Erreichbarkeit im Urlaub Wie Sie sich trotz Diensthandy erholen

Quelle: Getty Images

Selbst im Urlaub bleibt das Handy vieler Manager an. Dabei kann die ständige Erreichbarkeit krank machen. Wie Sie für Ihre Mitarbeiter in der freien Zeit ansprechbar sein können, sich aber trotzdem erholen.

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Der Nachwuchs baut im Sand Burgen. Die Gattin bräunt sich in der Mittagssonne. Das Familienoberhaupt sitzt in Badeshorts unterm Sonnenschirm. Aber anstatt seinen Urlaub mit der Familie zu genießen, hält er in der einen Hand das Smartphone und führt Vertragsverhandlungen – mit der anderen beantwortet er via Tablet wichtige Geschäftsmails.

Selbst im Urlaub sind insbesondere viele Führungskräfte jederzeit und überall für Geschäftskunden und Mitarbeiter erreichbar. Sie stehen früh auf, um Mails zu checken und Telefonate zu empfangen. Laptop, Smartphone und Co. sind treue Strandbegleiter – und zur Not wird der Urlaub unter- oder sogar abgebrochen, um den Mitarbeitern auf die Finger zu gucken. "Gerade höhere Führungskräfte oder Unternehmer können es sich oftmals nicht leisten, drei Wochen am Stück dem Betrieb fern zu bleiben", sagt Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe an der Ruhr-Universität Bochum.

Dabei würden die Deutschen grundsätzlich gerne auf Smartphone und Co. verzichten, wie eine aktuelle Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigt. Nur 16 Prozent der Deutschen halten die ständige Erreichbarkeit demnach für wichtig – und liegen damit deutlich unter dem internationalen Durchschnitt. Vor allem die jüngere Generation legt Wert darauf, während der Urlaubszeit nichts von der Arbeit zu hören.

Dass liegt offenbar daran, dass die Informationsflut uns mit der Zeit überfordert. Da ist zum einen das, was über die sozialen Netzwerke Tag für Tag auf uns einprasselt: Bilder vom Putsch in der Türkei verlangen unsere Aufmerksamkeit. Dann schreibt ein Freund über einen schweren Schicksalsschlag und fordert indirekt ein, ihm beizustehen und Anteil zu nehmen. Der nächste will, dass sein Post "Suche neue Wohnung in München" geteilt wird, damit seine Chancen auf Erfolg steigen. Ständig sollen die User aktiv an etwas teilhaben.

Hinzu kommen berufliche Mails, insofern der Kollege nicht über WhatsApp fragt, ob man nicht noch eben schnell mal dieses oder jenes tun könnte.

Und es sind meistens die Kollegen, die im Urlaub stören, wie eine repräsentative Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigt:

  • Bei rund zwei Dritteln (63 Prozent) der Befragten, die im vergangenen Jahr im Sommerurlaub beruflich erreichbar waren, haben sich während des Urlaubs Kollegen gemeldet.
  • Knapp ein Viertel (23 Prozent) wurde von Kunden kontaktiert
  • nur jeder Fünfte (19 Prozent) bekam einen Anruf vom Vorgesetzten.

Das nervt gut jeden Dritten, wie eine Umfrage der Pronova BKK unter mehr als 1600 deutsche Beschäftigten zeigt. Die dauerhafte Erreichbarkeit stört aber nicht nur den Urlaub, sie birgt auch gesundheitliche Risiken, weiß Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst. Gestresste beschäftigen sich nach Feierabend mit der Arbeit, finden abends nur schwer in den Schlaf, wachen nachts häufig auf, sind tagsüber erschöpft, lustlos und unmotiviert. "Der Mensch ist darauf ausgerichtet, Phasen der An- und Entspannung zu erleben. Wenn er nur Anspannung erfährt, sind Psyche und Körper auf Dauer überlastet – und wir werden krank", sagt Scharnhorst.

Sie beobachtet seit 20 Jahren, dass die Krankheitstage vor allem aufgrund psychischer Erkrankungen unaufhaltsam steigen. Die häufigsten Erkrankungen laut Gesundheitsreporten verschiedener Krankenkassen: Depressionen, Burn-out, Angststörungen, Suchterkrankungen, aber auch psychosomatische Erkrankungen wie Kopf- und Rückenschmerzen.

