Uns selbst als Maßstab zu nehmen kann kaum ein Rezept dafür sein, um die besten Mitarbeitenden zu finden. Die „kollektive Intelligenz“ eines Teams kann genauso gemessen werden wie individuelle Intelligenz, und da schneiden diverse Teams eindeutig besser ab. Komplementarität ist gefragt, nicht Replikation.
Eine besonders schöne Feldstudie, die es uns erlaubt, die Validität von Interviews zu testen, fand vor ein paar Jahren eher unfreiwillig in Texas statt. Da stellte der Staat Texas fest, dass es dort nicht genügend Ärzte und Ärztinnen gab. Er forderte daher seine medizinischen Fakultäten auf, mehr Bewerberinnen und Bewerber aufzunehmen – und zwar spät im akademischen Jahr, nachdem sich die Universitäten bereits für ihre Favorit/-innen entschieden hatten. Während die medizinische Fakultät der Universität von Texas in Houston etwa bereits 150 Studierende ausgelesen hatte, musste sie im Mai noch 50 von den ursprünglich Abgelehnten aufnehmen. Das waren denn auch Leute, die im Evaluationsverfahren schlecht abgeschnitten hatten und auf der Rangliste die Plätze von 700 an aufwärts besetzten.
Interviews sind weniger verlässlich
Waren die ersten 150 Studierenden tatsächlich talentierter als die letzten 50? Kein Unterschied! Weder während des Studiums noch danach. Die Interviews brachten also nichts oder, schlimmer, verwässerten das Verfahren nur.
Obwohl unstrukturierte Vorstellungsgespräche längst diskreditiert sein sollten, sind Interviews nach wie vor eines der beliebtesten Instrumente in unseren Firmen. Wir vertrauen unserer eigenen Intuition mehr als Daten oder einem Algorithmus, der aufgrund vieler Beobachtungen eine Vorhersage macht.
Die härtesten Fragen im Vorstellungsgespräch
Diese Frage sollte ein Bewerber auf die Stelle des Senior Recruiting Managers bei Amazon beantworten. Hier soll die Kreativität abgeklopft werden. Die Personaler wollen wissen, ob man in der Lage ist, sich in eine andere Lage hinein zu versetzen. "Ich würde zum Beispiel erzählen, wie erstaunt ich als Mars-Mensch von den Problemen auf der Erde bin, da wir auf dem Mars schon viel weiter sind", schlägt Bewerbungsexperte Jürgen Hesse vom Berliner Büro für Berufsstrategie vor.
Auch solche mathematisch-logischen Fragen kommen immer wieder vor. Diese Aufgabe sollte ein Business Operations-Praktikant bei Facebook lösen. Hier muss man Aufmerksamkeit beweisen. Die Antwort ist "N Schlaufen" - es sind so viele Schlaufen, wie Seile. Denn wenn "keine losen Enden mehr übrig" sein dürfen, muss man einen Ring bilden. Hilfreich bei so einer Aufgabe ist es, sich eine kleine Skizze zu malen.
Das wurde ein Personaler bei Twitter gefragt. Hier gilt das gleiche wie bei Fragen nach den Stärken und Schwächen. "Fragt man im Bewerbungstraining nach Schwächen, sieht man auf der Stirn gleich, dass demjenigen sofort mindestens drei Schwächen einfallen", erzählt Hesse. Was wir nicht können, fällt uns meist leichter auf als unsere Stärken. Solche Antworten sollte man sich im Voraus überlegen. Hier kann es auch helfen, Freunde und Familie zu fragen, die vielleicht schneller und ganz andere Stärken sehen, als man bei sich selbst finden würde. Bei der Frage, warum man eben nicht eingestellt werden sollte, kann man sich charmant herauslavieren und etwa antworten: "Bitte haben Sie Verständnis, dass ich Ihnen das jetzt nicht sagen kann - damit würde ich mich ja selbst schlecht dastehen lassen." Dann sollte man schnell wechseln und viele Gründe für eine Einstellung aufzählen.
