auch gesellschaftlich fiel er tief. Das Gericht verurteilte ihn außerdem zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und mehr als einer Million Euro Geldstrafe, sein Bundesverdienstkreuz gab der einstige Vorzeigemanager zurück. Deutschland kehrte er den Rücken, heute lebt er zurückgezogen in Norditalien, verschanzt hinter den dicken Mauern einer mittelalterlichen Burg, verbittert und von vielen ehemaligen Weggefährten gemieden.

Doch längst nicht immer mündet Machtmissbrauch in sozialer Ächtung. Der Sozialpsychologe Gerben van Kleef von der Universität von Amsterdam ist davon überzeugt, dass offensichtliche Missachtung jeglicher Anstandsregeln dazu beiträgt, dass der Querschläger sein Image pflegt. „Regelbrecher wirken mächtiger“, sagt van Kleef, „weil sie den Eindruck machen, sie könnten sich alles erlauben.“

Autoritär-cholerisch

So wie James Cayne. Als im Juli 2007 in den USA die Finanzkrise losbrach, meldete die Investmentbank Bear Stearns Milliardenverluste. Bank-Chef Cayne brachte das nicht aus der Ruhe: Während sich die Katastrophe anbahnte, saß er nicht im Büro – sondern bei einem Bridge-Turnier. Ohne Handy, ohne Internet-Zugang. Als Bear Stearns im März 2009 kurz vor dem Bankrott stand, hatte Cayne ebenfalls etwas Wichtigeres zu tun: In Detroit nahm er an den nordamerikanischen Bridge-Meisterschaften teil.

Natürlich gewinnen Manager viel Zeit, wenn sie Entscheidungen alleine oder nur im engsten Führungszirkel treffen. Doch verlieren sie dadurch etwas viel Kostbareres: die Loyalität ihrer Mitarbeiter. Daran scheiterte auch Léo Apotheker. So brillant er fachlich war, so schwierig war er menschlich. Schon als SAP-Boss mangelte es ihm an der Unterstützung der Mitarbeiter – woran sein autoritär-cholerischer Führungsstil sicher nicht unschuldig war. Im Februar 2010 musste er seinen Posten als SAP-Vorstandssprecher räumen – nach weniger als einem Jahr. Auch seine Amtszeit als CEO von Hewlett-Packard endete nach elf Monaten.

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