Einsame Spitze Höllenjob Vorstand

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Jeder gegen Jeden

Inzwischen heißt es auf Deutschlands Chefetagen dagegen: Jeder gegen jeden. Niemand will auf einem Schaden sitzen bleiben, der Übeltäter muss gefunden werden – und wenn es nur darum geht, auf dem Wege an die Versicherungssumme der Managerhaftpflichtversicherung zu kommen.

Jüngstes Beispiel: der Schienenkartellfall. Lieferanten von Eisenbahnschienen wie ThyssenKrupp, Moravia Steel, Voestalpine oder Stahlberg Roensch – heute zum Vossloh-Konzern gehörend – hatten viele Jahre lang illegale Preisabsprachen getroffen. Man traf sich bis zu 20 Mal im Jahr unter Tarnnamen wie „Zahnlücke“, „HB-Männchen“ oder „Schnuffi“. Die Absprachen wurden publik, als Voestalpine sie dem Bundeskartellamt offenbarte, Millionenstrafen waren die Folge. 14 Beschuldigte inklusive Ex-Manager wurden von der Staatsanwaltschaft angeklagt.

Nachdem ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger verkündet hatte, Vergehen von Mitarbeitern nicht zu tolerieren, verklagte der Stahlkonzern prompt Uwe Sehlbach, damals Bereichsvorstand und Spartenchef der konzerneigenen Tochtergesellschaft GfT Gleistechnik. Er soll seinem langjährigen Arbeitgeber 193 Millionen Euro Schadensersatz leisten – für die 191-Millionen-Euro-Buße, die der Konzern ans Bundeskartellamt zahlen musste zuzüglich Folgekosten wie Anwaltshonorare.

Ein Unternehmen kann sich Kartellbußen nicht von Mitarbeitern erstatten lassen

Die Gerichte aber ließen ThyssenKrupp in den ersten beiden Instanzen abblitzen: Kartellbußen könne sich ein Unternehmen nicht von Mitarbeitern erstatten lassen – die Höchstgrenze für persönliche Kartellstrafen liegt bei einer Million Euro. Was ThyssenKrupp nicht davon abhielt, vor wenigen Tagen weitere 100 Millionen Euro von Sehlbach zu fordern. Die wiederum muss der Stahlriese der Deutschen Bahn für den Verkauf überteuerter Schienen erstatten.

„Die Anforderungen an die Kontrollpflichten von Vorständen sind deutlich gestiegen“, sagt Kartellrechtsexpertin Daniela Seeliger von der Großkanzlei Linklaters. Sobald im Konzern ein Verdacht von Preisabsprachen mit Wettbewerbern oder eine Kundenbeschwerde beim Bundeskartellamt aufschlägt, wird die Sache zur Vorstandssache. Die Folge: Es werden Geschäftsräume untersucht, Computer beschlagnahmt, Bücher unter die Lupe genommen. Dem einzelnen Vorstand bleibt in einem solchen Fall kaum mehr Zeit, sich um andere Projekte oder mittelfristige strategische Fragen zu kümmern – die Untersuchungen des Kartellamts ziehen sich oft über Jahre.

Vorstände gegen Aufsichtsräte und gegen Vorstände

Häufige Folge dieser zermürbenden Situation: Statt an einem Strang zu ziehen und sich auf die Beantwortung von Sachfragen zu konzentrieren, schauen sich vor allem auch Vorstände und Aufsichtsräte gegenseitig auf die Finger: Der Aufsichtsrat lässt den Compliance-Vorstand antreten und beauftragt meist eine Kanzlei mit der Aufarbeitung der Vorfälle – in der Regel eine andere als der Vorstand. Nicht selten entfachte das ein internes Hauen und Stechen – gerne auch mithilfe eigener Berater. Schließlich haftet der Vorstand im Falle eines Urteils durchs Kartellamt als Gemeinschaftsorgan.

Ob individuell verwickelt oder unschuldig – jeder Vorstand muss gegebenenfalls mit seinem Privatvermögen für die Fehler der Kollegen geradestehen. Und das eröffnet in vielen Fällen noch eine ganz neue Front: Es heißt dann nicht mehr nur Vorstand gegen Öffentlichkeit, Vorstand gegen Aufsichtsrat oder Vorstand gegen Justiz.

Es heißt dann auch noch: Vorstand gegen Vorstand.

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