Führungskräfte sollen Perspektive wechseln Firmenchefs, auf geht's ins Sozialpraktikum!

Zum Praktikum in die Drogenberatung, ins Behindertenwohnheim oder ins Hospiz: Unternehmen ermutigen ihre Führungskräfte zum Sozialdienst auf Zeit - ein Seitenwechsel, von dem beide Seiten profitieren.

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Dietmar Bärtele, 61. Arbeitgeber: Kreissparkasse Waiblingen; Soziale Einrichtung: Behindertenwohnheim der Diakonie;

Bei der Frage nach dem passenden Outfit musste Sparkassenmanager Dietmar Bärtele erst mal schlucken. "Etwas, das vollgesabbert werden kann", sollte er mitbringen. Kein Wunder, dass der 61-Jährige anfangs "einen Mordsbammel" vor seiner neuen Aufgabe hatte.

Verrückte Angebote fürs Teambuilding
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Statt als Abteilungsdirektor des Kompetenzcenters Kredit Kunden der Kreissparkasse Waiblingen mit seinen 100 Mitarbeitern in Finanzfragen zu beraten, versorgte er als Praktikant der Diakonie in einem Dorf für Behinderte zusammen mit einer Heilerziehungspflegerin eine Woche lang vier schwerst körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche - vom Wecken übers Waschen und Füttern bis hin zum Windelnwechseln. Keiner der Jungs konnte selbstständig laufen, essen oder sich verständlich machen. "Um halb zehn Uhr morgens war ich schon so fertig wie nach einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag mit Marathonmeetings", erzählt er. "Aber was mir diese Woche gebracht hat, kann man auf keinem Führungsseminar lernen."

Mit anderen Augen auf die Welt schauen: Genau auf diesen Effekt zielen Arbeitgeber ab, wenn sie Manager wie Bärtele dabei unterstützen, sich für einige Zeit sozial zu engagieren statt über Gewinnmaximierung nachzudenken. Zahlreiche Unternehmen aller Branchen verschreiben ihren Führungsriegen einen Seitenwechsel der besonderen Art: Eine Woche lang tauschen sie die Teppichetagen ihres Unternehmens gegen Hospiz, Bahnhofsmission oder Justizvollzugsanstalt.

Mit Gutmenschentum hat das nichts zu tun. "Die Unternehmen haben damit schlicht die Karriereplanung ihrer Leistungsträger im Blick", sagt Theo Wehner, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. Das Ziel der Arbeitgeber: die Stärkung der Sozialkompetenz ihrer Führungsriege - "eine Fähigkeit, die nicht wenigen Managern noch immer fehlt."

Warum sich Unternehmen mit sozialem Engagement ihrer Mitarbeiter schmücken. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Kein Wunder, dass Sozialpraktika häufig verordnet werden. Allein über die Patriotische Gesellschaft von 1.765 in Hamburg absolvierten bundesweit mehr als 1.500 Manager einen Seitenwechsel - von BMW bis Telekom, von Airbus bis Shell, von Beiersdorf bis Vattenfall. Andere organisieren soziale Trainingslager in Eigenregie. Bei Lufthansa etwa zimmerten Führungskräfte einen Spielplatz für Aussiedler, bei RWE entwickelten Nachwuchsmanager ein Marketingkonzept für eine Kinderschutzorganisation, und bei Siemens halfen leitende Angestellte beim Bau eines Hauses für missbrauchte Kinder.

Von solchen Einsätzen profitieren alle Seiten. Die sozialen Einrichtungen erhalten tatkräftige Hilfe und manchmal auch etwas Management-Know-how, die Führungskräfte selbst kurbeln ihre Sozialkompetenz und damit – nicht zuletzt - ihre Karriere an.

Aber auch ihre Arbeitgeber profitieren von der Freistellung. Das geht aus dem Engagementbericht 2012 der Bundesregierung hervor, für den das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) mehr als 2300 Unternehmen befragte, die ihre Mitarbeiter immer wieder zu Sozialeinsätzen schicken (siehe Grafik).

