Interview aus dem Jahr 2016 Die Management-Prinzipien von Kazuo Inamori

Inamori Kyoto, Ceramic Quelle: Ko Sasaki für WirtschaftsWoche

Kazuo Inamori, Gründer von Kyocera, war Japans einflussreichster Manager. Nun ist er verstorben. In einem WirtschaftsWoche-Interview vor sechs Jahren erklärte er seine Methode und wie er mit seinen Mitarbeitern umging.

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Kazuo Inamori schwor auf Weisheiten, die das westliche Denken irritieren: Nicht auf die Aktionäre, sondern auf die Mitarbeiter kommt es an. „Wer Eier möchte, muss für die Hennen sorgen“, sagte Inamori etwa dem US-Magazin Bloomberg. „Schikaniert oder tötet man die Henne, wird das nicht funktionieren.“

Seine erfolgreichen Gründungen Kyocera (1959) und KDDI (1984) sowie die Sanierung von Japan Airlines (2010) gaben ihm Recht. Er war einerseits gewinnorientierter Kapitalist: Jedes Team im Konzern soll wie eine Amöbe selbstständig handeln und kalkulieren, damit eine Atmosphäre wie bei einem Start-up herrscht. Und jeder Mitarbeiter soll wie ein Manager handeln, Einnahmen maximieren und Ausgaben minimieren.

Andererseits wollte Inamori, seit 1997 buddhistischer Zen-Priester, den Kapitalismus mit Altruismus und Familiengeist zähmen. Seine Maxime: „Tue das, was menschlich richtig ist.“

Bei Kyocera zückt daher jeder Mitarbeiter bis heute bei jeder Morgenbesprechung ein kleines, in blaues Plastik gebundenes Buch mit Inamoris Managementlehre. Das 80-Seiten-Werk soll dem persönlichen Wachstum dienen, etwa mit Aussagen über die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit und die richtige Lebensweise. Viele wählen einen Lehrsatz aus und stecken ihn hinter ihr Namensschild mit dem Firmenausweis, um sich ständig an den Gedanken zu erinnern.

Nun ist Japans bekanntester Manager gestorben. Anlass für die WirtschaftsWoche, ein Interview aus dem Jahr 2016 noch einmal zu zeigen.

Die zwölf Management-Prinzipien von Kazuo Inamori

WirtschaftsWoche: Das Motto Ihrer Management-Philosophie lautet „Respektiere das Göttliche und liebe die Menschen“. Wann haben Sie zuletzt bewusst an Ihr Motto gedacht?
Kazuo Inamori: Ich bin jetzt 84 Jahre alt, im Ruhestand und lese viel. Ein paar Mal in der Woche fahre ich in mein Büro bei Kyocera und treffe das Management. Dabei frage ich mich jedes Mal, wie wir als Menschen sein sollen. Eine Lehre ist, dass wir demütig und niemals arrogant sein sollten. Mit dem Alter wächst die Gefahr, arrogant zu werden. Daher kontrolliere ich mich strikt und frage mich, ob ich demütig genug bin.

Sie wurden nach dem Gründer- und Management-Leben ein buddhistischer Priester. Wie notwendig sind Kenntnisse des Buddhismus, um Ihre Ideen zu verstehen?
Man muss den Buddhismus nicht kennen. Ich wurde dadurch sicher beeinflusst, aber kurz gesagt, kehrt man zur selben Frage zurück: Was ist die richtige Sache, die ich als Mensch tun muss? Aber nicht als Kazuo Inamori, auch nicht als Japaner, sondern als Mensch, der auf diesem Planeten lebt. Das ist das konstante Thema. Am Fundament meines Lebens steht diese Frage nach dem Menschsein.

Sie haben Kyocera Ende der 1950er Jahre gegründet. Haben sich die Anforderungen an Manager seit damals geändert?
Nein, überhaupt nicht. Für Manager und Unternehmensführer ist ein integrer Charakter weiterhin das Allerwichtigste.
Welche andere Eigenschaft innerhalb Ihrer zwölf Management-Regeln halten Sie denn für besonders wichtig?

In jedem Menschen konkurrieren das Ego und ein altruistisches Selbst miteinander. In der Tiefe unseres Herzens folgen wir egoistischen Zielen. Zugleich freuen wir uns daran, wenn andere Leute glücklich sein können. Wenn wir uns nicht selbst kontrollieren, dann wird unser Ego größer und wir tun Dinge, die uns selbst nützen. Aber es gibt auch diesen anderen Faktor, dass wir uns um andere kümmern. Also versuche ich, dass meine Motivation auf dem altruistischen Denken basiert.

Und wie machen Sie das?
Ich muss mich täglich prüfen, wie ich gelebt habe und ob mein Ego meinen Altruismus verdrängt. Falls dies der Fall war, dann muss ich mich am nächsten Tag um eine Verbesserung bemühen. Wenn ich diese Selbstreflexion jeden Tag mache, dann kann ich die Richtung meiner Gedanken korrigieren. Dafür bedarf es keiner Meditation oder Notizen. Es reicht ein bisschen Distanz zu sich selbst, um diese Veränderung zu bemerken. Das ist meine Überzeugung.


