Am liebsten möchte auch er zur See fahren. Weil aber seine Mutter will, „dass der Junge erst mal was Vernünftiges lernt“, wird Jünne nach Abschluss der Hauptschule Maurer. Weil „jede Mark zählt“, arbeitet er schon während der Lehre auch nach Feierabend und an den Wochenenden.
Als Geselle – Wochenlohn für eine Sechs-Tage-Woche 150 Mark – verschlagen ihn Aufträge nach St. Peter-Ording und Helgoland. Und, Mitte der Sechzigerjahre, auch nach Sylt, wo er Bauprojekte beaufsichtigen soll. Und in den Mittagspausen im Lister Hafen im Nordosten der Insel feststellt, dass die Fischer zwar frische Krabben im Angebot haben, die Touristen aber immer wieder vergeblich nach Räucheraal fragen.
„Klare Marktlücke“, denkt sich Gosch. Besorgt sich am nächsten Tag in einer Räucherei in Husum 50 Aale, investiert 20 Mark in einen Korb und Verpackungsmaterial und legt los: Verkauft Räucheraal in der Mittagspause am Lister Hafen und nach Feierabend in den Kneipen der Insel, für vier Mark pro Tier.
Die Rechnung geht auf: Schon am ersten Tag hat Gosch seine Investition drin, ist mit Mitte 20 „Jungunternehmer ohne Schulden, ohne Druck – aber mit jeder Menge Spaß“.
Aale für die Sylter Nackedeis
Und einträglichem Zusatzeinkommen: Mit seinen Aalen verdient Gosch so viel, dass er ein paar Monate später den Maurerjob aufgibt – was er bis heute „die beste Entscheidung meines Lebens“ nennt. Und künftig als Aal-Jürgen hauptberuflich mit Bauchladen über die Insel zieht.
Auch zu den Dünen der berühmten Buhne 16 vor Kampen, wo sich damals Promis wie Gunter Sachs oder Curd Jürgens am FKK-Strand aalen. Weil ihm das Stapfen durch den tiefen Sand mit den schweren Fischen bald zu mühselig wird, sucht sich Gosch ein günstiges Plätzchen, besorgt sich eine Bimmel, preist seine Ware in eigenwillig gereimtem Jodelsingsang an („frisch aus dem Rauch, schon in den Bauch“). Oder kurbelt den Verkauf mit einem Witzchen an: „Woran erkennt man, ob ein Aal männlich oder weiblich ist? Die weiblichen liegen auf dem Rücken, die männlichen erschöpft auf der Seite.“
Weil er vorab bewusst ein wenig aufschlägt, kann er sich von den Kunden, die schon mal nackt vor ihm stehen, immer ein bisschen runterhandeln lassen, ohne Geld zu verlieren – aber immer mehr Käufer gewinnen.
Bis zu 200 Kilo Aal verkauft er täglich, 17-Stunden-Tage sind in der Hochsaison keine Seltenheit, nachts schläft er in seinem Auto – die restlichen Aale verstaut er hinter sich, seine Einnahmen unterm Sitz, oft ein paar Tausend Mark.
Weil er das Geschäft als fliegender Aalhändler nach fünf Jahren dennoch für ausgereizt hält, lässt er sich 1972 mit einem improvisierten Verkaufsstand am Lister Hafen nieder: ein zwei mal zwei Meter großer Anhänger, mit Holz und bunten Blechschildern verkleidet.
„Nördlichste Fischbude Deutschlands“ nennt Gosch seinen Stand – Beginn einer mehr als 40-jährigen Erfolgsgeschichte. Auch weil er seine Fischbrötchen zur Belustigung der Gäste wie ein anarchistischer Marktschreier anpreist – „das Wörtchen nein habe ich damals aus meinem Wortschatz gestrichen“. Weil er die Reichen und Schönen mit seinen flotten Sprüchen auf den Arm nimmt und sein Angebot stets findig improvisierend im Handumdrehen erweitert.
Ein Kunde will den Fisch im Brötchen? Erfindet Gosch eben kurzerhand das Matjes- und Krabbenbrötchen. Ein anderer wünscht ein Salatblättchen als Dreingabe? Kein Problem, Gosch fügt es hinzu.
Wieder ein anderer mag gar keinen Fisch? Schmiert er ihm eben ein Marmeladenbrot. Einer Kundin schmeckt die Kartoffelsuppe der Konkurrenz nicht? Holt sich Gosch eben unbemerkt eine Portion von eben jener Bude, verfeinert sie mit Krabben und Knoblauch, serviert sie in edlem Porzellan, verlangt 50 Pfennig mehr – schon gilt der Frau die Kartoffelsuppe als beste auf ganz Sylt.
So wie seine „wahre Fischsuppe, ohne Fisch und ohne Gräten“ – ein Mix aus Schnaps und Zitronenlimo, mit der Gosch die fehlende Alkohollizenz umgeht. Als die Hafenpolizei ihm mit Rauswurf droht, lädt ihn der Gemeinderat zur Verköstigung ins Rathaus ein – und erteilt Gosch nach diversen Probierrunden die Alkohollizenz. „Kleine Tricks“, sagt Gosch, „machen den Unterschied.“