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Zehn Zauberformeln für Mitarbeiterzufriedenheit
1. ZuhörenHören Sie ihrem Mitarbeiter einfach mal aufmerksam zu. Was sind seine Sorgen, Ängste, Nöte? Was spornt ihn an? Wo liegen seine Interessen? Welche Aufgaben übernimmt er gerne und was liegt ihm besonders am Herzen? Der Chef, der ein paar Minuten für seine Mitarbeiter opfert, wird kurz über lang Stunden zurück erhalten. Quelle: Fotolia
2. LobenStellen Sie öfter mal die positiven Ergebnisse in den Mittelpunkt und stärken damit die gewünschte Richtung. Achten Sie darauf, dass der Einsatz dieser Zutat nicht überdosiert wird und stehen Sie auch zu dem Gesagten. Wichtig ist: Die Anerkennung muss aufrichtig sein Quelle: Fotolia
3. Zeit gewährenWer den Lebensrhythmus seiner Mitarbeiter kennt, kann sie für individuelle Arbeitszeiten nutzen. Arbeitet er lieber früh oder spät? Hat er Kinder? Der Chef, der die Vorlieben und Ansprüche seiner Mitarbeiter kennt, sie wenn möglich entsprechend einsetzt, wird die Zufriedenheit steigern können. Quelle: Fotolia
4. Angemessen bezahlenSetzen Sie sich dafür ein, dass Ihre Mitarbeiter gut und gerecht bezahlt werden. Krasse Gehaltsunterschiede bei Mitarbeitern gleicher Qualifikation und mit vergleichbaren Aufgaben sorgen für unproduktive Unruhe.  Quelle: Fotolia
8. Die QualitätstrilogieDas besagt diese Theorie: Drei Schritte sind es laut Joe Juran zum Erfolg. Qualitätsplanung, Qualitätsverbesserung und Qualitätskontrolle. In der Planungsphase wird festgestellt, wer die Kunden eines Unternehmens sind und welche Bedürfnisse sie haben. Im Zug der Qualitätsverbesserung wird die Infrastruktur aufgebaut, die notwendig ist, um die Qualität des Unternehmens zu verbessern. Bei der Qualitätskontrolle wird schließlich die erbrachte Leistung im Verhältnis zu den Erwartungen beurteilt.So wenden Sie diese Theorie an: Stellen Sie ein Qualitätsteam zusammen, das Ihr Programm zur Qualitätsverbesserung vorantreibt. Diesem Team sollten Sie dann die nötigen Ressourcen, Schulungen und Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Erzielen Sie Erfolge, feiern sie diese! Und seien sie noch so klein. Quelle: Fotolia
2. Das VerhaltensgitterDas besagt die Theorie: Was bedeutet das Wort Führung eigentlich? Robert Blake und Jane Mouton haben dazu ein Verhaltensgitter erstellt. Es gibt an, wie sehr sich eine Führungskraft um die Erledigung der Aufgabe und um ihre Mitarbeiter kümmert. Ihre Führungstypen tragen schönen Namen: Der Glacéhandschuh-Manager interessiert sich weniger für die Erledigung der Aufgaben als für die sozialen Bedürfnisse seiner Kollegen. Der Befehl-Gehorsam-Manager will dagegen strikt die Aufgaben erledigen. Der Organisationsmanager sorgt sich permanent um das Wohlergehen der Mitarbeiter, will aber auch die Unternehmensziele erreichen, während der Überlebensmanager sich weder für die Kollegen noch für die Arbeit interessiert. Der Team-Manager vereint die Aufgabenerfüllung mit guten Mitarbeiterbeziehungen. Wenig überraschend: Blake und Mounton empfehlen allen Managern, letzteren Ansatz zu verwenden.So wenden Sie diese Theorie an: Nutzen Sie diese Theorie, um Ihren bevorzugten Führungsstil zu untermauern. Erkennen Sie aber auch an, dass Sie Ihren Stil anpassen können, wenn es die Umstände verlangen. Sie sind ein Team-Manager? Toll! Aber passen Sie auf, dass Sie engagiert wirken, nicht rasend oder kriecherisch. Glacéhandschuhe bringen Sie auf Dauer nicht weiter, die Arbeit ruft! Organisationsmanagement kann schön und gut sein, verprellt aber dauerhaft die Mitarbeiter. Wenn Sie sich als Überlebensmanager sehen, sind Sie entweder im falschen Unternehmen oder Sie sollten besser den Beruf wechseln.  Lange Rede , kurzer Sinn: Finden Sie Ihren Stil. Sie werden merken, dass es keinen Management-Stil gibt, der pauschal in allen Situationen funktioniert. Bleiben Sie also flexibel. Quelle: Fotolia
3. Maslows BedürfnispyramideDas besagt diese Theorie: Menschen haben Bedürfnisse, die sie erfüllen wollen. Abraham Maslows Pyramide stellt eine Hierarchie von Bedürfnissen auf, die von unten nach oben erfüllt werden müssen. Diese Ebenen lauten: Biologische Grundbedürfnisse (Nahrung, Wärme, Ruhe), Sicherheit (Gewissheit, Freiheit von Angst), Sozialbedürfnis (Zuneigung und Liebe), Anerkennung und Wertschätzung (Reputation und Respekt) und Selbstverwirklichung. Wurde eine Ebene nicht befriedigt, kann man nicht auf die nächsthöhere Ebene aufsteigen.  So wenden Sie diese Theorie an: Laut James McGrath und Bob Bates ist die Anwendung simpel: Sorgen Sie dafür, dass die Grundbedürfnisse Ihres Teams erfüllt werden. Nahrung, Wasser und eine ruhige Arbeitsumgebung können da schon einmal nicht schaden. Auch soziale Interaktion ist wichtig. In manchen Firmen kommen die Mitarbeiter freitags in legerer Kleidung – das fördert die Interaktion untereinander. Glücklich machen Sie Ihre Angestellten auch mit positivem Feedback für anspruchsvolle Aufgaben. Quelle: Fotolia