Als Praktikant bei Microsoft muss man sich auf solche Fragen gefasst machen. "Hier haben wir wieder eine Kreativitätsfrage", erklärt Hesse. In die gleiche Kategorie fällt die Frage "Sie wollen ein Telefon für Taubstumme entwickeln. Wie gehen Sie vor?", die ein Produkt-Manager bei Google beantworten sollte. Die Personaler wollen sehen, dass man Fantasie besitzt, außerhalb der festgefahrenen Bahnen denken kann und auch auf ungewöhnliche Fragen nicht patzig oder unhöflich reagiert. "Man lernt den Bewerber so noch einmal von einer anderen Seite kennen".
Das wurde ein Sales Associate beim Unternehmen Pacific Sunwear gefragt. Jürgen Hesse erklärt: Hier handelt es sich um eine Psycho-Frage. Sie soll den Bewerber aus der Ruhe bringen. Doch auch die metaphorische Ebene sollte man bei solchen Fragen beachten: Wer hier "Stoppschild" antwortet, sammelt sicher Minuspunkte - wer braucht schon Bremser im Team. Charmanter wäre zum Beispiel ein Autobahn-Schild. Es weist die Richtung zu einem schnelleren Weg.
Diese Frage sollte einen Investment-Praktikanten bei AIG aus dem Konzept bringen. Eigentlich ist die Lösung total einfach, man vermutet in der Formulierung nur eine Gemeinheit. Wer hier nervös wird und einen Blackout bekommt, sollte sich ein Blatt Papier und einen Stift zu Hilfe nehmen. Man malt einfach einen Kreis und macht zwei Kreuze durch - da sind die acht Stücke.
Ein Operations-Analyst bei Goldman Sachs Operations-Analyst bei Goldman Sachs sollte diese Frage beantworten. Wer hier sagt "zehn Tonnen" oder "zehn Megatonnen", der liegt gehörig daneben. Solche Schätz-Fragen sollen die Allgemeinbildung abklopfen - niemand erwartet eine exakte Zahl. In die gleiche Kategorie fallen Fragen wie "Was glauben Sie, wie viele Menschen in Deutschland haben ein Handy?". Man kann sich helfen, indem man sich an die Lösung herantastet und das laut ausspricht. Etwa: "Es gibt rund 82 Millionen Deutsche, wenn man Babys, sehr alte und arme Menschen abzieht, sind es vielleicht rund 60 Millionen."
Diese Aufgabe bekam ein Technischer Ingenieur bei Tesla Motors gestellt. Der Fachmann wird wohl wissen, was ein Dynamometer ist - mit der Forderung, es kindgerecht zu erklären, soll der Job-Anwärter auch sein Gefühl für Worte beweisen und zeigen, dass er sich Mühe gibt, komplizierte Sachverhalte einem Laien geduldig zu erklären.
"Eine klare Psycho-Frage", urteilt Hesse. So eine Frage nach dem Glauben ist eigentlich nicht erlaubt - eine Ausnahme sind kirchliche Einrichtungen. Ein Merchandiser bei PepsiCo wurde die Frage trotzdem gestellt - man sollte in so einer Situation nun nicht auf stur stellen und gar nicht antworten oder mit erhobenem Zeigefinger "Das dürfen Sie nicht fragen" antworten. Besser: Mit einer Gegenfrage kommen, etwa "Gibt es aufgrund der Tätigkeit einen bestimmten Grund, warum Sie nach meiner Konfession fragen?".
Wer ein Praktikum bei Apple machen will, muss sich auf diese Frage gefasst machen. Hier geht es darum, die Fantasie spielen zu lassen. Spinnen Sie einfach herum - es gibt kein Richtig und Falsch. Wem partout nichts anderes einfällt, als "drauftreten", der sollte vielleicht besser die Gegenfrage stellen, warum die schöne Uhr denn zerstört werden muss.
... Jeder Zwerg sieht nur die kleineren Zwerge vor sich, kann sich aber nicht umdrehen. Der Riese verteilt zufällig schwarze und weiße Hüte auf die Köpfe der Zwerge, ohne dass die Zwerge ihre eigene Hutfarbe sehen. Der Riese sagt den Zwergen, dass er jeden einzelnen nach der Farbe seines Hutes fragen wird, den größten zuerst. Ist die Antwort falsch, frisst der Riese den Zwerg. Jeder Zwerg hört die Antwort seines Hintermanns, aber nicht, ob der Zwerg danach noch lebt. Bevor die Hüte verteilt werden, können die Zwerge sich heimlich beraten. Welche Strategie sollten die Zwerge wählen, um möglichst viele zu retten? Wie viele können mindestens gerettet werden?"
