Die letzten Unternehmer der Krupp-Dynastie "Ich lebe in der Zukunft"

Eckbert und Friedrich von Bohlen sind die letzten Unternehmer der Krupps. Nach etlichen Rückschlägen wollen sie noch mal durchstarten.

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ThyssenKrupp hat weitere Sparmaßnahmen angekündigt. Quelle: dpa

Nur mit Mühe hält es Friedrich von Bohlen und Halbach auf dem Stuhl, wenn er über sein Unternehmen Molecular Health redet. Das Jackett hat er gleich abgelegt, eine Krawatte gar nicht erst angezogen. Schließlich springt er doch auf in der Heidelberger Zentrale, wo die Besprechungszimmer Palo Alto oder Houston heißen, läuft an der gläsernen Wand entlang und holt ein Flipchart zu Hilfe, auf das er aus dem Stegreif Genom-Strukturen aufmalt. Mit computergestützter Analyse will er nicht weniger als eine Revolution in der Medizin vorantreiben.

„Ich lebe in der Zukunft“, sagt der 53-Jährige.

Die Geschichte der Krupp-Firmenleitung

Sein Cousin Eckbert von Bohlen und Halbach, 59 Jahre alt, residiert in einem Reservat der Fünfzigerjahre – im obersten Stock eines Essener Hochhauses, in dem schon sein Vater sein Büro hatte. Eckbert arbeitet am schlichten Holzschreibtisch seines Vaters Berthold, läuft über dieselben dunkelroten Teppiche, trägt Krawatte und Einstecktuch zum braunen Sakko in gedecktem Braun. Der nierenförmige Aschenbecher aus grünem Achat auf dem Tisch wird längst nicht mehr benutzt, verströmt aber noch intensiv den Geruch des vergangenen Jahrhunderts, als Berthold von Bohlen und Halbach darin seine Zigaretten ausdrückte. Sein Sohn Eckbert sagt: „Was wir machen, ist oldest economy.“
Eckbert und Friedrich von Bohlen und Halbach sind die letzten Unternehmer der Krupp-Dynastie. Zusammen kämpften beide gegen den Krupp-Regenten Berthold Beitz um mehr Einfluss für die Familie – und scheiterten. Mit eigenen Unternehmen standen sie am Abgrund. Dass sie nun Erfolg haben, verdanken sie typisch Krupp’schen Eigenschaften: Ausdauer, Arbeitsethos und Härte – auch zu sich selbst.

Die großen Krupp-Krisen
Gussstahlfabrik Fried. Krupp in Essen um 1905 Quelle: dpa
Arndt von Bohlen und Halbach, sein Vater Alfried Krupp und der Generalbevollmächtigte Berthold Beitz posieren vor der Villa Hügel in Essen Quelle: dpa
Der Schah von Persien, Retter von Krupp: Im Herbst 1976 schlitterte Krupp in eine bedrohliche Liquiditätskrise. Der Konzern litt unter gigantischen Überkapazitäten in der europäischen Stahlproduktion. Krupp-Generalbevollmächtigter Beitz fand in den märchenhaft reichen Schah von Persien einen neuen Investor, 25 Prozent von Krupp übernahm und eine Milliarde Dollar in den wankenden Konzern pumpte. Außerdem winkten Krupp Großaufträge des Kaisers aus Teheran. Es war mal wieder ein Kaiser, von dem sich Krupp abhängig machte. Im 19. Jahrhundert war dies der deutsche Herrscher Wilhelm II, der Krupp mit Kanonenaufträgen versorgte. Im Bild: Berthold Beitz Quelle: dpa
Gerhard Cromme Quelle: dpa
 Ekkehard Schulz Quelle: dapd

„Ich denke, Ausdauer, Härte und Durchhaltevermögen habe ich von meinen Vorfahren geerbt“, sagt Friedrich auf die Frage, wie viel Krupp noch in ihm steckt. Eckbert sagt: „Wir haben alle gelernt, dass es auf Beständigkeit
ankommt. Die Dinge geradlinig anzugehen. Nie aufzugeben.“
Der letzte Familienpatriarch, Alfried Krupp, setzt in den Nachkriegsjahren den von der NS-Zeit unbelasteten Versicherungsmanager Berthold Beitz als Generalbevollmächtigten ein. Das Vermögen überführt er in eine Stiftung. Beitz will keine Familie in der Stiftung und beruft sich dabei auf den letzten Willen Alfried Krupps. Alfrieds jüngere Geschwister bleiben außen vor, darunter Berthold und Harald, die Väter von Eckbert und Friedrich. In den Achtzigerjahren begehren Eckbert und Friedrich auf, verlangen, dass die Familie in der Stiftung vertreten ist. Testamentsvollstrecker Beitz, inzwischen Alleinherrscher im Krupp-Konzern, lässt sie abblitzen. Die Cousins bringen den Fall vor Gericht, prozessieren bis zum Bundesgerichtshof. Sie scheitern in letzter Instanz im Jahr 2000.

