Fachkräftemangel Unternehmen müssen mehr selbst ausbilden

Seite 3/3

Die Lösung heißt: selbst ausbilden

Das sagt auch DIHK-Ausbildungsexpertin Esther Hartwich. Sie rät Unternehmen, Schülerpraktika anzubieten, damit sich potentielle Auszubildende und Unternehmen kennenlernen können. Gerade in den Schulen sollte die Berufsberatung intensiviert werden – auch an den Gymnasien. Schließlich ist eine Berufsausbildung nicht nur etwas für Haupt- und Realschüler. Wie die Zahlen zeigen, ist die Berufsausbildung für Studienabbrecher eine sinnvolle Option. Warum also nicht schon im Gymnasium um die werben, die in einer Ausbildung besser aufgehoben sind, als im Hörsaal? Und die letztlich doch in der Berufsschule landen – frustriert über ihren Misserfolg an einer Uni.

Deshalb wollen die deutschen Unternehmen in Zukunft wieder mehr auf Eigengewächse setzen, wie der DIHK-Arbeitsmarktreport zeigt. Jedes zweite Unternehmen will künftig noch mehr junge Menschen ausbilden, um so die individuelle Fachkräftelücke zu schließen. "Die Unternehmen in Deutschland forcieren ihr Engagement in der Ausbildung", bestätigt Schweizer. "Denn schon jetzt ist der Fachkräftemangel für mehr als jeden zweiten Betrieb ein Geschäftsrisiko."

Lockangebote für Azubis

Hartwich ergänzt: "Unternehmen bieten leistungsstarken Jugendlichen attraktive Zusatzangebote, wie Auslandsaufenthalte oder Zusatzqualifikationen. Darüber hinaus fördern und begleiten sie vielfach leistungsschwächere Azubis in der Ausbildung." Insgesamt investiere die deutsche Wirtschaft jedes Jahr rund 23 Milliarden Euro, wie Hartwich erzählt. „Das ist ein maßgeblicher Beitrag zur Fachkräftesicherung.“ Der aber alleine nicht genüge. Man müsse noch mehr gegen die Vorurteile in den Köpfen vieler Schüler und Eltern tun und nicht nur das Hochschulstudium als alleinseligmachende Berufsqualifikation anpreisen, sagt sie. "Insbesondere die Abschlüsse der Höheren Berufsbildung, also Meister oder Fachwirte, bieten gute Verdienstmöglichkeiten und schützen noch besser vor Arbeitslosigkeit als ein Studium."

Das scheint zu funktionieren: trotz sinkender Schülerzahlen bleibt die Zahl der Ausbildungsverträge einigermaßen konstant. "In diesem Jahr haben über 33.000 Schüler weniger die allgemeinbildenden Schulen verlassen als im Vorjahr – dennoch konnte die Bewerberanzahl um einen Ausbildungsplatz stabil gehalten werden", sagt Hartwich.

547.800 junge Menschen haben sich demnach um eine Lehrstelle beworben – 24.000 Jugendliche haben keine bekommen. Gleichzeitig blieben 49.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. "Die Ausbildungsplatzchancen wären da. Oft würde dies aber Mobilität erfordern oder einen Kompromiss bei der Berufswahl, wenn man einen speziellen Beruf erlernen möchte, der in seiner Region nicht oder wenig ausgebildet wird", so Hartwich. Wer in Hamburg lebt, zieht für eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau nicht in den Schwarzwald. Und wer im Schwarzwald Entwickler für Anwendungsinformatik lernen möchte, entscheidet sich nicht für eine Ausbildung zum Koch, nur weil der Gastwirt nebenan diese anbietet. Daran ändern auch sämtliche Azubi-Lockangebote und Imagekampagnen nichts.

Unternehmen haben auch selbst schuld

Ein weiterer Grund, dass Betriebe und Jugendliche nicht zueinander finden, liegt laut einer Umfrage unter 1000 Azubis und Ausbildungssuchenden an den unterschiedlichen Sprachen, die beide Parteien sprechen. Die Macher der Azubi-App TalentHero haben bei den Jugendlichen nachgefragt, wie sie Stellenangebote für Lehrstellen wahrnehmen. Das Ergebnis: Stellenanzeigen sind unverständlich und wirken unglaubwürdig.

Die Befragten beschweren sich über Buzzwords, Anglizismen und Fachausdrücke anstatt der für sie relevanten Informationen: Arbeitsort (für 54 Prozent am Wichtigsten), die Entwicklungsmöglichkeiten nach der Ausbildung (52 Prozent) und das Gehalt (51 Prozent). Während der Arbeitsort laut den Befragten auch fast immer angegeben wird, werden Informationen zum Ausbildungsgehalt und zu Entwicklungsmöglichkeiten von der Hälfte der Befragten nur manchmal, selten oder nie in Stellenanzeigen gefunden.

Diese Ausbildungsbetriebe begeistern deutsche Azubis

Weitere sehr wichtige Kriterien sind für 41 Prozent der Befragten die Übernahmequote des Unternehmens und 39 Prozent wünschen sich zusätzliche Weiterbildungsangebote. Ob ein Jobticket für Bus und Bahn angeboten wird oder nicht, ist für ein Drittel der Befragten sehr wichtig. Infos dazu finden 42 Prozent der Studienteilnehmer allerdings nur selten oder nie in Stellenangeboten, wie es in der Umfrage heißt. Lust auf eine Bewerbung hatten nach dem Lesen der Stellenanzeige nur insgesamt 28 Prozent der Befragten.

Dass sich die angehenden Azubis ihren Lieblingsarbeitgeber aussuchen können, ist die Kehrseite des Fachkräftemangels. Sagt auch Oettinger zu Deutschlands besten Azubis. Sie könnten wählerisch sein, schließlich gebe es nicht genug Techniker und Fachkräfte in Deutschland. Dafür sollten sie sich schon mal darauf einstellen, bis 70 arbeiten zu müssen. Wenn auch vermutlich nicht mehr in ihrem Ausbildungsbetrieb.

Oettinger rät ihnen zur regelmäßigen Weiterbildung. Daran sollten sich auch die Arbeitgeber halten. "Wenn ihr bis 70 fit bleiben müsst, braucht ihr wie in der Formel 1 Boxenstopps, ihr müsst Reifen wechseln und nachtanken. Und das ist in eurem Fall die berufliche Weiterbildung. Ihr braucht jährliche Weiterbildung", sagt Oettinger. Als Günther sein Abitur gemacht und zur Uni gegangen ist, war das anders. Trotzdem: "Ich beneide euch", sagt der EU-Kommissar. Und wenn es auch nur um die Währungsunion und die Freizügigkeit ist.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%