Finanzvorstand Vom Chef-Controller zum Konzernlenker

Wenn der neue Allianz-Chef Oliver Bäte diese Woche sein Amt antritt, trifft er in den Dax-Chefbüros auf lauter Gleichgesinnte. 10 der 30 Vorstandsvorsitzenden waren zuvor schon für die Finanzen verantwortlich. Controller durchschauen alle Konzernbereiche, bewahren in der Krise einen kühlen Kopf und verstehen Investoren. Sind sie aber auch kreativ genug?

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Diese Dax-Chefs waren alle mal Finanzvorstände
Oliver Bäte Quelle: dpa
Kurt Bock Quelle: dpa
Timotheus Höttges Quelle: AP
Joe Kaeser Quelle: REUTERS
Karl-Ludwig Kley Quelle: AP
Ulf Schneider Quelle: REUTERS
Norbert Steiner Quelle: dpa

Es ist noch nicht so lange her, da war Gisbert Rühl im Silicon Valley. Das ist einerseits für den Vorstandschef eines großen Unternehmens, wie der Stahlhändler Klöckner eins ist, nichts Besonderes; viele deutsche Firmenoberhäupter erhoffen sich vom Besuch der digitalen Hochburg eine mentale Verjüngungskur. Andererseits lässt so eine Tour zu den Technikhelden dieser Welt in einer Branche, in der man für Bestellungen gerne noch das Faxgerät nutzt, dann doch aufhorchen. Und so hatte Rühl bei der diesjährigen Bilanzpressekonferenz seines Unternehmens allerlei zu berichten. Zum Beispiel, dass Klöckner eine eigene Digitaltochter mit Sitz in Berlin gegründet hat. Und wie das Unternehmen langfristig die gesamte Liefer- und Leistungskette im Stahlhandel via Internet abwickeln will. Statt Zahlen und Finanzkauderwelsch präsentierte Rühl Visionen.

In diesen Branchen kriegen die Chefs am meisten

Wie anders noch die Situation vor sieben Jahren. Da war Rühl Finanzvorstand des Stahlhändlers, den alle nur Klöco nennen. Sobald es zum spannenden Teil überging, musste er das Wort an den damaligen CEO Thomas Ludwig abgeben. Ein Jahr später hatte Rühl es geschafft: vom Bilanzversteher zum Boss. Schließlich hatte sich der Finanzfachmann während der Krise bewährt. Außerdem passte die Personalie zum Plan des Unternehmens, durch Zukäufe zu wachsen – ein Leib- und Magenthema des Finanzers. Und so gelang ihm ein Aufstieg, der damals noch unüblich war. Der Finanzvorstand galt als Spaßbremse, Pedant; einer, der tolle Ideen mit einem einzigen Blick in die Bilanz erstickt. Und heute ist Rühl der Großstratege, beeindruckt von den Ideen des Silicon Valley.

Das sind die erfolgreichsten CEOs der Welt
Platz 89: Martin WinterkornDer Vorsitzende von Volkswagen landet in der Rangliste der "Harvard Business Review" auf Platz 89. Für die Studie analysierte die Redaktion die Leistung von 832 CEOs weltweit - und zwar im Hinblick auf die Entwicklung der Aktie und der Marktkapitalisierung. Winterkorn ist seit 2007 bei VW und konnte seitdem den Marktwert des Automobilherstellers um 70 Milliarden Dollar steigern. Quelle: dpa
Platz 73: Herbert HainerHerbert Hainer ist seit 2001 Vorsitzender von Adidas, dem zweitgrößten Sportartikelhersteller der Welt mit 110 Tochtergesellschaften. Seitdem hat sich der Marktwert von Adidas um 17 Milliarden Dollar erhöht. Quelle: dpa
Platz 59: Wolfgang ReitzleDer ehemalige Vorsitzende von Linde, Wolfgang Reitzle, schafft es ebenfalls unter die Top 100 der erfolgreichsten CEOs. In seiner Amtszeit von Januar 2003 bis Mai 2014 stieg der Marktwert des Unternehmens um 29 Milliarden Dollar. Quelle: dpa
Platz 41: Ulf SchneiderDer Fresenius-Chef kommt sogar unter die 50 erfolgreichsten Manager der Welt. Unter seiner Führung stieg der Marktwert um 22 Milliarden Dollar. Quelle: dpa
Platz 19: Elmar Degenhart Bester deutscher Manager ist Elmar Degenhart, seit 2009 Vorstandsvorsitzender von Continental ist. Er steigerte den Marktwert des Automobilzulieferers um 38 Milliarden US-Dollar. Quelle: dapd
Platz 10: William DoyleSeit 1999 ist William Doyle CEO bei PotashCorp, dem weltweit größten Hersteller von Düngemitteln für die Landwirtschaft. Der Marktwert von PotashCorp stieg in dieser Zeit um 37 Milliarden Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 9: Mark DoneganSeit 27 Jahren arbeitet Mark Donegan für Precision Castparts, das größte Gießereiunternehmen der Vereinigten Staaten. Seit 2002 ist er dort CEO, die Marktkapitalisierung stieg um 34 Milliarden Dollar.

