Der Jargon der Wirtschaft „Die meisten Manager reden erschreckend einfallslos“

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„Soft skills“ und „hard facts“

Misstrauen von oben?
Von allen Seiten, es ist ein systemisches Misstrauen. Jeder muss sich fortlaufend legitimieren: der Kollege vor dem Projektleiter, der Partner vor den Mitgesellschaftern, der Vorstandsvorsitzende vor den Eigentümern. Wenn ich aber in einem Dauermodus der Rechtfertigung bin, versuche ich mich zu schützen: in einer Sprache, die verschachtelte Satzungetüme baut und Sperrgut aus Leerformeln auftürmt. Diese leblose, sprachliche Neutralität kommt aus der Angst, nur ja nichts Falsches zu sagen, sich keine Blöße zu geben.

Also hält man sich ausschließlich an Fakten. Warum nicht?
Auch die gehören zur Lebenswirklichkeit eines Unternehmens. Aber nicht nur. Mir liegt daran, dass unser Sprechen nicht ohne Not beschränkt wird. Und zwar nicht weil dadurch viele schöne Aspekte gelingenden Redens verloren gehen. Sondern weil so entscheidende Eigenschaften des Lebens und der Arbeitswirklichkeit ausgeblendet werden. Weil die echten Schwierigkeiten einer Organisation so oft nicht zu erkennen sind. Weil Menschen am besten „funktionieren“, wenn sie nicht nur funktionieren sollen.

Wie soll es denn sonst gehen?
Es ist ein merklicher Unterschied, ob ich die Identität einer Marke anhand von Performance-Gewinnen und Reichweiten-Analysen aufschlüssele oder eine Geschichte zum Unternehmen erzähle. So wie Menschen über sich Auskunft geben, indem sie berichten, was sie erlebt haben und in welchem Verhältnis sie dazu stehen. Das können die wenigsten Manager, auch wenn sie gerade erst einen Kurs im „Storytelling“ besucht haben.

Also mehr „soft skills“ statt „hard facts“?
Die Differenz von „hard facts“ und „soft skills“ kennzeichnet die Lebenswirklichkeit nicht. Sie ist einer Verlegenheit geschuldet. Die sogenannten „weichen Faktoren“ in einem Unternehmen sind knallharte Wirklichkeiten. Das spürt man sofort, wenn sie mitverantwortlich sind für messbar schlechte Leistungen und Resultate, weil sich über Jahre atmosphärische Verstimmungen aufgestaut haben oder weil das Gespräch in einem Wust von Kommunikationsregeln erstickt ist. Für viele beginnt dann ein operatives Problem. Sie verstehen nicht, wie sich solche Zustände bearbeiten lassen. Gerade wenn ihnen jenseits von Zahlen und Fakten die Worte fehlen. Ich stelle bei Managern oft einen erstaunlichen Mangel an Urteilskraft dort fest, wo sie sich nicht auf die Analyse von Zahlen und in die Funktionsroutinen zurückziehen können. Das hat auch mit Spracharmut zu tun. Führungsfähigkeit beruht auf Sprachfähigkeit. Und die wiederum verlangt überzeugende Haltungen. Erst so entstehen starke Geschichten, die sich zum Leben hin öffnen…

...Geschichten, wie sie Steve Jobs erzählt hat?
Darin war er genial: Jobs hat immer wieder mit „dem nächsten großen Ding“ gespielt und nie alles verraten, eindeutig gemacht, aufgelöst in seine Funktionen. Zahlen dagegen kennen kein Geheimnis. Sie sind nur manchmal rätselhaft.


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Mag sein, aber was ist so schlimm an der von Ihnen kritisierten Sprache? Nehmen wir Schaden an unserer Seele?
Ja, weil unsere Welt durch diese angstgelenkte Reduktion der Sprache sehr viel kleiner und ärmer wird. Der alte Satz von Ludwig Wittgenstein, dass die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten, heißt, übertragen auf die Wirtschaft: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Erfolgs. Das ahnen viele Manager. Spätestens wenn die üblichen Steuerungsinstrumentarien nicht mehr greifen. Dann rächt es sich, dass ihnen für die nicht funktionalen Dimensionen eines Unternehmens die angemessene Sprache fehlt und mit ihr die entsprechende Form des Denkens.

Mehr zum Thema: Chefs, die nicht führen können – warum mehr Frauen helfen würden und Psychopathen nur richtig eingesetzt werden müssen.

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