Fehlbesetzung Jeder dritte Chef taugt nichts

Wer Führungskräfte sucht, soll sich am besten intern umsehen, raten Experten. Deshalb befördert so mancher Chef seine besten Fachleute. Das geht leider oft schief.

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Überforderter Chef Quelle: Fotolia

Beste Stimmung im deutschen Mittelstand: Das Geschäft brummt, die Aussichten sind vielversprechend. Wenn nur der Fachkräftemangel nicht wäre. „Der Fachkräftemangel erweist sich in manchen Branchen und Regionen immer mehr als Engpass, auch wenn die Unternehmen hier gezielt gegensteuern“, sagt Uwe Berghaus, Firmenkundenvorstand der DZ Bank. Die Bank hat gemeinsam mit dem Bankenverband BVR für ihre Mittelstandsstudie 1500 Unternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Lage und ihren Zukunftsplänen befragt. 88,4 Prozent beurteilen ihre aktuelle Situation demnach als „sehr gut“ oder „gut“.

Acht von zehn Mittelständlern wollen in den nächsten sechs Monaten in ihr Unternehmen investieren, mehr als ein Viertel der Unternehmen will weiteres Personal einstellen. Und da wird es problematisch, wie die Studie zeigt.

Mehr als Sympathie in der Chefetage

Denn der Fachkräftemangel erschwert Neueinstellungen. „Sowohl die Digitalisierung als auch der fortschreitende Altersstrukturwandel werden in den nächsten Jahren für eine kontinuierliche Verschärfung dieses Problems sorgen“, heißt es in der Studie.
Also setzen immer mehr Unternehmen auf die Weiterentwicklung der bestehenden Belegschaft. „Die Personalabteilungen sagen sich: draußen steht keiner mehr, also müssen wir innen gucken“, bestätigt Frank M. Scheelen. Er berät Unternehmen unter anderem bei der Auswahl von Führungskräften. Kompetenzanalysen sind sein Fachgebiet. Doch beim internen Recruiting, wie es offiziell heißt, werden viele Kompetenzen seiner Erfahrung nach vernachlässigt.

Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz

„Eine Führungskraft braucht auch motivatorische Fähigkeiten“, sagt Scheelen. Doch die spielen bei der Auswahl kaum eine Rolle – wenn sie überhaupt bedacht werden. „Hierzulande wird noch viel zu oft nach Nasenfaktor befördert. Wir brauchen aber nicht nur Leute, die sympathisch sind. Wir brauchen vor allem Leute, die für den Job geeignet sind.“ Alles andere rächt sich schneller, als einem Unternehmen lieb sein kann.

So machte ein Münchner Unternehmen, das Scheelen betreut, seinen besten Experten für Schmiermittel zum Chef. Kurz darauf liefen die Mitarbeiter scharenweise davon. „Der Mann war als Führungskraft nicht tragbar, da hätte auch kein Coaching geholfen“, erzählt Scheelen. „Nach drei Monaten hat er das Handtuch geworfen – und ist zur Konkurrenz gewechselt. Und zwar in dieselbe Fachposition, die er vor seiner Beförderung beim alten Arbeitgeber innehatte. Im Fachkräftemangel ist das natürlich der GAU.“
Solche Fehlbesetzungen in der Chefetage sind nicht selten. Auch Studien belegen: Viele Führungskräfte wären besser Fachkräfte geblieben.

Jede dritte Führungskraft wäre besser Fachkraft geblieben

Gemäß einer entsprechenden Untersuchung der Internationalen Hochschule Bad Honnef Bonn (IUBH) aus dem April dieses Jahres wären circa 24 Prozent der Fachkräfte gute Chefs beziehungsweise Manager. Demgegenüber stehen 27 Prozent der Führungskräfte, die von ihrem Kompetenzprofil her besser in einer Fachkraftrolle aufgehoben wären. „Führungskräfte werden in Deutschland immer noch über fachliche Kompetenz definiert. Wenn Sie aber Ihr bestes Pferd im Stall zum Manager befördern, verlieren Sie eine sehr gute Fachkraft – und bekommen dafür eventuell einen schlechten Manager“, sagt Scheelen.