Die lange Suche nach dem eigenen Weg

Parallel zu ihrer Fehde gegen Beitz arbeiten Eckbert und Friedrich zunächst zusammen bei der Wasag, ihre Väter Berthold und Harald hatten in den Fünfzigerjahren die Mehrheit am Sprengstoffhersteller übernommen. Dann trennen sich ihre Wege.
Friedrich will früh Unternehmer werden, sein Faible für Biologie gibt die Richtung vor. „Mich hat immer fasziniert, wie Leben funktioniert.“ 1977, mit 15 Jahren, ist der Schüler erstmals in den USA und liest ein Buch über Genetik. Gerade entstehen dort die ersten Unternehmen, die aus Zellen oder Bakterien Medikamente gewinnen wollen. Sie heißen Genentech oder Amgen und zählen heute zu den erfolgreichsten Biotechkonzernen.

ThyssenKrupp in Zahlen

Als Trainee beim Medizinkonzern Fresenius und Vorstandsassistent beim Maschinenbauer FAG Kugelfischer lernt er die Grundzüge des Managements. In den Neunzigerjahren reift sein Plan, sich selbstständig zu machen. Seine Idee: Big Data im Gesundheitswesen. Sein Heidelberger Bioinformatikunternehmen Lion Bioscience bietet Software an, um wissenschaftliche Daten auszuwerten und zu verknüpfen. „SAP der Biotechbranche“, sagt Friedrich großmäulig. Der Jungunternehmer wird ein Star des Neuen Marktes. Es endet im Desaster.

Zwar begeistern sich Aktionäre für das Softwareprodukt, weniger aber Forscher in Unternehmen, die eigene Programme bevorzugen. Als nach den Anschlägen vom 11. September die Konjunktur einbricht, springen die Pharmakonzerne Novartis und Aventis als Kooperationspartner ab. Der Aktienkurs, einst über 120 Euro, stürzt auf 2,35 Euro.

Unbeeindruckt von Rückschlägen

Das Lion-Debakel erlebt Cousin Eckbert von Bohlen hautnah mit: Er sitzt bei Lion im Aufsichtsrat. Mit seinen eigenen Unternehmen hat er gleichfalls zu kämpfen. Eckbert arbeitet nach dem BWL-Studium zuerst als Investmentbanker, doch als 1987 Vater Berthold stirbt, übernimmt er dessen Industriebeteiligungen – ein veraltetes Portfolio, das vor allem aus der Wasag besteht.

200 Jahre Krupp in Bildern
"Stammhaus" und Schmelzbau um 1819. Quelle:
Friedrich Krupp um 1820. Quelle: PR
"Vom Stammhaus zum Quartier": Ein Gemälde von Julius Grün, es zeigt Alfred Krupp in den 1880er-Jahren. Quelle: PR
Ein Plan der Gussstahlfabrik, 1889 Quelle: PR
Innerer Bereich der Gussstahlfabrik in Essen, 1864 Quelle: PR
Friedrich Alfred Krupp seiner Verlobte und Margarethe von Ende 1882 Quelle: PR
Die Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen ca. 1910 Quelle: PR

Mit dem Niedergang der deutschen Kohlezechen aber verliert auch die Wasag den Boden unter den Füßen. Von einst mehr als 180 Zechen gibt es heute nur noch drei. Parallel dazu sinkt der Sprengstoffbedarf in den Bergwerken. Eckbert wagt einen radikalen Schnitt und baut die Holding drastisch um. An Wasag hält er heute weniger als fünf Prozent, vom Erbe des Vaters ist fast nichts geblieben. „Ich musste auskehren“, sagte Eckbert, „früher wurde zu viel verwaltet.“

Beeindrucken lassen sich Friedrich und Eckbert von den Rückschlägen nicht. Was hilft ihnen darüber hinweg, wie motivieren sie sich? „Ich glaube, das muss man ein bisschen in den Genen haben“, sagt Eckbert, „als Unternehmer besteht das ganze Geschäftsleben aus Veränderungen und Herausforderungen.“ Friedrich besinnt sich in solchen Momenten auf seine antrainierte Leidensfähigkeit. „Als Marathonläufer und bei der Bundeswehr ausgebildeter Fallschirmjäger bin ich schmerzhafte Grenzbereiche gewohnt.“ „Try again. Fail again. Fail better“, zitiert er den Schriftsteller Samuel Beckett. „2004, das Jahr nach meinem Rücktritt bei Lion, war mein wichtigstes Jahr.“