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In welchen Unternehmen sehen Sie noch heute diesen Geist am Werk?
Mit heutigen Firmen kenne ich mich nicht gut aus. Aber ich war sehr beeindruckt von IBM und habe sehr viel von den Gedanken und Methoden von Thomas J. Watson gelernt (IBM-Vorsitzender von 1914 bis zu seinem Tod 1956). Das Problem ist, dass gute Management-Gedanken im Laufe der Generationen verblassen, so dass die Leistungen der Firma nachlassen oder es zu Skandalen kommt. Volkswagen zum Beispiel galt als großartige deutsche Firma, aber der Ruhm wurde nun schlagartig vermindert, wahrscheinlich weil gute Ideen über die Jahre verwässert wurden.

Vielleicht stehen Manager in unserer hyperaktiven Zeit auch stärker unter Druck. Durch die Globalisierung hat sich der Wettbewerb erheblich verschärft. Wie ist es da noch möglich, dass es eine „Herzensverbindung“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern gibt, wie Sie es verlangen?
Die heutigen Manager erklären, sie wollten den Unternehmenswert für die Aktionäre steigern. Aber wer unternimmt die Anstrengung zu diesem Zweck? Das sind die Arbeiter und Angestellten der Firma, die sich mit gutem Willen anstrengen. Dann kann die Firma besser abschneiden. Selbst wenn der Zweck die Erhöhung des Firmenwerts ist, sollten wir die Mitarbeiter als Zentrum der Firma hegen. Das ist bis heute meine Überzeugung.

Aber wie können wir Manager dazu bringen, sich anders zu verhalten?
Es könnte schwer sein, westliche Manager zu überzeugen. Die westliche Welt hat ihre eigene Kultur und Gewohnheit: Eine fähige Person, die gute Ergebnisse generiert, soll dort eine hohe Belohnung bekommen. In Japan gibt es immer noch einen generellen Widerstand dagegen, eine fähige Person extra hoch zu bezahlen.

Das Problem liegt darin, dass die Manager-Gehälter vom Firmengewinn abhängen. Daher vergrößern sie kurzfristig den Gewinn, um ihren eigenen Bonus zu steigern.
Gute Zahlen gibt es nur, wenn unter der Führung eines Managers alle Leute in die gleiche Richtung arbeiten. Das bedeutet, dass die Früchte der Anstrengung nicht nur an die Führung gehen sollten. Im Fußball werden sehr hohe Gehälter gezahlt, weil individuelle Spieler die Menschen anlocken und dadurch die Einnahmen steigern. Aber in einer Firma tragen Ingenieure, Techniker, Marketing-Leute gemeinsam zum Erfolg bei. Deshalb bin ich gegen hohe Boni nur für die Unternehmensführer.

Die Management-Prinzipien von Kazuo Inamori

Wie lassen sich Ihre Management-Ideen und die Forderung nach mehr Ertrag für die Aktionäre miteinander vereinbaren?
Aktionäre erwarten einen gewissen Ertrag dafür, dass sie die Aktien halten. In dieser Erwartung kaufen sie die Papiere. Das Unternehmen wird ihre Erwartungen nicht hundertprozentig erfüllen, aber es sollte jede Anstrengung unternehmen, möglichst viel zu bezahlen.

In welchem Maße sollten Manager über die Ertragssteigerung für die Aktionäre nachdenken
Das ist eine sehr schwierige Frage für das Management. Wenn es eine exzellente Firma ist und genug Gewinn gemacht wird, dann sollte der Ertrag nach Abzug von Steuern und Rücklagen mit den Aktionären geteilt werden. Aber Konzernleiter sollten nicht für Aktionäre arbeiten, sondern danach streben, alle ihre Angestellten glücklich zu machen, sowohl materiell als auch intellektuell.

Firmen wie Apple und Amazon sparen gerne kreativ Steuern. In Ihrem Denken sollte eine Firma aber Steuern als Beitrag für die Gesellschaft zahlen. Wie sehen Sie diesen Widerspruch?
Ich finde es befremdlich, jedes Mittel zu nutzen, um so wenig Steuern wie möglich zu zahlen und mit viel Weisheit und Einfallsreichtum die Schlupflöcher zu finden, auch wenn in westlichen Ländern dies als eine Kompetenz von Managern betrachtet wird.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Ich weiß nicht viel über westliche Geschichte, aber am Ursprung des Kapitalismus standen Protestanten mit edlen Gedanken und tiefen religiösen Überzeugungen, dass man für seine Anstrengungen belohnt werden kann, ohne dass man dafür kritisiert wird. Der heutige Kapitalismus verliert dieses ursprüngliche Fundament gerade. Er ist zu extrem auf die egoistische Idee orientiert. Jetzt ist hoffentlich die Zeit gekommen, dass die Menschen sich auf den Ursprung besinnen.