Finanz-Chefs kommen an die Spitze von Konzernen

Ämter machen eben Leute. Oder verändern doch eher Leute Ämter? Diese Spitzfindigkeit könnte eine relevante Frage für die Zukunft der deutschen Unternehmenswelt werden. Denn was Rühl vormachte, hat sich zum Trend gemausert: An die Spitze der Konzerne schwingen sich Finanzer.

Oliver Bäte, der nach Stationen als Finanzchef und zuletzt West- und Südeuropachef in das Büro des Allianz-Vorstandschefs zieht, ist nur der jüngste eines ganzen Reigens ehemaliger Oberfinanzdirektoren, die nun das Gesamtunternehmen leiten. Mit Bäte sind 10 von 30 Dax-Vorstandschefs seit jeher gut mit dem Taschenrechner befreundet; mit Werner Baumann bei Bayer rechnet sich Nummer elf gerade als möglicher Nachfolger von Marijn Dekkers beste Karrierechancen aus. Und auch die E.On-Abspaltung Uniper wird künftig vom bisherigen E.On-Finanzchef Klaus Schäfer geführt. In den USA lag der Anteil der Finanzvorstände, die auf den Chefsessel der größten börsennotierten Unternehmen rückten, im Jahr 2013 bei 25 Prozent. 1999 waren es noch zehn. Und abseits des Dax entwerfen Herren wie Metro-Chef Olaf Koch, Thomas Rabe von Bertelsmann oder Stephan Gemkow von Haniel nun Strategien statt Bilanzen.

Erfolgreiche Finanzchefs

Spiegeln die aufgehübschten Karriereaussichten von Controller und Co. die gestiegene Qualität von Deutschlands Finanzern wider, oder wird die Controller- und Zahlenlogik nun auf Jahre hinaus die Unternehmenswelt plagen? Siegt gar der Einfluss der Kapitalmärkte? Und bräuchten Unternehmen nicht gerade in Zeiten des rasanten digitalen Wandels eher Kreativität als Controlling?

Fakt ist, dass erfolgreiche Finanzchefs eine ganze Reihe von Stärken mitbringen. Zum einen hat sich ihre Position dank Finanzkrise und immer komplexer werdender Finanzstrukturen insgesamt gestärkt. Sie sprechen die Sprache von Investoren und Kapitalmärkten und haben anders als andere Vorstände Einblick in alle Unternehmensbereiche. Zudem versprechen sie Rationalität und einen kühlen Kopf, was gerade in Krisenzeiten nie schadet. Und: Sie sind die Idealbesetzung für Anteilseigner, die eher auf Rendite denn auf technischen Fortschritt aus sind.

Gesundes Selbstbewusstsein der Controller

Klöco-Chef Rühl, 56, räumt zunächst mit einem Vorurteil auf. „Ich war nie besonders zahlenverliebt“, sagt er. „Wer sich nur auf die Zahlen konzentriert, sollte Finanzvorstand bleiben.“ Und macht deutlich, dass der Posten für ihn immer nur ein Sprungbrett war. „Mein Ziel war der Vorstandsvorsitz“, sagt er. „Ich wollte gestalten und nicht nur verwalten.“ Dafür schien der Posten als Finanzvorstand aussichtsreich – schließlich war es Rühl, der in den Krisenjahren nach der Lehman-Pleite die Verhandlungen mit Banken und Kapitalgebern führte. „Das war meine Stärke.“

Solche Aussagen zeigen zum einen das gesunde Selbstbewusstsein der Finanzer. Laut einer Umfrage des Personalvermittlers Robert Half unter 200 deutschen Finanzvorständen, trauen sich 70 Prozent von ihnen zu, auf der Stelle auf den Chefposten zu wechseln. 80 Prozent sind überzeugt, dass Kenntnisse im Finanz-und Rechnungswesen die Chance auf einen Platz in der Geschäftsführung erhöhen.

