Katjes-Chef Tobias Bachmüller "Kofferträger? Brauch ich nicht"

Der Katjes-Chef Tobias Bachmüller arbeitet lieber im Mittelstand als im Konzern. Was er als Berater für seine Karriere gelernt hat - und welche Fähigkeiten er bei Mitarbeitern besonders schätzt.

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Katjes-Chef Tobias Bachmüller Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Bachmüller, Sie kommen gerade von einer Dienstreise aus Chicago. Wie viel Zeit haben Sie sich gegönnt, um Ihr Jetlag zu überwinden?

Tobias Bachmüller: Ich habe nach der Landung in Frankfurt kurz am Flughafen geduscht und bin dann direkt ins Büro gefahren.

Muss man so hart gegen sich selbst sein, um an die Spitze eines Unternehmens zu kommen?

Nein, überhaupt nicht. Es kommt darauf an, was man im Kopf hat. Aber es schadet nicht, wenn man wie ich gut schlafen kann.

Sie sind jetzt seit 18 Jahren an der Spitze von Katjes. Hätten Sie bei Vertragsunterzeichnung gedacht, dass Sie so lange in dieser Position bleiben?

Ich wurde damals mit fünf Prozent am Unternehmen beteiligt, später kamen noch mal fünf Prozent hinzu. Beim zweiten Schritt hat sich in der Tat ein sehr langfristiges Engagement abgezeichnet. Dass die Marke sehr viel Potenzial hat, habe ich schon bei Vertragsunterschrift erkannt. Ja, ich bin gekommen, um zu bleiben. Bei Familienunternehmen ja durchaus nichts Ungewöhnliches.

12 Karriere-Mythen

Sie waren vorher angesehener Manager bei Suchard, hatten die Verantwortung für eine Milliarde Mark, haben für Ihre Arbeit Preise bekommen. Warum haben Sie Ihre sichere Konzernkarriere drangegeben, um zu einem Familienunternehmen zu wechseln, an dessen Spitze sich in den sechs Jahren zuvor drei Geschäftsführer aufgerieben hatten?

Mir haben in der Tat viele Menschen von diesem Schritt abgeraten. Ich hatte auch andere Angebote in großen Unternehmen.

Warum haben Sie keines davon angenommen?

Wie sieht es denn in vielen Konzernen aus? Da arbeiten viele Manager, die ihr Dasein über eine Komfortzone aus schönen Meetings und riesigem Stab definieren. Unsere Büromöbel sind aus Bauholz, wir haben im Moment nur zwei Sekretärinnen. Ich brauche weder Kofferträger, Kaffeekocher oder zeitfressende PowerPoint-Präsentationen. Ich halte das für überflüssiges Tamtam. Kurze Wege sind mir viel lieber – sonst verliert man den einzigen Vorteil, den man als Kleiner gegenüber den Großen hat – Geschwindigkeit.

Was Bewerber wissen müssen

Wie schnell war Katjes bei Ihrem Start?

Weil damals einige versucht haben, hier eine Konzernkultur zu etablieren, habe ich erst mal einen Zettel ans Schwarze Brett gehängt: „Bist du einsam, trinkst du gerne Kaffee? Dann mach ein Meeting“. Das hat geholfen. Katjes ist heute ein großer unternehmerischer Spaß.

Auf welchen Erfolgsgeheimnissen ruht dieser Spaß?

Steve Jobs hat seinem Nachfolger Tim Cook empfohlen, sich nie zu fragen, was er in seiner Situation getan hätte, sondern einfach das Richtige zu tun. Genau darauf kommt es an. Das können die wenigsten von sich behaupten. Wir versuchen, genau das umzusetzen.

"Totale Kontrolle ist kontraproduktiv"

Und woran erkennen Sie, was das ist – das Richtige?

Das ist wie der kategorische Imperativ – das spürt man.

Wer Karriere machen will, sollte sich mit dem Werk des Philosophen Immanuel Kant auskennen?

Schaden kann es nicht. Ich würde heute vermutlich Soziologie studieren. Ich lese viel, vor allem auf Reisen – allemal besser, als nervige Telefonate zu führen.