Derartige Fehlbesetzungen kommen Unternehmen gleich in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen.

Zwei Drittel der Deutschen machen einen Job, der nicht zu ihnen passt

Gemäß einer Befragung von Personalexperten durch die Unternehmensberatung Hay Group kostet die Neubesetzung einer vakanten Stelle mehr als 6000 Euro: von der Ausschreibung auf verschiedenen Kanälen über den Arbeitsaufwand für die Ausschreibung, das Sichten der Bewerbungen, die Vorstellungsgespräche bis hin zur Einarbeitungszeit und Ausrüstung für den neuen Kollegen. Bei Managern seien die Kosten nochmal höher. Wurde der Falsche befördert und die anderen Fachkräfte suchen entnervt das Weite, müssen zu allem Übel auch ihre Stellen nachbesetzt werden.

Zusätzlich leidet die Performance des Unternehmens, und zwar:

  1. direkt durch Fehlentscheidungen des unqualifizierten Chefs
  2. und indirekt durch die nachlassende Motivation der genervten Belegschaft, die nicht kündigt.

„Die richtige Person mit der richtigen Kompetenz am richtigen Platz ist ein Wirtschaftsfaktor: Je höher die Führungskompetenz eines Managers, desto niedriger ist die Fluktuation im Unternehmen, desto höher sind Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit und desto höher ist die Performance des Unternehmens. Das lässt sich alles wissenschaftlich belegen“, unterstreicht Scheelen.

Wie groß das Ausmaß – sprich: die Zahl der Fehlbesetzungen – in Deutschland ist, zeigt die erwähnte Auswertung der IUBH. Dafür wurden Daten von 1300 Fach- und Führungskräften ausgewertet, die das Skill-Management-Tool Delveo der Hochschule genutzt haben. Das Tool basiert auf einem modifizierten Kompetenzsystem nach den Erkenntnissen des Wissenschaftlers und Eignungsdiagnostikers John Erpenbeck sowie des Organisations- und Wirtschaftspsychologen Lutz Rosenstiel. Es erfasst über eine Kombination von Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung sowie computerbasierten Analysen die Ausprägung von 26 Kompetenzfeldern.

Der oder die Falsche für den Job: Fehlbesetzungen in deutschen Unternehmen

Die Resultate wurden mit den tatsächlichen Positionen der Teilnehmer verglichen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland haben eine Position, die nicht zu ihnen passt.

Oder umgekehrt: Nur ein Drittel aller Mitarbeiter sind wirklich goldrichtig auf ihrer Position. Alle anderen könnten in einer anderen Funktion genauso gut oder sogar besser arbeiten. Und selbst die Fachkräfte, die gute Arbeit leisten, nutzen auf ihrer aktuellen Position nur 30 Prozent ihrer Kompetenzen optimal. 70 Prozent haben Fähigkeiten, die sie in anderen Rollen besser nutzen könnten.

Die meisten Fehlbesetzungen gibt es im Vertrieb

Spannend: Die meisten Fehlbesetzungen arbeiten im Vertrieb. Nur 43 Prozent der im Vertrieb tätigen Personen haben auch ihre optimale Rolle in diesem Bereich. Ebenfalls 43 Prozent, also weniger als die Hälfte der Vertriebsmitarbeiter, bringen eine gute bis sehr gute Performance.

Wilko Plabst, Head of Programme Design and Delivery der IUBH, mahnt: „Die Besetzung von Fach- und Führungsrollen muss systematisch und vor allem zusammen mit den Arbeitnehmern erfolgen“. Denn im Vertrieb beispielsweise sind neben Fachkenntnis auch Verkaufstalent und die Fähigkeit, Kunden zu begeistern, gefragt. Wer keine Leidenschaft für das Verkaufen hat, hat im Vertrieb genauso wenig verloren, wie jemand, der keine Ahnung von den Produkten seines Arbeitgebers hat.