"Zunehmend schmücken sich Unternehmen mit Corporate Volunteering", beobachtet Arbeitspsychologe Wehner. "Gerade in Zeiten steigenden Fachkräftemangels entdecken Vorreiterunternehmen die Chance, mit sozialem Engagement ihr Image als gute Bürger aufzupolieren."

Hinzu kommt: Gesellschaftliche Verantwortung steht beim Managementnachwuchs hoch im Kurs - und gewinnt weiter an Bedeutung. Dies geht aus der aktuellen Umfrage des Berliner Trendence Instituts unter 14 500 abschlussnahen Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaftsstudenten hervor. 69 Prozent von ihnen erachten die unternehmerische Sozialverantwortung eines Arbeitgebers als wichtiges Auswahlkriterium bei der Stellensuche. 2009 lag der Wert erst bei 61 Prozent.

Die Devise hinter den Maßnahmen: Sozialarbeit statt Seminargeschwafel. Anders als bei Workshops, Rollenspielen oder den gängigen Teambildungsmaßnahmen garantiert das Sozialpraktikum ein Lernen in Echtzeit. "Die Erfahrung in einem Hochseilgarten wird immer konstruiert sein", sagt Dieter Schöffmann, Anbieter solcher Freiwilligenarbeit für Führungskräfte sowie Geschäftsführer der Vis a Vis Agentur für Kommunikation in Köln. "Den Businessplan für einen Hospizdienst zu erstellen ist dagegen kein Planspiel, sondern das wirkliche Leben."

Manfred Jaumann , 53. Arbeitgeber: Astrium; Sozial-Praktikum: Palliativstation im Bremer Klinikum Links der Weser;

Auf das traf auch Ulrich Krausen, als er im Rahmen des Programms Seitenwechsel seinen Job tauschte: Eine Woche arbeitete der Leiter des Telefon-Kundenservice der Central Krankenversicherung in Köln als Praktikant beim Hamburger Suchtberatungszentrum Die Brücke. Statt mit Kunden über Tarife und Übernahmeleistungen zu diskutieren, standen Kartoffeln schälen, Fußboden schrubben und Poker spielen auf dem Programm. Umgeben von Alkoholikern, Drogenabhängigen und Essgestörten machte er sich nützlich, wo es nur ging. In der Küche, im Arztzimmer, im Drückerraum. Er schmierte Butterbrote, gab Unterstützungsberechtigten Bargeld aus, packte Lebensmittelpakte. Und hörte einfach zu, als eine alkoholabhängige Ex-Tänzerin des DDR-Fernsehballetts ihm ihre traurige Lebensgeschichte erzählte. Und statt, wie sonst auf seinem Nachhauseweg, in Köln an einer Lichtinstallation des Künstlers Keith Sonnier vorbeizuflanieren, lief der 57-Jährige nach getaner Arbeit durch St. Georg an den Straßenhuren vorbei.