Was lesen Sie im Moment?

Von meinem Mit-Geschäftsführer Bastian Fassin habe ich zu meinem letzten Geburtstag eine Goethe-Biografie von Rüdiger Safranski geschenkt bekommen, von seinem Vater Klaus Fassin „Der erste Mensch“ von Albert Camus. Und ich behellige meine Leute auch mal mit Büchern, habe ihnen gerade „Wo gute Ideen herkommen“ von Steven Johnson geschenkt. Das weitet den Horizont und schärft den eigenen Kompass.

Zur Person

...der vielen Menschen verloren gegangen ist, wie die Finanzkrise gezeigt hat...

Die meisten Menschen wissen schon noch, was anständig ist und wann man übers Ziel hinausschießt. Und wenn man sich nicht mehr wohlfühlt, ist das der beste Grund für einen Jobwechsel. Gerade in jungen Jahren dauert es ein bisschen, bis man sein Boot findet.

Wie haben Sie Ihr Boot entdeckt?

Nach dem Jura-Studium bin ich als Trainee zu Reemtsma gegangen, da habe ich an Test the West mitgearbeitet – die erste Zigaretten-Kampagne, die mit normalen Menschen warb. Ich habe damals schnell gemerkt: Marketing ist mein Ding.

Gab’s mal Lob vom Chef?

Nicht nur. Selbst als ich schon Produktmanager war, hat mir unser damaliger Personalchef immer wieder gesagt, ich solle mich nicht wie ein Unternehmer aufführen. Das hat mich nachdenklich gemacht – im positiven Sinne. Ich war schon damals ziemlich hartnäckig und kann es bis heute sein. So was kann man sich nicht antrainieren.

Ein Beispiel bitte.

Als wir tierfreie Katjes-Produkte eingeführt haben, haben uns viele für verrückt erklärt. Mir war aber von Anfang an klar, dass wir uns als Nummer zwei im Markt so deutlich wie möglich vom Marktführer Haribo differenzieren müssen. Sich am Bestehenden orientieren, die anderen so gut wie möglich nachahmen, das wäre völlig falsch – das gilt auch für das eigene Fortkommen. Man muss herausfinden, was kann man gut, was motiviert einen. Aber auch: Was ist einem weniger wichtig.

