Flexibilität Vom Arbeitsplatz der Zukunft sind wir weit entfernt

Hinter dem „Arbeitsplatz der Zukunft“ verbirgt sich die Forderung nach mehr Flexibilität. Die ist schon 20 Jahre alt. Trotzdem sind wir vom flexiblen Arbeiten weit entfernt. Denn nur mit Home-Office ist es nicht getan.

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Angela Merkel hat mit 140 Quadratmetern das wohl größte Chefbüro Deutschlands. Und damit liegt sie voll im Trend. Obwohl überall von Open Space und dynamischen Arbeitsplätzen die Rede ist, die passend zur aktuellen Aufgabe gewählt werden – 58 Prozent von Deutschlands Bossen sitzen nach wie vor im Einzelbüro mit Panoramablick, wie eine Studie von Ipsos und dem Büroausstatter Steelcase zeigt. Zum Vergleich: Nur 21 Prozent der Angestellten haben ein eigenes Büro. Mit dem viel gepriesenen Arbeiten der Zukunft oder New Work hat die Zweiklassen-Gesellschaft im Büro nicht viel zu tun.

Allgemein herrscht in Deutschland bei der Veränderung des Arbeitens Nachholbedarf.

Zwar halten sich 40 Prozent der Unternehmen beim modernen Arbeiten für relativ fortschrittlich. Dafür hat sich jedes siebte Unternehmen noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt. Entsprechend winken 79 Prozent der Deutschen ab, wenn sie gefragt werden, wie modern ihr Arbeitsumfeld ist. Dies sei „weit entfernt“ beziehungsweise „nur ansatzweise so“, wie sie sich den Arbeitsplatz der Zukunft vorstellen.

Das ist das Ergebnis einer Studie, für die das Düsseldorfer Telekommunikationsunternehmen sipgate gemeinsam mit dem Umfrageinstitut IDG Research Services mehr als 1500 Unternehmen und Mitarbeiter zu ihren Vorstellungen über den Arbeitsplatz der Zukunft befragt hat.

Für Udo-Ernst Haner ist das Thema nicht neu „Seit 20 Jahren benennen wir den Bedarf, Arbeitsweisen zu flexibilisieren“, sagt der Leiter des Bereichs „Information Work Innovation“ beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Entsprechend lange gibt es auch die Definition des modernen Arbeitsplatzes. Er ist kommunikativ, ermöglicht die Zusammenarbeit verschiedener Kollegen, im Zweifelsfall ist er mobil, auf jeden Fall aber flexibel. Heißt: Er passt sich den Arbeitsanforderungen und den Bedürfnissen der Mitarbeiter an – und nicht umgekehrt.


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Das ist auch den Angestellten sehr wichtig, wie die besagte Studie „Arbeitsplatz der Zukunft“ zeigt: 60 Prozent der Frauen wollen im Home-Office arbeiten können, für Männer ist der standortunabhängige Datenzugriff besonders wichtig. „Das ist allerdings – aus verschiedenen Gründen – noch nicht überall verinnerlicht und in Angriff genommen“, sagt Haner. „Im Mittelstand steht häufig das operative Geschäft und insbesondere die Produktion, im Vordergrund. Die Wissensarbeit im Büro ist gerne mal nachrangig. Außerdem ist es tatsächlich eine Herausforderung, die eigene Arbeitsweise zu hinterfragen und zu verändern.“

Dazu gehöre mehr als nur ein neuer Laptop, höhenverstellbare Schreibtische oder eine Home-Office-Regelung, wie Haner sagt. „„Es ist all das zusammen und noch mehr – und das abgestimmt auf die Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Es ist eine Veränderung der Unternehmenskultur und eine Aufgabe der Organisationsentwicklung. Deshalb gehen die Unternehmen auch alle unterschiedlich mit dem Thema um.“

Überall dieselben Fragen – und unterschiedliche Antworten

Um beim modernen Arbeiten voran zu kommen, müssten die Unternehmen sich nicht nur über Büroeinrichtungen und technische Ausstattung Gedanken machen, sondern sich auf den Mehrwert konzentrieren, den modernes Arbeiten generieren kann und soll. „Das ist Schnelligkeit, Mitarbeiterzufriedenheit und letztlich Innovationsfähigkeit. Hier müssen sich die Unternehmen fragen, wie sich das bewerkstelligen lässt“, sagt Haner. Dafür könne man sich natürlich anschauen, wie es andere Unternehmen machen. Was aber nicht funktioniere, sei, die Lösung eines Unternehmens einfach auf ein anderes zu übertragen. „Ein technikaffines Unternehmen aus der IT-Branche hat potenziell einen ganz anderen Zugang zu modernen Arbeitsweisen, als beispielsweise eines aus der Baubranche“, sagt er. Zwar müssten sich beide dieselben Fragen stellen, die Antworten seien jedoch andere.