Ein echter Härtetest für den Rheinländer. "Auf den ersten Blick mag so ein Seitenwechsel wie ein Abenteuerurlaub erscheinen", sagt er. "Aber sobald man die Lebensgeschichten der Menschen dort erfährt, hat das alles mit Abenteuer und Urlaub rein gar nichts mehr zu tun. Es trifft einen voll ins Herz."

Basis für besseres Führen

Nicht nur fürs Leben lernen, sondern auch für den Job: Die Freiwilligeneinsätze der Manager schaffen beides. "Seitenwechsel ist lebenslanges Lernen live", sagt Ulrike Riedel, Personalvorstand der Hamburger Hochbahn. Das Programm lasse die Teilnehmer ihre eigenen Meinungsmuster überdenken und schule sie darin, neue Antennen auszufahren. "Mitarbeiter, Kollegen und Geschäftspartner immer auch als Mitmenschen wahrzunehmen, ist die Basis für eine professionelle Führungsarbeit. Seitenwechsel schult und schärft diesen Blick", ergänzt Programmleiterin Doris Tito von der Patriotischen Gesellschaft.

Die volle Bandbreite weicher Führungsfähigkeiten

Was erfolgreiche Chefs täglich tun
1. Sie sind zugänglich Viele Führungskräfte wirken auf ihre Kollegen einschüchternd. Wer erfolgreich sein will, sorgt dafür, dass dem nicht so ist. Vielmehr sorgen sie dafür, dass in Meetings und Einzelgesprächen eine angenehme Gesprächsatmosphäre herrscht, in der sich auch die graue Maus im Büro traut, den Mund aufzumachen, um ihre Meinung zu sagen. Also: besser nicht zu sehr den Boss raushängen lassen, sondern lieber Sicherheit geben, dass Kritik nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht ist. Quelle: Fotolia
2. Sie treffen Entscheidungen Ja Mensch, denken sich jetzt vermutlich viele, mache ich auch – auf dem Weg zur Arbeit, am Rechner, in der Kantine. Erfolgreiche Chefs sind im Treffen von Entscheidungen wahre Experten. Dabei konzentrieren sie sich immer darauf, dass alle Entscheidungen, die getroffen werden, dazu führen, dass ein Prozess voranschreitet, etwas möglich wird, etwas am Ende herauskommt. Entscheidungen mit Folgen sozusagen. Quelle: Fotolia
3. Sie definieren ZieleErfolgreiche Führungskräfte sind hervorragende Kommunikatoren in eigener Sache. Und natürlich vor allem dann, wenn es ihnen etwas nützt. Also erzählen sie, wann immer es geht, welche Ziele das Unternehmen verfolgt, welche Werte es vertritt, damit die Vision korrekt verinnerlicht ist und umgesetzt werden kann. Und jeder im Team immer wieder erinnert, wird, welche Aufgabe er in diesem System zu erfüllen hat. Quelle: Fotolia
4. Sie übernehmen VerantwortungErfolgreiche Führungskräfte halten ihren Mitarbeitern den Rücken frei. Sie boxen Entscheidungen durch, damit ihre Kollegen mit ihrer Arbeit weiterkommen und sich nicht im Kleinklein des strategischen Taktierens verlieren müssen. Sie schaffen ein Umfeld, in dem sie sich auf ihre Mitarbeiter und ihre Mitarbeiter sich auf sie verlassen können. Quelle: Fotolia
5. Sie sind BeispielfunktionKlingt wieder banal, aber auch über Banalitäten kann es sich lohnen, noch einmal nachzudenken. Nur wenige Führungskräfte sind dabei nämlich konsequent. Das fängt bei der Pünktlichkeit an und hört bei dem Verhalten in Meetings auf. Erfolgreiche Führungskräfte wissen, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen und decken intuitiv diejenigen auf, die nur auf einen klitzekleinen Fehler warten. Quelle: Fotolia
6. Sie geben FeedbackJeder Angestellte möchte, dass seine Führungskraft weiß, welchen großartigen Beitrag er jeden Tag für das Unternehmen leistet. Erfolgreiche Führungskräfte wissen daher, wie wichtig es ist, Feedback zu geben. Sie schenken auch einmal kleinen Details Aufmerksamkeit und legen Wert auf vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Mitarbeitern. Quelle: Fotolia
7. Sie nutzen das Potenzial des Teams perfektErfolgreiche Führungskräfte wissen genau um die Talente in ihrem Team. Sie sind Experten darin, auch noch so versteckte Fähigkeiten ihrer Kollegen zu erkennen und heraus zu kitzeln. Wie auf dem Fußballfeld ist es nicht sonderlich sinnvoll, einen Stürmer als Verteidiger einzusetzen und umgekehrt. Erfolgreiche Führungskräfte erkennen das und setzen ihre Kollegen ihren Fähigkeiten entsprechend ein. Quelle: Fotolia