Der beste Rat meines Lebens
Guter Rat ist teuer Quelle: WirtschaftsWoche Online
Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann: In andrer Glück sein eignes findenIch war noch ein Junge, als mir mein Vater das Gedicht von Christoph Martin Wieland aufschrieb: „In andrer Glück sein eignes finden, ist dieses Lebens Seligkeit. Und andrer Menschen Wohlfahrt gründen, Schafft göttliche Zufriedenheit.“ Seine tiefe Weisheit hab ich erst in der Finanzkrise vollständig erfasst. Unternehmen haben eine gesellschaftliche Aufgabe: sozialen Mehrwert zu schaffen. Die erste Aufgabe von Managern ist es, Gewinn zu erwirtschaften. Aber nicht des Gewinnes selbst wegen, der ist nur Mittel zum Zweck, damit das Unternehmen wachsen und neue Produkte entwickeln, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen – kurz Wohlfahrt gründen – kann. Quelle: dpa
Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner: Wenn du es eilig hast, nimm einen UmwegAls ich darüber grübelte, was wohl das richtige Studium wäre, um ein berühmter Journalist zu werden und mir mein gesamter Bekanntenkreis und alle Profis rieten, Publizistik zu studieren, fragte ich zur Sicherheit noch Artur Joseph, Journalist und väterlicher Freund meiner Mutter. Er sagte: „Es ist egal, was du studierst, nur ein Fach auf keinen Fall: Publizistik“. Ich war verwirrt: „Aber das ist doch der direkte Weg?“ „Und deshalb ist es falsch. Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg“. Er fragte mich, worüber ich am liebsten schreibe. Ich studierte Musik, Literatur und Theater. Zwei Jahre später war ich freier Musikkritiker bei der FAZ. 20 Jahre später CEO von Axel Springer. Quelle: dpa
Henkel-Chef Kasper Rorsted: Mach es richtigMein Vater sagte mir schon als Teenager: Man kann als Schüler kein gutes Abitur machen, wenn man zehn Jahre in der Schule schläft, und auch an der Universität keinen guten Abschluss erzielen, wenn man erst kurz vor den Prüfungen anfängt, ernsthaft zu arbeiten. So ist es auch im Geschäftsleben. Es wird kein erfolgreiches Geschäftsjahr geben, wenn schon die ersten zwei Quartale schlecht gelaufen sind. Wenn man sich entschieden hat, etwas zu tun, dann natürlich auch richtig. Quelle: dpa
Allianz-Chef Michael Diekmann: Eine kleine Lüge wird immer größer„Eine kleine Lüge wird immer größer“, das war der beste Rat, den ich bekommen habe. Immer wieder habe ich erlebt, dass Unwahrheiten ihren Schöpfer einholen und womöglich übermannen. Deshalb rate ich zur Aufrichtigkeit. Nicht nur privat; beruflich erst recht. Ich finde es künstlich, die zwei Bereiche unter diesem Aspekt zu unterscheiden. Wenn ich beruflich handle, tue ich dies als Person. Quelle: dpa
UBS-Chef Sergio Ermotti: Der beste Rat ist der, den man sich holtFragen Sie andere um Rat, wenn Sie nicht weiterwissen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil. Aber wählen Sie Ihre Berater sorgfältig aus. Und messen Sie die Qualität der Ratschläge stets daran, ob und wie gut diese auf Ihre eigenen Bedürfnisse und Ziele zugeschnitten sind. Dies zu beurteilen kann Ihnen kein Berater abnehmen. Quelle: REUTERS
Unternehmer Reinhold Würth: Von der Pike auf lernenDer beste Rat meines Lebens war die Entscheidung meines Vaters, mich nach den acht Pflichtschuljahren von der Schule zu nehmen und mich als ersten Lehrling in seinem Unternehmen zu beschäftigen. Noch heute, 64 Jahre später, bin ich meinem Vater dafür dankbar, denn über die Lehrzeit hinaus konnte ich noch zwei weitere Jahre bis zu seinem Tod mit ihm zusammen arbeiten. Dadurch war ich wohlgerüstet, die kleine, solide Schraubengroßhandlung mit zwei Mitarbeitern weiterführen zu können und wachsen zu sehen bis zu einer Unternehmensgruppe mit zehn Milliarden Euro Umsatz. Quelle: dpa

Worauf können Sie verzichten?

Totale Kontrolle ist kontraproduktiv. Wir können aus Menschen nur etwas rausholen, wenn wir sie laufen lassen. Man muss gut vorbereitet sein, aber eben auch offen für Abweichungen vom Erwarteten. Wer nur seinen Plan durchzieht, statt auf die Situation seines Gegenübers zu achten, lässt viele Chancen ungenutzt.

Hatten Sie keinen dezidierten Plan, als Sie bei Katjes angefangen haben, zumindest für die ersten 100 Tage?

Nein, ich habe mich erst mal zurückgelehnt – was mir eigentlich schwerfällt – und habe nur zugehört. Ich habe auch niemanden mitgebracht – ich wollte mir das Bestehende unvoreingenommen ansehen und die Chancen ausloten. Man braucht eine Diagnosephase, und in die sollte man möglichst ohne feste Meinung gehen. So wie man seinem Arzt nur sagen soll, was einem fehlt. Aber niemals, welche Krankheit man dahinter vermutet. Das habe ich schon als Berater bei Boston Consulting so gehalten.

Wo Sie eine Art dreijährigen Boxenstopp von Ihrer Industriekarriere eingelegt haben. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich hatte an einem Managementwettbewerb teilgenommen und so gut abgeschnitten, dass die Personalberatung Egon Zehnder auf mich aufmerksam wurde und mir einen Job bei Boston Consulting Group anbot.

Abgesehen vom Gehaltssprung – hat sich der Seitenwechsel gelohnt?