Flexibilisierungsmöglichkeit Coworking


Ein weiteres Problem ist die Technik, wie die Befragung „Digital Workplace Report: Transforming Your Business“ des IT-Dienstleisters Dimension Data zeigt. Für diese Erhebung wurden über 800 Führungskräfte in Wirtschaft und IT aus großen Unternehmen befragt. 62 Prozent gaben an, dass IT-Probleme eines der größten Probleme bei der Veränderung der Arbeitsweise seien.

Junge Unternehmen haben einen Weg gefunden, die IT-Probleme zum umgehen. Anstatt ein eigenes Büro anzumieten und sich selbst um die Einrichtung, die Telefonanlage, Hard- und Software zu kümmern, setzen viele von ihnen auf Coworking-Spaces. Da ist der Service im Preis mit inbegriffen, die Gebäude sind meist zentral an attraktiven Standorten gelegen und Räume individuell nach den jeweiligen Anforderungen buchbar. „Die Adresse, die Architektur und den Service, den wir hier geboten bekommen, muss man sich in einem eigenen Büro erst mal aufbauen“, bestätigt Laura Wamprecht von Flying Health Incubator.

Und wenn diese Infrastruktur erst einmal für viel Geld aufgebaut ist, fällt es schwer, sie wieder über den Haufen zu werfen, um sich an neue Trends anzupassen. Flying Health Incubator, das Start-ups aus der Gesundheitsbranche unterstützt, sitzt in einem Coworking-Space von Mindspace in der Berliner Friedrichstraße. „Wir können hier flexibel auf die Bedürfnisse unserer Start-ups eingehen – für einige sind feste Arbeitsplätze bei uns vor Ort das richtige Modell, andere kommen tageweise oder für einzelne Meetings vorbei“, erzählt sie. Man bringe einfach seinen Laptop mit und fange an zu arbeiten, sagt sie.

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Wie die Erfahrung von Haner und seinen Kollegen zeigt, wirken sich Coworking darüber hinaus auch noch positiv auf die Arbeitsergebnisse aus. „Wir haben 2005 und 2006 in einer der allerersten Coworking Spaces in Finnland erkennen können, welchen Wert der Community-Ansatz und damit die Impulse der anderen Coworker für die eigene Arbeit haben“, erzählt Haner. Die Selbstständigen, die Haner mit seinen damaligen finnischen Kollegen im Projekt Network Oasis damals in einer Coworking-Fläche zusammen gebracht habe, haben dort in der Gemeinschaft produktiver gearbeitet und mehr neue Ideen entwickelt als allein zu Hause. „Davon wollen natürlich auch Unternehmen profitieren“, sagt Haner. In der Folge werde sich Coworking als ein Element der Arbeitsorganisation genauso etablieren wie das Home-Office.

Rundum-sorglos-Service von der Paketübernahme über den Kaffee bis zum Techniker

Auch die Mitarbeiter traditioneller Unternehmen sollen an attraktiven Standorten zusammenkommen und frei von starren Rahmenbedingungen Neues entwickeln können. Entsprechend gehören zu den Mietern von Mindspace auch Konzerne wie Volkswagen, DB Schenker oder traditionelle Mittelständler wie Schwan-Stabilo. „Im Mindspace haben vom kleinen zweiköpfigen Parfümhersteller, über gut finanzierte FinTech-Start-ups, bis zu Samsung die verschiedensten Unternehmen Büroflächen“, bestätigt Chris Jungjohann von der Influencer Marketing-Agentur Takumi. Sein Unternehmen sitzt aber vor allem wegen der Flexibilität im Berliner Coworking-Space „Ein eigenes Büro hätte nur Nachteile“, sagt er. „Als dynamisches Team brauchen wir ein Umfeld, dass sich an unsere Bedingungen anpasst und nicht andersherum. So haben wir adaptive Verträge und können unsere Bürofläche von einem Monat auf den anderen verdoppeln, falls das nötig ist.“