Anspruch auf Erreichbarkeit gibt es nicht

Zumindest in der Theorie dürfen Arbeitnehmer – egal ob einfacher Angestellter oder CEO – in ihrem gesetzlichen Urlaub, also an mindestens 20 Tagen im Jahr, das Smartphone ausstellen. "Der Urlaub hat den Sinn, dass Mitarbeiter sich erholen. Deshalb sollen sie ihn selbstbestimmt nutzen", sagt Arbeitsrechtler Sebastian Maiß. Mit anderen Worten: Wer während des Urlaubs im Dienst des Unternehmens steht, dessen Anspruch auf Erholungsurlaub bleibt laut Bundesurlaubsgesetz unerfüllt. Der Mitarbeiter könnte an einem anderen Tag Urlaub nehmen, weil er am eigentlichen Urlaubstag gearbeitet hat.
Aus diesem Grund kann das Unternehmen zumindest im gesetzlichen Urlaub keine Erreichbarkeit verlangen.

Das tut auch niemand. Im Gegenteil: "Immer mehr Unternehmen führen verbindliche interne Regelungen ein, die sicherstellen sollen, dass engagierte Mitarbeiter im Urlaub abschalten können", wie Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder sagt. Aber: "Viele Angestellte bieten freiwillig an, dass Chefs und Kollegen sie auch im Urlaub ansprechen dürfen." Um das auszugleichen, stocken Unternehmen oft den Jahresurlaub ihrer Mitarbeiter auf, indem sie ihnen vertraglich zehn weitere freie Tage zugestehen. "Im zusätzlichen Urlaub sind Sondervereinbarungen wie eine Erreichbarkeitsklausel theoretisch möglich, nur gibt es sie in der Praxis nicht", sagt Maiß.

Stattdessen sind betriebliche Absprachen die Regel in deutschen Unternehmen. Schließlich befürchten Unternehmen, durch Erreichbarkeitsklauseln an Arbeitgeber-Attraktivität einzubüßen. Nur für den Chef selbst gilt das nicht. "Je höher die Position der Führungskraft, desto eher wird man davon ausgehen können, dass sie ausnahmsweise dazu verpflichtet ist, telefonisch oder per Mail erreichbar zu sein, wenn es sich um unvorhersehbare und zwingende Notwendigkeiten handelt", so der Arbeitsrechtler. In manchen Betrieben hat der Vorgesetzte auch schlicht keinen Stellvertreter, der seine Aufgaben während des Urlaubs übernimmt – aus Sicht von Scharnhorst ein Organisationsfehler.

Der Unersetzliche

Und dann gibt es den Typ, der überzeugt ist, dass der Laden ohne ihn nicht läuft. "Ich habe es schon erlebt, dass ein Mitarbeiter sich in seinen Kalender eingetragen hat ,Chef anrufen und wichtige Frage stellen' ", erzählt Hossiep. Also rief er seinen Vorgesetzten in regelmäßigen Abständen in seinem Urlaub an, um ihm das Gefühl zu geben, unersetzlich zu sein. "Hätte er den Chef nicht angerufen, wäre dieser höchst unzufrieden aus seinem Urlaub zurück gekommen. Das wollte er durch seine Anrufe vermeiden", sagt Hossiep.

All denen, die wissen, dass es auch zwei Wochen ohne sie klappt, rät die Gesundheitspsychologin Scharnhorst, Regeln für die Mitarbeiter aufzustellen. "Wenn ich manchmal höre, mit welchen Fragen der Urlaub gestört wird, stellen sich bei mir alle Nackenhaare auf." Da bimmelt am Strand das Telefon, weil der Mitarbeiter die Briefumschläge nicht findet oder die Kontaktdaten eines Kunden braucht. Damit das nicht passiert, sollte vor dem Urlaubsantritt klar sein, wer wen wann warum anrufen darf.

Hossiep empfiehlt das Eisenhower-Prinzip:

Ist das Anliegen wichtig, aber nicht dringend, kümmert sich der Chef nach seinem Urlaub darum.

Ist es dringend, aber nicht wichtig, soll der Mitarbeiter sich an den stellvertretenden Chef wenden.

"Nur wenn das Anliegen dringend und wichtig ist – und falls niemand anderer befugt und in der Lage ist, Entscheidungen treffen zu können – sollten Mitarbeiter den Vorgesetzten anrufen", sagt er.

Trotzdem hält der Experte die öffentliche Diskussion über die ständige Erreichbarkeit für vollkommen überzogen – und eine Debatte über die Urlaubsdauer für viel wichtiger: Er beobachtet, dass die Deutschen einen Kurztrip nach dem anderen planen, aber nur noch selten mehrere Wochen Urlaub am Stück nehmen. Aus psycho-physischer Perspektive sei es eine reine Strapaze, ständig nur für drei Tage in den Urlaub zu fliegen.

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