Absolut. Ich habe dort am meisten überhaupt gelernt und kann die Arbeit als Berater auch als erste Station nach dem Studium sehr empfehlen. Man lernt viele verschiedene Unternehmen aus einer Außenperspektive kennen, das bewahrt vor dem Tunnelblick.

"Ich werde immer arbeiten"

Was haben Sie dort noch gelernt?

Erstens: dass man Unternehmen nur voranbringt, wenn man bestehende Paradigmen ändert. Und wie man es schafft, auch Skeptiker hinter sich zu scharen. Klingt banal – aber die wenigsten halten sich daran.

Zweitens?

Sich nicht auf den existierenden Markt zu beschränken. Schon BCG-Gründer Bruce Henderson hat darauf verwiesen, dass Marktanteile ambivalente Größen sind, weil sie nur auf die bestehenden Märkte abzielen. Drittens: die Art zu arbeiten.

Sie meinen, wie man sich damit abfindet, jede Woche 80 Stunden zu kloppen, nächtelang durchzuarbeiten und auf freie Wochenenden zu verzichten?

Nein. Das Motto lautet: arbeiten, bis der Job gemacht ist. Natürlich muss man mal länger bleiben. Vor Kurzem etwa hatte ich mit ein paar anderen Katjes-Managern eine wichtige Besprechung an Christi Himmelfahrt. Aber es muss auch keiner aus Prinzip bis 19 oder 20 Uhr am Platz bleiben. Wer fertig ist, soll gehen. Anwesenheit ist kein Wert an sich.

Die großen Karriere-Irrtümer

Arbeiten viele Ihrer Kollegen von zu Hause?

Von Home Office halte ich nicht viel – die Leute sollen sich vor Ort austauschen. Für flexible Arbeitszeitmodelle habe ich aber was übrig. Eine Kollegin etwa arbeitet seit ihrer Rückkehr aus der Babypause vorerst nur von Dienstag bis Donnerstag – weil sie es so will. Und wir sind froh, dass sie wieder zurückgekommen ist.

Weil Sie auch den Fachkräftemangel spüren?

Wir bekommen auf klassische Marketingpositionen noch immer Hunderte Bewerbungen. Die reduzieren wir auf etwa 50 und suchen die besten zehn heraus.

Was Bewerber wissen müssen

Nach welchen Kriterien?

Ich sehe heute viele tolle Lebensläufe, letztlich haben fast alle eine Zeit lang im Ausland studiert und diverse Praktika absolviert. Darüber kann man sich als Bewerber kaum mehr abheben. Die meisten vertändeln ihre Zeit mit dem hundertsten Praktikum, statt ein unverwechselbares Profil zu entwickeln.

Was könnte den Unterschied ausmachen?

Eine Kollegin ist Taekwondo-Europameisterin. Eine andere hatte schon während des Studiums bei einer renommierten Agentur gearbeitet.

Würden Sie sich heute noch selbst einstellen, mit den Qualifikationen, die Sie nach dem Studium hatten?

Ja. Ich war Reserveoffizier, hatte ein Stipendium, war Assistent eines Bundestagsabgeordneten, habe als Saaldiener in der Hamburger Spielbank gejobbt – also gekellnert. Ich hatte noch nie ein Problem mit Kundenorientierung.

Wie viel haben Sie damals verdient?

Interessant war vor allem das Trinkgeld, da kamen bis in die frühen Morgenstunden schon mal 300 Mark zusammen. Am nächsten Tag hab ich ausgeschlafen.

Sie sind 57, bis zur Rente mit 63 ist es nicht mehr lang. Welches Golfhandicap peilen Sie an?

Ich treibe keinen Sport, strebe auch nicht an, meinen Lebensabend auf dem Golfplatz oder auf einer Ölmühle in der Toskana zu fristen. Ich werde immer arbeiten. Ich werde auch keine Kunstsammlung aufbauen oder andere sozialen Maskeraden betreiben. Das meiste Geld stecke ich in die Ausbildung meiner Kinder. Unsere jüngste Tochter hat gerade in Frankreich das internationale Abitur gemacht. Eine bessere Investition, eine bessere Freude gibt es nicht.

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