Der Industrieadel und das neue Geld

Ein Freund aus der Investmentbranche bittet ihn, einen Investor für das italienische Biotechunternehmen Cosmo Pharmaceuticals zu finden. Friedrich erinnert an eine frühere Begegnung mit Dietmar Hopp, dem SAP Gründer im Ruhestand. Also spricht er bei dem fußballbegeisterten Mäzen vor. „Cosmo, das ist ein Elfer ohne Torwart“, sagt Friedrich. Hopp sagt zehn Millionen Euro zu. Für den Altgründer ist Bohlens Lion-Flop kein Makel: „Ich bin da mehr bei der amerikanischen Mentalität, dass auch die Erfahrung des Scheiterns sehr wertvoll sein kann.“

Cosmo ist nur der Anfang, auch Hopp glaubt an eine große Zukunft für Biotech, stellt Friedrich als Berater ein. Das Vertrauen wird auf eine harte Probe gestellt. Investments wie GPC, Wilex oder Agennix, von Friedrich angepriesen, floppen – ihre Medikamente fallen in klinischen Tests durch. Hopp verliert geschätzte 350 Millionen Euro. Auch Cosmo, der „Elfer ohne Torwart“, schlägt lange nicht ein. Erst 2008, nach positiven Studien, kommt Bewegung in den Kurs. Aktuelle Steigerung gegenüber 2006: mehr als 1000 Prozent.

Kennzahlen nach Sparten

Friedrichs neues Unternehmen Molecular Health konzentriert sich auf Krebstherapien. Der Lion-Nachfolger wertet computergestützt Patientenakten und Studien aus, um die Behandlung zu verbessern. Das Ziel: Statt standardisierte Wirkstoffe zu verschreiben, sollen Ärzte besser auf den Patienten zugeschnittene Therapien finden können. „Heute haben 25 bis 30 Prozent der Krebstherapien Erfolg, wir steigern das auf 60 bis 75 Prozen “, sagt Lutz Völker, CEO von Molecular Health. „Dank der Kooperationspartner und der Finanzierung durch Hopp sind die Bedingungen bei Molecular Health für deutsche Verhältnisse günstig“, sagt Thilo Kaltenbach, Experte für Digital Health bei Roland Berger.

Den wohl spektakulärsten Coup landet Friedrich, als er für Hopp frühzeitig den Tübinger Biotechspezialisten Curevac entdeckt. Der forscht an einer Therapie gegen AIDS und sorgt Anfang des Jahres für Aufsehen, als sich auch die Stiftung von Microsoft- Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda im großen Stil bei Curevac engagiert.

Ein neuer Anlauf bei der Krupp-Stiftung

Auch Eckbert stellt sich in diesen Jahren neu auf, schlägt dafür den Erfolgspfad der mittelständischen deutschen Weltmarktführer ein. „Nische, Nische, Nische“, beschreibt er die Maxime. Sein Statement ist seine Krawatte: braun, mit Katzen und Aufziehmäusen darauf. „Ein Geschenk meines Sohnes“, sagt er, „sie zeigt mir, dass wir schneller sein müssen. Unsere Maxime ist, nur in Feldern tätig zu sein, in denen wir Produkt- und Marktführer sein können.“

100 Leute beschäftigen seine Holding und deren wichtigste Beteiligungen nur noch, aber: Sie verdienen wieder Geld – mit hoch spezialisierten Industriedienstleistungen. Ein Ingenieurbüro plant Anlagen zur Munitionsentsorgung oder zur Herstellung von Sprengstoffen und überwacht für Kunden den Bau. Eine andere Tochter handelt mit Spezialchemikalien, eine weitere vermittelt Industrieversicherungen. Zu Umsätzen und Gewinnen will von Bohlen nichts sagen, aber: Die Holding arbeite profitabel.

Etwa fünfmal im Jahr treffen sich die beiden, etwa auf Familienfeiern. Sie reden mit Hochachtung voneinander, bezeugen ihre tiefe Verbundenheit; Eckbert ist der Patenonkel von Friedrichs zweiter Tochter. Der Kampf gegen Beitz hat die unterschiedlichen Unternehmer zusammengeschweißt. Im Familienrat, zu dem auch ihre Cousine Diana Maria Friz gehört, stimmen sich die Nachfahren ab. Nach dem Tod von Beitz unternehmen sie nun einen neuen Versuch, einen Sitz im Kuratorium der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung zu bekommen, die nach ihrem Onkel benannt ist. Aufgeben gilt für einen Krupp nicht.

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