Eine Erklärung für diesen extremen Kapitalismus ist, dass es kein ideologisches Gegenmodell mehr gibt.
Ja, das Verschwinden des Sozialismus hat den Kapitalismus stark beeinflusst. Meiner Meinung nach ist Sozialismus keine falsche Ideologie. Die Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion war kein Sozialismus. Ich glaube, dass der heutige Kapitalismus das sozialistische Denken integrieren müsste.

Wenn man Ihre Bücher liest, könnte man meinen, Sie wollen Sozialismus mit Gewinnstreben verbinden. Sind Ihre Ideen also sozialistisch?
Das kann sein. Mein Denken ist von sozialistischen Standpunkten gefärbt. Ich bin auch immer ein Freund von Parteien gewesen, die durch sozialistisches Denken beeinflusst sind, während die Regierungspartei in Japan den Kapitalismus lobt.

Woher kommt dieser sozialistische Einfluss?
In meinem Fall wohl aus dem Buddhismus. Aber da gibt es keinen Unterschied zum Christentum. Was Jesus sagen wollte, ist nichts anders, als was Godhama Buddha sagen wollte. Dieses soziale Denken ist universell.

Andererseits haben Sie das Amöben-Management erfunden. Eine Firma wird in kleine Profit-Zentren (Amöben) aufgeteilt. Jeder Mitarbeiter soll denken wie ein Unternehmer. Solches Startup-Denken ist doch nur kurz nach der Gründung möglich.
Als ich jung war, habe ich intensiv über Führung nachgedacht. Es ist wie beim großen Treck nach Westen bei der Gründung von Amerika. Ein Führer muss eine starke Vision haben, damit jeder seine Energie für das gemeinsame Ziel mobilisieren kann. Beim Startup-Unternehmen ist es das Gleiche. Mitarbeiter, die später in diese Firma eintreten, sollen auch den Eindruck gewinnen, dass sie eine gute Entscheidung getroffen haben. Diese Art von Führung mit einem großen Ziel ist sehr wichtig. Viele Leute geben sich mit dem Erreichten zufrieden. Aber dann hätten diese Wagentrecks nie Kalifornien erreicht. Und der Führer muss die Nachfolgegeneration ausbilden.

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Von dieser Art von Führern gibt es aber nicht viele in der Welt, was für erfolgreiche Firmen ein Problem ist.
Es gibt exzellente Nachfolger! Wir müssen sie nur finden, und wenn sie noch unreif sind, müssen wir sie noch ausbilden. Bei Kyocera zum Beispiel habe ich eine solche Person schon identifiziert.

Und wie haben Sie das gemacht?
Das ist natürlich nicht einfach. Es muss jemand sein, der eine klare Vision als Mensch hat, bescheiden ist und Leidenschaft für das Erreichen seiner Ziele zeigt. Diese Person muss viele Schwierigkeiten überwinden können und zugleich dankbar für die Menschen in seiner Umgebung sein.

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Doch, man muss eine Richtung haben, in die man gehen will. Das Ziel sollte klar sein. Ohne Ziel ist alles nichts. Also ist die Vision ein Minimum. Materiell und spirituell. Dieses Ziel können Umsatz- und Gewinnzahlen sein und zugleich könnte es das Glück der Beschäftigten sein.

Westliche Manager wechseln ihre Firmen eher häufig und schnell. Wie lang muss man bei einer Firma bleiben, um eine Vision zu verwirklichen?
Wer nur fünf Jahre bleibt und dann weiterzieht, der ist nur gut in Management-Techniken und Geschäftstaktiken. Eine Vision muss auch Persönlichkeit, Integrität, Charme, Attraktivität und Charisma umfassen, damit andere Leute dieser Person folgen. Fertigkeiten und Techniken sind typisch für westliche Manager, aber das ist nicht am wichtigsten.

Aber wer sich so reinhängt in seine Vision, dem droht ein Burnout. Ist diese Krankheit ein Nebeneffekt des extremen Kapitalismus oder liegt es an der einzelnen Person?
Beides ist richtig. Auf der einen Seite der Missbrauch durch den extremen Kapitalismus, auf der anderen Seite auch persönliche Verantwortung. Wahrscheinlich denken diese Leute, dass sie zur Arbeit gezwungen sind, was viel Stress verursacht. Deshalb sage ich meinen Mitarbeitern immer, dass sie ihre Arbeit lieben soll, egal welche Arbeit man ihnen gibt. Der Unterschied zwischen Arbeit, die ich gezwungen bin zu machen und die ich liebe, ist riesengroß.

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Dieses Interview wurde im Jahr 2016 geführt und wird aus aktuellem Anlass noch mal gezeigt.

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