Geschult wird die volle Bandbreite weicher Führungsfähigkeiten: Offenheit und aktives Zuhören, das Überdenken eigener Werte und Maßstäbe, das Verständnis für Menschen in anderen Lebenssituationen. Und die Erkenntnis, dass man nicht für jede Situation eine Lösung parat haben muss. "Das bringt Führungskräfte, die sonst immer alles im Griff zu haben glauben, ins Grübeln", sagt Tito. Ebenfalls eine wichtige Lektion: "Statt über andere zu urteilen“, so Tito, „erfährt man mit eigenen Augen und Sinnen, wie sie leben."

Versicherungsmanager Krausen muss öfter schlucken, wenn er von seiner Zeit in der Suchtberatung erzählt. In seinem lichtdurchfluteten, frisch renovierten Büro mit Postern von Andy Warhol scheint die Welt von Drogen und Alkohol weit weg. Doch der Schein trügt. Mit genau diesen Problemen ist der Manager auch hier konfrontiert. Schulden, Ehekrisen und Depression - als Vorgesetzter kennt er viele private Sorgen seiner rund 100 Mitarbeiter. "Als Unternehmen dürfen wir davor nicht die Augen verschließen", sagt Krausen. "Wir sind ein Spiegel der Gesellschaft."

Und dort hat sich das Suchtproblem extrem verstärkt, wie der jüngst vorgelegte Fehlzeiten-Report 2013 des AOK-Bundesverbands zeigt. Innerhalb der letzten zehn Jahre stieg die Zahl der Fehltage, die durch die Einnahme von Alkohol und anderen Suchtmitteln bedingt waren, um 17 Prozent. Während 2002 noch 2,07 Millionen Fehltage in dem Zusammenhang registriert wurden, waren es 2012 schon 2,42 Millionen.

Nicht um den heißen Brei

Krausen spürt die Auswirkungen dieses Problems hautnah: Eine alkoholkranke Mitarbeiterin belastete ihr Team, weil sie immer wieder ausfiel. Nach seinen Erfahrungen in der Suchtberatung fasste sich Krausen ein Herz, suchte das Gespräch. "Bei Seitenwechsel habe ich gelernt, nicht um den heißen Brei herumzureden", sagt er. "Als Chef muss man Probleme offen ansprechen, sonst erreicht man nichts."

Gesagt, getan. So brachte er die Mitarbeiterin dazu, sich vor ihrem eigenen Team zu outen. "Ein Riesenschritt für sie, aber er hat sich gelohnt", ist Chef Krausen überzeugt. Das Getuschel hinter ihrem Rücken sei fast verstummt, weil sie die Kollegen von Kontrahenten zu Eingeweihten gemacht habe. "Das hat eine positive Dynamik im Team angestoßen."

Außerdem entwarf Krausen für sorgengeplagte Mitarbeiter spezielle Arbeitsprogramme, bei denen sich der Schwierigkeitsgrad der Arbeit nur langsam steigert. Das Ziel: ihr Selbstwertgefühl zu stärken und ihnen die Chance zu geben, ihre Akkus nach und nach neu aufzuladen.

Damit die Sozialwochen ähnlich erfolgreich verlaufen wie bei Krausen, setzen erfahrene Unternehmen auf freiwillige Teilnahme. Idealerweise wählen die Führungskräfte die gewünschte Institution selbst aus und werden dann in Einzelinterviews auf ihren Einsatz vorbereitet. Während und nach dem Aufenthalt sollte ein Ansprechpartner zur Verfügung stehen, um Probleme abzufangen und Feedback einzuholen.