Puh - mit dieser Horror-Aufgabe sah sich ein QA Automation Engineer bei BitTorrent konfrontiert. Wer bei solchen Logik-Fragen nur noch Bahnhof versteht, kann manchmal nur noch die Notbremse ziehen und sagen, dass die Aufgabe in der aktuellen Stress-Situation nicht lösbar ist. Wer dann von den Personalern beharrlich gequält wird, ist vielleicht auch in dem Unternehmen nicht richtig.
Damit sah sich ein Verwaltungsassistent bei Google konfrontiert. "Schreiben" galt dabei nicht als Antwort. Solche Kreativitätsfragen kommen in abgewandelter Form immer wieder vor. Eine Version ist etwa "Was für Bücher gibt es?". Da sei bei vielen schon nach "Krimis" Schluss, erzählt Hesse. Andere können unzählige herunterbeten. Hier hilft das spielerische Üben solcher Brainstormings, zum Beispiel "Welche Automarken gibt es?" oder "Wie viele Farben fallen Ihnen ein?".
Seien Sie ehrlich: Wäre Ihnen mehr eingefallen, als "Windows"? Nicht nur, wer sich als Associate Consultant bei Microsoft vorstellt, sollte sich vorher gut über das Unternehmen, in dem man arbeiten möchte, informieren.
Aversion gegen Technik oder der Konflikt zwischen Mensch und Maschine ist nicht neu. Es gab Zeiten, da trauten wir uns nur in einen Fahrstuhl, wenn dieser von einem Fahrstuhljungen bedient wurde. Und selbstverständlich ist jeder Algorithmus nur so gut wie die Formel, die dahintersteckt. Die Evidenz zeigt aber, dass selbst einfachste Algorithmen, die etwa nur aus einer linearen Kombination von Variablen bestehen, die menschliche Intuition in den allermeisten Fällen übertreffen.
Wer sich nach wie vor nur in der Finanzabteilung oder der Marktforschung von Fakten leiten lässt, sollte dies möglichst schnell ändern und auch die Türen der Personalabteilung für „People Analytics“ öffnen. Neue Softwareprogramme wie etwa Applied, entwickelt vom Behavioral Insights Team in England (wo ich als wissenschaftliche Beraterin tätig bin), macht es Firmen um einiges leichter. So können Bewerbungen etwa anonymisiert werden, sodass Julia, die Personalfachfrau, und Gregor, der Ingenieur, nicht nur nach weiteren „Julias“ und „Gregors“ Ausschau halten, sondern Entscheidungen aufgrund der Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten treffen.
Frauen profitieren von anonymen Bewerbungen
Ich kann nicht genug betonen, wie sehr uns demografische Charaktereigenschaften in die Irre führen. Die großen Symphonieorchester der USA erfuhren dies am eigenen Leib, als sie in den Siebzigerjahren Musiker und Musikerinnen hinter einem Vorhang vorspielen ließen, sodass der Dirigent und die Auswahlkommission nur die Musik hören, nicht aber die Bewerber/-innen sehen konnten. Damals machten Frauen gerade mal etwa fünf Prozent der Musiker in den Orchestern aus. Selbstverständlich waren die Dirigenten überzeugt, dass sogenannte „blinde“ Auswahlverfahren keine Rolle spielen würden.
Leonard Bernstein, der Chefdirigent der New York Philharmonie, sprach sich dann auch in den Siebzigerjahren vehement gegen Vorhänge aus, überzeugt, dass man die Musik nicht nur hören, sondern deren Produktion auch sehen musste, um deren Qualität beurteilen zu können.
Er sollte nicht recht behalten. Vorhänge erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass es Musikerinnen in eine weitere Runde schafften, um 50 Prozent. Sie spielten eine entscheidende Rolle darin, dass wir heute in den zehn bekanntesten US-Orchestern beinahe 40 Prozent Musikerinnen haben, die hervorragend spielen. Gut für das Orchester und gut für die Frauen.