Je älter, desto besser passen Job und Kompetenzen zusammen

Aus der Studie lassen sich verschiedene Handlungsempfehlungen ableiten, die Fehlbesetzungen verhindern können. So ist der Anteil der älteren Fachkräfte (50+), die perfekt für ihren Job geeignet sind, mit 34 Prozent deutlich höher, als der der jungen Kollegen (30 Jahre). Hier passen nur 27 Prozent zu ihrer Position.

Außerdem sind lediglich 37 Prozent der älteren Führungskräfte (50 plus) völlige Fehlbesetzungen, während 44 Prozent der 30-jährigen Manager für ihren Job völlig ungeeignet sind. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen:

  1. Ältere Fach- und Führungskräfte suchen sich während ihres Berufslebens Rollen, die zu ihren Kompetenzen passen und gehören deshalb nicht zum alten Eisen.
  2. Trotz aller Begeisterung, überhaupt junge Kräfte zu finden, sollten neben fachlichem Know-how auch die sonstigen Kompetenzen eine Rolle spielen.

In die Inkompetenz hineinbefördert

Besonders bei Führungskräften herrsche Handlungsbedarf. „Mitarbeiter, die als Fachkraft eine gute Leistung an den Tag legen, werden häufig in Führungsrollen befördert, ohne dass ihre Kompetenzen für die neue Rolle überprüft wurden“, sagt er und bestätigt damit Scheelens Erfahrung. „In Deutschland bedeutet Karriere immer noch eine klassische Beförderung in eine Führungsposition. Deshalb befördern viele Unternehmen ihre guten Fachkräfte in die Inkompetenz hinein.“. Weil es irgendwie ja auch erwartet wird, dass der brillante Experte nicht zehn oder 15 Jahre lang denselben Job macht. „Aber den Tüftler, der sich gerne einschließt, um an Problemen zu arbeiten, sollte man besser fachlich weiterentwickeln.“

Scheelen rät deshalb dazu, sich zu fragen, ob die klassische Beförderung für eine Fachkraft überhaupt das Richtige wäre. „Will diese Person überhaupt führen und kann sie das?“

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass Fachkräfte mit Hochschulabschluss meist besser für Führungspositionen geeignet sind als Fachkräfte, die eine Ausbildung absolviert haben. Das zeigt sich auch bei denjenigen mit Ausbildung, die sich im Unternehmen hochgearbeitet haben. Daraus lässt sich einerseits folgern, dass ein Studium besser für eine spätere Führungsrolle qualifiziert. Andererseits können Unternehmen davon ableiten, dass sie mit einem Akademiker eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg haben, wenn die Stelle mit Entwicklungspotenzial hin zur Führungskraft besetzt werden soll.

Pauschalisieren sollten Unternehmen jedoch nicht, warnt Scheelen. Jeder Kandidat müsse geprüft werden – unabhängig von der Ausbildung und den vorherigen Erfolgen. Selbst Erfahrungen in einer Führungsposition in einem anderen Unternehmen seien "kein Garant dafür, dass es auch woanders klappt“.

Wer ein Start-up erfolgreich groß gemacht hat, kann in einem traditionellen Betrieb genauso versagen wie ein erfolgreicher Konzernmanager in einem mittelständischen Unternehmen. Denn auch Erfahrung ist nicht alles. „Sie müssen sich die Persönlichkeit eines Kandidaten ansehen und entscheiden, ob das passt. Wie sind seine Motive, welche emotionalen Kompetenzen hat er “, erläutert Scheelen. Wenn es hier stimmt, ist das Fachliche gar nicht mehr so wichtig. Denn eine Führungskraft arbeitet schließlich kaum noch im operativen Geschäft.

So würde niemand dem neuen Opel-Chef Michael Lohscheller die Eignung absprechen, weil er Diplom-Kaufmann und kein KfZ-Meister ist. Und Konkurrent Dieter Zetsche ist nicht deshalb so ein erfolgreicher Manager, weil er Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik ist. Und der Gründer eines Fin-Techs muss kein Bankkaufmann sein, um der Deutschen Bank erfolgreich davon zu sprinten.

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