Strategen haben die steifen Buchhalter abgelöst

Zum anderen zeigt es aber auch, wie stark sich das Berufsbild verändert hat. „Der CFO von heute ist mit einem kaufmännischen Vorstand oder Geschäftsführer von früher nicht mehr vergleichbar“, sagt Tiemo Kracht, Geschäftsführender Partner der Personalberatung Kienbaum. Strategen haben die steifen Buchhalter abgelöst.

Da wäre etwa Joe Kaeser. Schon als Siemens-Finanzvorstand hat er durchblicken lassen, dass er es eigentlich besser kann, als sein Chef, Peter Löscher. Zum Beispiel stichelte Kaeser, Löscher und er seien wie Licht und Schatten – wen er dabei als Licht bezeichnete, war den meisten klar. Und so ließ er auch nicht viel Zeit verstreichen, um die von Löscher erst wenige Jahre zuvor mit großem Tamtam entworfene Konzernstruktur wieder abzuschaffen. Statt der vier großen Sparten Energie, Gesundheit, Industrie sowie Infrastruktur und Städte gibt es nun zehn Bereiche.

Einer jener ehemaligen Controller, die es nach ganz oben im Dax schafften, sagt: „Als CFO hat man heutzutage mehr und mehr Strategie-Aufgaben.“ Und Kienbaum-Partner Kracht findet: „Der Finanzvorstand hat den Helikopterblick über das ganze Unternehmen.“ Ein unschlagbarer Vorteil in immer verworreneren Unternehmensstrukturen, in denen oft die eine Hand nicht weiß, was die andere macht.

Finanzchefs mit Überblick

Denn meist arbeitete der Finanzvorstand zuvor schon jahrelang Seite an Seite mit dem Vorstandsvorsitzenden. So war es nicht nur bei Siemens, sondern auch bei der Telekom. Nach seinem Amtsantritt als Neu-CEO sagte Timotheus Höttges in einem Interview mit dem „Handelsblatt“, dass sich seine inhaltlichen Aufgaben „wenig bis gar nicht verändert“ hätten. Strategisches „habe ich mit meinem Vorgänger René Obermann schon jahrelang als Finanzvorstand besprochen und entwickelt“, sagt er.

CFO und CEO bewegen sich heute auf Augenhöhe und stehen im ständigen Austausch miteinander. Das verschafft dem Finanzer, der hierarchisch eigentlich eher neben Personal-, Technik- oder Vertriebsvorstand angesiedelt ist, einen für die Ebene ungewöhnlichen Überblick.

Und er hat Kontakt und das Vertrauen von einer Gruppe, die immer wichtiger wird: den Investoren. Matthias Zachert ist so ein Manager, der die Macher an den Märkten entzückt. Als Ende Januar 2014 bekannt wurde, dass der ehemalige Finanzvorstand des Pharmakonzerns Merck an die Spitze des Chemieriesen Lanxess wechselte, feierten die Handelsplätze eine Party: Der Lanxess-Kurs stieg um zehn Prozent, gleichzeitig fiel der Merck-Kurs um zehn Prozent.

Zachert hatte zuvor den größten Umbau in der fast 350-jährigen Unternehmensgeschichte vorangetrieben. Mit Erfolg: Der Kurs des Dax-Konzerns verdoppelte sich nahezu. Analysten sprachen sogar schon von der „Zachert-Prämie.“

Kraft der Zahlenmenschen

„Wir glauben, dass Lanxess unter der neuen Führung von Matthias Zachert die richtigen Schritte eingeleitet hat“, sagt etwa Christoph Ohme, Portfoliomanager beim Lanxess-Aktionär Deutsche Asset & Wealth Management. Die richtigen Schritte betreffen etwa Sparmaßnahmen. Bis 2016 will er jährlich rund 150 Millionen Euro bei der Verwaltung einsparen.

