Das funktioniert sogar nach dem Stechuhrprinzip. Das Bild vom Kreativen, den plötzlich die Muse küsst, ist falsch. Originalität ist Arbeit. Ideen lassen sich produzieren, bewerten, verwerfen und weiterentwickeln wie andere Produkte auch.
Doch dazu muss eine kreative Grundstimmung im Unternehmen herrschen, sagt Sandra Ohly, Wirtschaftspsychologin an der Universität Kassel. Als Expertin für Kreativität berät sie Unternehmen, die das innovative Potenzial ihrer Mitarbeiter wecken wollen. „Dazu müssen sie vor allem erleben, dass ihre Vorschläge ernst genommen werden“, so Ohly. „Ideengeber wollen Feedback, selbst wenn es eine Absage ist, sonst werden sie entmutigt.“
Der Briefkasten neben dem Büro des Innovationsmanagements bringe deshalb wenig, sagt auch Oliver Mauroner, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Mainz. Viel effektiver ließen sich Ideen über soziale Netzwerke austauschen, die für alle Mitarbeiter zugänglich sind. Dort können sie Vorschläge einbringen, die Ideen anderer bewerten oder weiterentwickeln. „Wenn dort offen diskutiert werden kann und auf Ideen rasch reagiert wird, bringen nach und nach immer mehr Mitarbeiter Vorschläge ein – denn Kreativität ist ansteckend“, so Mauroner.
Doch dazu bräuchten Mitarbeiter vor allem Zeit. Nur wer einen Gedanken auch mal schweifen lässt, kann Neues entdecken. Damit sind nicht nur kreative Auszeiten während der Arbeit gemeint, sondern echte Freizeit. Denn Überstunden und Erschöpfung sind keine gute Muse für Gedankensprünge. Wer aber neben seinem Beruf kreative Hobbys pflegen kann, Sprachen lernt, in fremde Länder reist oder inspirierende Freunde trifft, ist nachweislich mobiler im Kopf – und kreativer im Job.
Einen ähnlichen Geist können auch neue Mitarbeiter einbringen, sagt Psychologin Ohly, denn sie seien noch immun gegen die Betriebsblindheit. Doch vor allem in großen Unternehmen würden sie oft ausgebremst von einem zu starken Hierarchiegefälle: Dann sieht manch ein Vorgesetzter in jedem Verbesserungsvorschlag nur eine Kritik am Status quo.
Widerspruch erwünscht
Zusätzlich herrsche in Deutschland eine Kultur, die Fehler kaum verzeiht, sagt Mauroner. Das hemme Innovationen: „Versuch und Irrtum müssen erlaubt sein. Viele heute bewunderte Geschäftsideen waren doch anfangs auch nichts anderes als ein verrückter Gedanke.“ Manager aber strafen kreative Mitarbeiter eher ab: Wer unbekümmert Ideen und auch Widerspruch äußert, muss um die Gehaltserhöhung oder die Beförderung fürchten. Führungskräfte neigen nun einmal dazu, Gleichgesinnte um sich zu scharen. Die aber stimmen ihnen oft blind zu. Forscher der Stern Business School fanden heraus, dass bei Beratungen oder Finanzdienstleistern 85 Prozent der Mitarbeiter selbst schwere Bedenken ihrem Chef gegenüber nicht äußern – aus Angst um Image oder Karriere.
Wie sehr Mitarbeiter mit einem eigenen Kopf Unternehmen voranbringen können, konnte der Datenanalyst Michael Housman in einer kuriosen Studie im Jahr 2013 zeigen. Er untersuchte die Leistung von 30 000 Kundenbetreuern quer durch sämtliche Branchen. Erstaunlicherweise gab es eine eindeutig identifizierbare Gruppe besonders erfolgreicher Arbeitskräfte. Sie fehlten seltener, verkauften mehr und hatten zufriedenere Kunden.
Was sie gemeinsam hatten? Jene Mitarbeiter gaben sich nicht mit dem vorinstallierten Browser ihres Computers zufrieden. Lieber luden sie sich die Alternativprogramme Firefox oder Chrome herunter. Mit anderen Worten: Sie waren bereit, buchstäblich eigene Wege zu gehen – und dadurch waren sie kreativer und produktiver. Offenbar reicht ein Blick auf den Rechner, um Rückschlüsse auf seinen Benutzer zu ziehen.