Serviceagenturen bieten Rundum-sorglos-Pakete an, die Beratung, Konzeption, Vermittlung, Organisation und Auswertung enthalten. Dazu gehören lokale Freiwilligenagenturen sowie Dienstleister wie die mehrwert Agentur für Soziales Lernen in Stuttgart oder Vis a Vis in Köln.

Überschaubare Kosten

Die größten Idole der Manager
Rang 10: Welche Führungspersönlichkeiten am meisten bewundert werden, hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC insgesamt 1473 Firmenchefs in 68 Ländern gefragt. Der französische Kaiser Napoleon I. schafft es auf Rang 10 und wurde gleichhäufig angeführt wie ... Quelle: rtr
... der ehemalige US-Präsident Bill Clinton. Clinton amtierte von 1993 bis 2001 und schaffte es in einzelnen Jahren seiner Regierungszeit, einen Haushaltsüberschuss zu erzielen. Quelle: AP
Rang 9: Ein weiterer von insgesamt vier US-Präsidenten in der Auflistung ist John F. Kennedy. Der charismatische Regierungschefs war im Jahr 1963 in Dallas ermordet worden. In Erinnerung bleibt er unter anderem für seine Führung in der Kuba-Krise und die Förderung der US-Raumfahrtindustrie, die in der ersten Landung eines Menschen auf dem Mond gipfelte – wenn auch sechs Jahre nach seinem Tod erst. Quelle: AP
Rang 8: Mit seiner neoklassischen Wirtschaftspolitik („Reagonomics“) hatte der 40. Präsident der USA, Ronald Reagan (Bildmitte), das Land auf einen wirtschaftsliberalen Kurs gebracht. Das Vertrauen in die Kräfte des Marktes dürfte mit ein Grund dafür sein, dass er bei Managern gut gelitten ist. Quelle: dapd
Rang 7: Die britische Premierministerin Margaret Thatcher starb am 8. April 2013. Nach der Todesnachricht zeigte sich, wie gespalten die britische Bevölkerung immer noch zu ihrer radikalen Politik in den 1980er-Jahren steht. Ihre Führungskraft brachte ihr den Spitznamen „Eiserne Lady“ ein. Sie reformierte die Wirtschaft, was mit einem Niedergang der Stahlindustrie einherging, und liberalisierte die Finanzbranche. Quelle: rtr
Rang 6: Schauspieler Daniel Day-Lewis in der Rolle des Abraham Lincoln. Der ehemalige US-Präsident hatte das Land von 1861 bis 1865 geführt und nach der Abspaltung des Südens die Nordstaaten in den Bürgerkrieg geführt. Letztlich einigte er das Land wieder, auch wenn er die endgültige Kapitulation der Südstaaten Ende April 1865 nicht mehr erlebte. Lincoln wurde wenige Tage vorher ermordet. Quelle: dapd
Rang 5: „Neutron Jack“ schafft es in die Top 5 des Rankings. Der ehemalige Chef des Industriegiganten General Electric, Jack Welch, gilt als eherner Verfechter des „Shareholder Values“. Demnach muss eine Firma vor allem das Wohl der Aktionäre im Sinn haben und erreicht dann auch andere Ziele. Den Mischkonzern und Siemens-Rivalen baute er so auf, das ständig schwache Bereiche abgestoßen und wachstumsträchtige Konkurrenten hinzugekauft wurden. Quelle: rtr

Die Kosten für dieses Experiment sind vergleichsweise überschaubar: Üblicherweise sollten Firmen mit 2.000 bis 3.500 Euro pro Managerwoche rechnen. Geradezu ein Schnäppchen, verglichen mit den üblichen Gebühren anderer Seminare, bei denen dieser Preis schon für Ein-Tages-Veranstaltungen aufgerufen wird.

Allein IBM macht weltweit mehr als 150 Millionen Dollar für Freiwilligenarbeit locker. "Corporate Volunteering ist für uns keine softe Spielerei, sondern ein genauso strategisches Thema wie das knallhart finanziell gesteuerte Geschäft", sagt Peter Kusterer, Leiter Corporate Citizenship and Corporate Affairs des IT-Konzerns. Die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter sei eine wichtige Form der Personalarbeit.