Nicht nur die Börsianer, auch andere Investoren setzen auf die Kraft der Zahlenmenschen. Reiner Winkler steht seit anderthalb Jahren an der Spitze des börsennotierten Triebwerkeherstellers MTU. Der 54-Jährige ist ein zurückhaltender Gesprächspartner. Fragen beantwortet er immer nur mit der gerade nötigen Anzahl von Wörtern. Kein großer Charismatiker, kein Schwätzer. So war eine seiner ersten Amtshandlungen als MTU-Chef, den von seinem Vorgänger versprochenen Sechs-Milliarden-Euro-Umsatz bis zum Jahr 2020 zurückzunehmen. Winkler wollte nichts versprechen, was er nicht halten kann. Der Triebwerkehersteller steht unter großem Druck: Lange Entwicklungszeiten und die Konkurrenz aus China drücken auf die Gewinne. Allein mit technischen Innovationen kann keiner der Hersteller mehr überleben. So fiel nach dem unerwarteten Abtritt seines Vorgängers die Wahl schnell auf Winkler; ein Diplom-Kaufmann folgte auf einen Luft- und Raumfahrtingenieur.

Sechs Tipps für Jobsucher

Die Neubesetzung passt zur Neuausrichtung des Unternehmens. Seitdem die ehemalige Daimler-Tochter MTU an den Finanzinvestor KKR verkauft wurde, hat sich der Fokus immer mehr von den technischen Innovationen auf das Ergebnis verlegt. Und auf die Frage: Verdienen wir damit auch Geld? „Im Moment ist in unserer Branche wenig Raum für Visionäres“, sagt Winkler. Die Märkte wird es freuen – schließlich ist ihnen eine ordentliche Marge wichtiger als die Entwicklung eines hoch technologisierten Bauteils.

Beispiele, die zeigen, wie sehr die Kapitalmärkte Einfluss auf Unternehmensentscheidungen nehmen. Das wissen auch Deutschlands Aufsichtsräte und berufen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders oft den Finanzvorstand an die Spitze.

Chefwechsel der Unternehmen

Als Siemens bekannt gab, Kaeser werde Peter Löscher ablösen, stieg der Aktienkurs um zwei Prozent an – eine Wertsteigerung von knapp 1,5 Milliarden Euro. Nachdem die Telekom am 20.12.2012 um 14.48 Uhr den Wechsel von Obermann zu Höttges verkündet hatte, war das Unternehmen am Abend etwa 460 Millionen Euro mehr wert als vor der Bekanntgabe des Chefwechsels.

„Wenn man sich die vergangenen Personalien anschaut, lässt sich ein Muster erkennen“, sagt Klaus-Peter Gushurst, Deutschland-Chef der Strategieberatung Strategy&. „In jüngster Vergangenheit haben wir beobachten können, dass Unternehmen ihre Vorstände umsortieren, sobald sie in schwierige, vor allem finanziell schwierige Situationen kommen.“

Sicherheit und Risikobewusstsein

Da passt auch der oberste Allianz-Vertreter ins Muster. Bäte erbt zwar auf dem Papier einen gesunden Konzern – doch die anhaltend niedrigen Zinsen sorgen für Druck im Geschäft mit den Lebensversicherungen. Sollte sich die Euro-Krise noch einmal verschärfen und Italien größere Probleme bekommen, wäre das auch für die Allianz schlecht: Schließlich hält der Versicherungskonzern rund 30 Milliarden Euro in italienischen Staatsanleihen.

Aber, vermutlich gilt, was ein ehemaliger Finanzvorstand und heutiger Dax-Chef sagt: „Als CFO lernt man gut, mit Komplexität und Schnelligkeit umzugehen.“

Zum neuen Selbstbewusstsein und der veränderten Rolle spielt den Finanzern so auch die aktuelle Gemütslage in einer Wirtschaftswelt, in der die einzige Kontinuität im besten Falle Wandel, und im schlechtesten Falle Umbruch heißt, in die Hände. Der Zahlenfachmann steht für Sicherheit und Risikobewusstsein.