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Außerdem schätze er den Rund-um-sorglos-Service: „Wir haben eine Rezeption, die Pakete für uns annimmt und Besucher empfängt, wir müssen uns weder um Reinigung, Strom, Internet, Meetingräume oder Technik kümmern.“ Auch die Miete sei vertretbar, wie Maria Gross vom German Tech Entrepreneurship Center (GTEC) sagt: „Bis zu einer bestimmten Größe halten sich die Kosten zwischen eigenem Büro und Coworking sich die Waage.“

Für Unternehmen, die zumindest die Arbeit ihrer Büro-Angestellten modernisieren wollen, wäre Coworking also eine mögliche Ergänzung zum traditionellen Produktionsgebäude mit angeflanschtem Bürokomplex. Im Zweifelsfall ist es eine Möglichkeit, moderne Arbeitswelten einmal auszuprobieren, ohne gleich die Kosten für einen kompletten Umbau inklusive Umstellung der Technik wuppen zu müssen.


Beziehen Sie die Mitarbeiter ein


Ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen ist immer noch besser, als nichts zu tun. „Es ist gut, dass so viele Unternehmen ausprobieren, was zu ihnen passt und Pilotprojekte starten. Wer sich intensiv mit seiner Arbeitsweise beschäftigt, erkennt seine Stärken und Schwächen“, sagt Haner. Diese Vorgehensweise wird sogar von der Bundesregierung unterstützt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert ganz aktuell sogenannte Lern- und Experimentierräume.

Das bedeute nicht, dass alles Neue gut und alles Alte schlecht sei. „Vielmehr müssen Unternehmen sehr situativ entscheiden, für welche Aufgabenstellung welche Arbeitsweise gut beziehungsweise geeignet ist“, sagt Haner.

Immerhin: Knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen haben bereits eine dedizierte Strategie für neue Arbeits- und Mobilitätskonzepte entwickelt. Die Ziele sind hier Flexibilität, Agilität, Produktivität sowie die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit.

Zur Förderung von Mobilität und Flexibilität nutzen Unternehmen vielerorts schon entsprechende Kommunikationstools, wie die Studie von sipgate und IDG Research Services zeigt. Nur sehr innovativ sind die Firmen bei der Wahl der Mittel nicht: 56 Prozent setzen auf Telefonkonferenzen, um die Zusammenarbeit von Menschen an verschiedenen Standorten zu erhöhen.

Es geht nicht ohne Kommunikation

Demokratie, sei es bei der Bildung, der Aufgabenteilung oder der Raumplanung, ein wichtiges Kriterium für modernes Arbeiten. Die Einbeziehung der Mitarbeiter ist für den Erfolg der Transformation zum Arbeitsplatz der Zukunft ausschlaggebend, wie es in der Arbeitsplatzstudie heißt. Die Ergebnisse zeigen aber, dass es in dem Bereich noch deutliches Verbesserungspotential gibt. Nur ein Drittel der Unternehmen informiert die Arbeitnehmer regelmäßig, wo ihr Betrieb steht und welche Schritte als nächstes in Angriff genommen werden sollen.

Dieses Unwissen mache vielen Mitarbeitern Angst, heißt es in der Studie: Braucht mich das Unternehmen morgen noch? Muss ich rund um die Uhr für Chefs und Kunden zur Verfügung stehen? Übernimmt ein Roboter meinen Job? Das seien Fragen, die sich Mitarbeiter stellen – und die 69 Prozent der Unternehmen nicht beantworten (können). Auch deshalb ist es so wichtig, dass Unternehmen darüber nachdenken, wie sie arbeiten und wie sie in Zukunft arbeiten wollen. Dann beantworten sich nicht nur die Fragen nach Home-Office oder Großraumbüro, sondern auch die der Belegschaft.

Haner fasst es so zusammen: „Bei jedem Rollout, bei jedem neuen Werk und bei jeder Idee für ein neues Produkt sollte man sich fragen: sind wir am Puls der Zeit? Brauchen wir mehr Impulse von außen? Wie funktionieren bei uns Innovationsprozesse? Haben wir die richtigen Arbeits- und Kommunikationsweisen, um das maximale Potenzial der Neuerung zu erschließen? Brauchen wir mehr Impulse von außen? Wie müssen wir unsere Organisation aufstellen, um zukünftig erfolgreich zu sein?"
Dabei sollte dann zumindest eines klar werden: Die Zielgruppe lernt man nicht im Einzelbüro kennen.

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