"Seitenwechsel rechnet sich für uns als Arbeitgeber fraglos", sagt auch Hochbahn-Managerin Riedel. Ihr jedenfalls falle kein anderes Seminar ein, das zu denselben Kosten einen annähernd ähnlichen Effekt brächte.

Die Top-Managerin weiß, wovon sie spricht. Sie ging mit gutem Beispiel voran und schaufelte sich eine Woche für ein Praktikum bei der Arbeiterwohlfahrt frei - "berufsbedingt skeptisch, ob der Lerneffekt über einen Sozialtourismus hinausgeht", wie sie gesteht. Nach ihrem Einsatz aber waren jegliche Zweifel verflogen. Die Mitarbeit in einer Wohngemeinschaft für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge, die einen Hauptschulabschluss anstreben, habe sie viele ihrer Ansichten überdenken lassen. "Zum Schluss hatte ich mehr Fragen als Antworten zum Umgang mit Flüchtlingen", erzählt die 41-Jährige. Aber genau dieser Effekt sei ja gewollt. "Je mehr Handlungsoptionen Führungskräfte erkennen, desto besser werden ihre Entscheidungen."

Ute Riedel, 41. Arbeitgeber: Hamburger Hochbahn; Sozial-Praktikum: Kinderflüchtlingsbetreuung der Arbeiterwohlfahrt;

Und Einstellungen: Sie habe durch den Seitenwechsel ihre Haltung zu Hauptschülern geändert, gibt die Personalerin zu. Als die Gewerkschaft kurz nach ihrer Sozialzeit in Tarifverhandlungen forderte, keine Hauptschüler mehr für die Ausbildung zum Lokführer zuzulassen, kämpfte Riedel vehement dagegen. "Der viel zitierte Satz 'Wir haben eine soziale Verantwortung' hat jetzt eine noch tiefere Bedeutung für mich bekommen."

Das gilt wohl auch für Manfred Jaumann. Um seinen Horizont zu erweitern, hatte sich der Leiter des technischen Betriebs der Internationalen Raumstation bei Astrium Space Transportation in Bremen für die Palliativstation des Klinikum Links der Weser entschieden. Hier werden todkranke Menschen ohne Chance auf Heilung mit therapeutischen Maßnahmen auf den unausweichlich letzten Wochen ihres Lebenswegs begleitet. "Sterben und Tod", sagt der 53-Jährige, "kamen bislang in meinem Leben nicht vor."