Ein Zahlenmann wagt auch mal Einschnitte

Als etwa der damalige Lufthansa-Finanzchef Stephan Gemkow in Frankfurt seine Köfferchen packte, um fortan als Vorstandschef das Unternehmensreich der Haniel-Sippe in Duisburg zu verwalten, herrschten am neuen Wirkungsort unübersichtliche Zustände. Die Familie Haniel zerstritten, Metro-Aufsichtsratschef Jürgen Kluge und Metro-Vorstandschef Eckhard Cordes verließen das Unternehmen. Da war ein ausgleichender, scheinbar auf objektive Zahlen ausgerichteter Manager wie Gemkow genau richtig. Zudem bei Haniel die ein oder andere Transaktion anstand, um das Firmengeflecht zu entwirren.

Ein Zahlenmann wagt auch mal Einschnitte, stößt Geschäftsbereiche ab, damit andere wachsen können. Das fällt einem CEO mit technischem Hintergrund deutlich schwerer. „Der Finanzvorstand hat nicht so eine starke Bindung zum Produkt und trifft deshalb oft rationalere Entscheidungen“, sagt Kienbaum-Manager Kracht.

Kreativität und die Kraft, ein Unternehmen neu zu erfinden

Damit trotzdem kein Verdacht aufkommt, die nicht in allen Unternehmensbereichen geschätzte Mentalität des CFOs eins zu eins auf das neue Amt zu übertragen, setzt etwa Gisbert Rühl voll auf die Kraft der kreativen Zerstörung. Zum Beispiel, indem er einen zweistelligen Millionenbetrag in Start-ups investiert, die die eigene Wertschöpfungskette angreifen sollen. „Wenn wir es nicht machen, macht es jemand anders“, sagt Rühl.

Kreativität und die Kraft, ein Unternehmen neu zu erfinden – zwei Eigenschaften, die wohl kaum jemand mit dem Finanzer in Verbindung bringt. Aber ein absolutes Muss in einer Zeit, in der sich ein Vordenker wie Amazon-Gründer Jeff Bezos permanent fragt, was sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren eigentlich nicht ändern wird. Wäre es da vorstellbar, dass im Silicon Valley, wo sie an der Zukunft arbeiten, ein Controller plötzlich Vorstandschef würde? Hätte Apple das iPhone erfunden, wenn ein Buchhalter statt Steve Jobs an der Spitze des Unternehmens gestanden hätte? Oder der Elektroautohersteller Tesla – würden diese futuristischen Sportwagen heute auch herumfahren, wenn Elon Musk sich nur auf den Deckungsbeitrag verlassen hätte?

Kundenpflege und Entwicklung neuer Produkte

Vermutlich nicht. „Ein CFO ohne strategischen Weitblick kann kein erfolgreicher CEO sein“, sagt Thomas Fischer, der einen Lehrstuhl für Rechnungswesen und Controlling an der Universität Erlangen-Nürnberg innehält. „Vorstandsvorsitzende wie Joe Kaeser oder der BASF-CEO Kurt Bock sind Unternehmerpersönlichkeiten, die vorher schon in vielen Bereichen und Funktionen gearbeitet haben“, sagt er.

So war Siemens-Chef Kaeser bereits als Chefstratege des Unternehmens unterwegs, arbeitete in Malaysia und Kalifornien. Kurt Bock verantwortete bei Robert Bosch das Brasilien-Geschäft und war bei BASF für den Bereich Logistik und Informatik zuständig.

Verschiedene Einsichten in Geschäftsprozesse zu erlangen – eine Grundvoraussetzung für Innovationen. Der Harvard-Professor Clayton M. Christensen zeigte schon in seinem fast 20 Jahre alten Standardwerk „The Innovator’s Dilemma“ auf, wie kerngesunde Unternehmen sich selbst schwächen, wenn sie immer nur die gleiche Brille aufsetzen. Unternehmen mit Kundenfokus können etwa Probleme dabei haben, weil sie ihr Hauptaugenmerk auf die Pflege bestehender Kunden konzentrieren. Und eben nicht auf die Entwicklung neuer Produkte.

Womit wir wieder bei Gisbert Rühl wären, dem Klöco-Chef, der immerhin dem Geist des Silicon Valleys schon mal nahegekommen ist. Und gerne aus „The Innovator’s Dilemma“ zitiert. Ob ihn seine Vergangenheit als CFO trotzdem manchmal bremse? Er grübelt und sagt dann: „Ich würde niemals etwas tun, das das Unternehmen in Gefahr bringen könnte.“

Umstrukturierung

Wenn Finanzvorstände im Amt des Vorstandschefs nicht vollends reüssieren, dann oft wegen kleinerer Dinge als der digitalen Revolution. So mangelt es dem Metro-Chef Olaf Koch wohl vor allem am diplomatischen Geschick. Er schaffte es etwa noch nicht, eine Lösung im Machtkampf mit dem Media-Saturn-Minderheitseigner Erich Kellerhals auszuhandeln. Auch mit Gemkow, Chef des Metro-Haupteigners Haniel, verbinden ihn nicht gerade freundschaftliche Gefühle. Der ganz große Wurf für die Zukunft des einstigen Dax-Absteigers fehlt bisher. „Die Wertentwicklung bei Metro ist seit Jahren nicht so, wie wir sie gerne hätten“, krittelte Gemkow etwa im Februar in einem Interview mit der „Welt“ und fügte noch vielsagend hinzu: „Mit dieser Feststellung will ich nicht die Leistung des Managements bewerten.“

Vielleicht passen auch RWE und E.On gut zu den Erfahrungen. Mit Peter Terium und Johannes Teyssen stehen dort zwei ehemalige CFOs an der Spitze. Die Strombranche kämpft gerade gegen die Probleme der Energiewende und um ihre Zukunft. Visionen oder Umstrukturierung könnten helfen. Für welchen Weg sich zumindest Teyssen entschieden hat, ist klar. Der E.On-Chef trennt sich von den Bereichen Erdgas, Kohle und Nuklearenergie. Er setzt, zunächst, in erster Linie auf Umstrukturierung.

Wenn Ex-CFO auf Ex-CFO trifft, dann geht es schnell um Themen wie Dividendenhöhe, die Abspaltung von Unternehmensteilen – selten aber um große Revolutionen. Kritikpunkte, weswegen man etwa in der Autoindustrie noch skeptisch gegenüber Finanzern als Chef ist.

Sich auf kreative Denkprozesse einlassen – das ist die eine große Herausforderung für den Finanzexperten. Die andere große Aufgabe, mit der sich die Neu-CEOs konfrontiert sehen, ist die Aufmerksamkeit, die ihnen plötzlich zuteilwird.

Training für CFOs

MTU-Mann Winkler etwa zählt Interviews und Pressekonferenzen nicht zu seinen Lieblingsaufgaben. „Aber auch das gehört zur Rolle, und jedes Wort wird genau beobachtet“, sagt er. „Auf einmal bist du der Kopf, der das Unternehmen repräsentiert“, sagt auch Klöco-Chef Rühl. Um sich auf diese Aufgaben vorzubereiten, absolvieren manche CFOs sogar ein Training. So zog Telekom-Chef Höttges vor seinem Amtsantritt für sechs Wochen ins Silicon Valley um einem Sommerkurs für Top-Manager an der Stanford-Universität zu absolvieren.

Die nächste Generation CFO soll das schon von Beginn an beherrschen. Das findet jedenfalls der Nürnberger Professor Fischer. Er arbeitet eng mit Siemens-CFO Ralf Thomas zusammen. Gemeinsam entwickeln sie für die Studenten Aufgaben aus der Praxis. Ihr Ziel: „Wir wollen nicht, dass die Studenten nur die Buchhalterbrille aufhaben, sondern auch die Auswirkungen ihrer Rechnung ganzheitlich betrachten und lernen, Szenarien zu entwickeln“, sagt Fischer. Das alles führt dazu, dass sich mittlerweile auch Studenten bei ihm einschreiben, die sich früher niemals für den Bereich interessiert hätten.

Und doch gibt es noch die eine Sache, bei der man den Finanzer nicht aus dem CEO bekommt. „Egal, was ich mache, ich habe immer diese eine Zahl im Kopf“, sagt Rühl. „Diese eine Zahl, die ich mit keiner Investition oder keinem Zukauf überschreiten würde.“ Diese eine Zahl, das ist die Summe, mit der Rühl, falls die Investition schiefgehen würde, das Unternehmen ernsthaft in Gefahr bringen würde.

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