Waschen, Füttern, Pflegen

Die fünf goldenen Regeln der betrieblichen Weiterbildung
Regel 1: Ziele definierenEhe Angebote gebucht oder erstellt werden, muss zuerst der Schulungsbedarf der Mitarbeiter ermittelt werden, um individuelle Ziele festzulegen. Ausgangspunkt sind hierbei die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens und die Qualifikationen, die dazu benötigt werden. Anschließend definiert die Geschäftsführung den übergeordneten Weiterbildungsbedarf, der dann auf Abteilungsebene konkretisiert und umgesetzt werden muss. „Bei der Planung sollten soweit möglich auch Ideen und Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigt werden“, sagt Schuler. Das wirke sich positiv auf die Motivation aus. Quelle: Fotolia
Regel 2: Strategisch planenSchulung und Weiterbildung sind nur dann den erfolgreich, wenn sie ziel- und bedarfsgerecht sind. Das vermittelte Wissen muss für die Mitarbeiter wirklich relevant sein. Auch der richtige Zeitpunkt ist wichtig. „Eine Schulung zu einem Projekt, das erst in einem halben Jahr startet, sollte auch erst kurz vorher durchgeführt werden“, empfiehlt Schuler. Um gute Lernvoraussetzungen zu schaffen, muss auch die Vermittlungsform auf die Mitarbeiter abgestimmt sein. Nicht jeder sitzt gern in einem Kurs mit 30 Teilnehmern. „Manche Mitarbeiter ziehen das eigenständige Lernen vor, zum Beispiel mit E-Learning-Programmen.“ Quelle: Fotolia
Regel 3: Zentral steuernDamit Weiterbildungsmaßnahmen die größtmögliche Wirkung entfalten, müssen sie zentral koordiniert werden. In immer mehr Unternehmen übernehmen Personalentwickler diese Aufgabe. Sie stimmen den Weiterbildungsbedarf mit dem Management ab, definieren in regelmäßigen Abständen die Entwicklungsziele und unterstützen die Mitarbeiter in ihrer individuellen Entwicklung. Fehlt eine solche zentrale Steuerung, ist es schwierig, den Überblick zu behalten und Prozesse effizient zu strukturieren. Der Personalentwickler sollte in ständigem Kontakt mit den Mitarbeitern stehen. Wenn die sich zum Beispiel über mangelnde Kompetenz eines Kursleiters beschweren, sollte der vielleicht ersetzt werden. Quelle: Fotolia
Regel 4: Wissen archivierenDie meisten Unternehmen vergessen, Weiterbildungsunterlagen und Lerninhalte zu archivieren oder anderen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen. Mitarbeiter, die eine Schulung oder ein Training absolviert haben, können ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Kollegen weitergeben. Auch das fördert die Motivation und kann Zeit und Kosten sparen. Es sollte generell geprüft werden, welche Lerninhalte das Unternehmen wiederverwenden oder selbst bereitstellen kann, und an welchen Stellen ein externer Anbieter gebraucht wird. Quelle: Fotolia
Regel 5: Lernsysteme einführenUnternehmen können nur Schritt halten, wenn sie Schulung und Weiterbildung gezielt planen, Prozesse strukturieren und Inhalte zentral verwalten. Tabellen und Kalender reichen dafür nicht mehr aus. Immer mehr Unternehmen setzen deshalb auf IT-Lösungen, sogenannte „Learning Management-Systeme“, die für eine weitgehende Automatisierung des Weiterbildungsmanagements sorgen. So werden beispielsweise die hinterlegten individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter den Unternehmenszielen gegenübergestellt. Quelle: Fotolia

Das wollte er ändern: Zur Frühschicht des ersten Tages im Hospiz fährt Jaumann nicht in seinem bulligen Dienstwagen, sondern das erste Mal seit Jahren mit der Straßenbahn. In den Besprechungen geht es nicht um Projekte, Strategien und Budgetpläne, sondern um Menschen, Schmerzeinstellungen und Patientenverfügungen. Jaumann wäscht und füttert die Patienten, hilft bei der Wundversorgung, nimmt an den Patientenbesprechungen teil. Erkennt, mit welchem "gigantischen Engagement" Ärzte und Pfleger arbeiteten - "so viel Hingabe und Akribie kannte ich bis dato nicht", sagt Jaumann. Und ist erstaunt, wie wenig Berührungsängste er hat - selbst, wenn er eine sterbende Patientin im Arm hält, damit sie draußen die Meisen beobachten kann. Oder als er sich von einer gerade Verstorbenen still verabschiedet. "Ich war ganz einfach für die Patienten da", sagt Jaumann. "Das Gefühl, einfach nur etwas zu geben, ohne etwas zurückzubekommen, gibt es im Job so nicht."

Die Zeit in der Klinik hat ihn so tief bewegt, dass er heute ehrenamtlich in einem Hospiz Sterbende in ihren letzten Wochen begleitet. Und in den Gesprächen mit seinen 100 Mitarbeitern bemüht sich der Manager nun, "immer den ganzen Menschen mit einzubeziehen", wie er sagt. "Die Zeit, die man dafür investiert, bekommt man zehnmal zurück - führen heißt ja auch, Menschen für sich oder eine Aufgabe zu gewinnen."

Davon ist auch Dietmar Bärtele überzeugt. Im Umgang mit kranken und schwachen Menschen hat er seit seiner Zeit in der Behinderten-WG Sicherheit gewonnen. Schwierige Mitarbeitergespräche schiebt er nicht wie früher auf, sondern packt Probleme direkt an.

Vor allem aber habe er gelernt, dass man auch ohne Worte kommunizieren kann. "Wenn man sich auf die Augenhöhe des Gegenübers einstellt, klappt es mit der Verständigung", sagt der Abteilungsleiter. "Das funktioniert im Wohnheim genauso wie im Büro." Und einen vollgesabberten Pulli nimmt er für diese Erkenntnis gern in Kauf.

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