Legal Techs Auch die Rechtsberatung wird digital

Lange haben sich Juristen gewehrt, jetzt beugen sie sich der Digitalisierung: Sie lassen sich von Online-Vermittlern listen und von Klienten bewerten. Das hat für Verbraucher und Anwälte gleichermaßen Vorteile.

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In den USA hilft ein Roboter einer Kanzlei bereits bei der Recherche. Quelle: dpa

Sammelklagen waren mal ein amerikanisches Phänomen. Das Internet – und Dieselgate – haben das verändert. Anfang Januar reichte Myright beim Landgericht Braunschweig Klage gegen VW ein: Ein Kunde wollte seinen VW Eos wegen des Abgasskandals loswerden und sein Geld zurück. Diese Forderung an Volkswagen hat er an den Rechtsdienstleister Myright abgetreten.

Sammelklage per Mausklick

Das Unternehmen, ein sogenanntes Legal Tech, tritt als Vertreter der auf Verbraucherschutzklagen spezialisierten US-Kanzlei Hausfeld in Deutschland auf. „Myright setzt sich für das Recht tausender betroffener Kunden im VW-Abgasskandal ein. Mit nur einem Klick schließen Sie sich unserer Sammelklage an“, heißt es auf der Homepage. Nach eigenen Angaben vertritt das Unternehmen bereits mehr als 100.000 VW-Kunden.

Damit macht Myright etwas, was Fintechs mit Banken und Versicherungen getan haben: Es verändert das Geschäftsmodell einer klassischen Kanzlei gravierend. Ganz ähnlich wie im Finanzbereich wird hier eine Branche von der Digitalisierung überrollt, die damit nicht gerechnet haben dürfte: „Bei vielen Juristen sind gerade erst Themen wie das elektronische Postfach angekommen. Die Branche ist, was Digitalisierung angeht, noch ziemlich hinterher“, sagt Stefan Morschheuser, Mitbegründer und CEO von anwalt.de. Anwalt.de ist eines dieser Internetunternehmen, das die Rechtsberatung umkrempelt.

Myright und anwalt.de sind nicht alleine: advocado, Leverton, Jurato, fragrobin.de, flightright – im deutschsprachigen Internet sind die Juristen los.

Fluggastrechte - Die Rechtsdienstleister im Überblick

Und es werden nicht nur immer mehr und immer mehr Spezialisten, sie haben auch zunehmend mehr Erfolg, wie die Klage von Myright zeigt. „Legal Tech ist ein Trendthema: Es geht darum, Transparenz in eine eher intransparente Branche zu bringen und Verbrauchern den Zugang zur Rechtsberatung zu erleichtern“, so Morschheuser. Denn die Handhabe für den Verbraucher ist bei vielen Portalen ähnlich dem eines Pizza-Lieferportals.


Generalist oder Spezialist?

Wer etwas zu Essen bestellen beziehungsweise sich juristisch beraten lassen möchte, wählt einen entsprechenden Vermittler aus: Generalisten, die von Pizza über Burger bis zu Sushi alles anbieten, gibt es auf Legal Tech-Seite genauso wie es Spezialisten gibt. Dazu gehören Start-ups wie geblitzt.de, Bahn-Buddy oder Flightright. Hier verrät schon der Name, worum es geht. Bei den Generalisten muss der User erst einmal auswählen, um welches Rechtgebiet es ihm denn geht: Unternehmensrecht? Verbraucherschutz? Familienrecht? Dann bekommt er eine Liste von Anwälten und Kanzleien, die in dem jeweiligen Bereich spezialisiert sind.

Und: Der User kann Bewertungen anderer Nutzer sehen. Wie freundlich war die Telefonberatung? Wie hilfreich war die Beratung vor Ort? Wurde der Fall erfolgreich gelöst? Wie hoch waren die Kosten? Im Vergleich zum traditionellen Weg – Telefonbuch oder Empfehlung, Telefonat, Besuch in der Kanzlei – weiß der Kunde hier also schon im Vorfeld, worauf er sich einlässt. Doch vor diesen Bewertungssystem à la Amazon hat es vielen Anwälten lange gegraut: „Bewertungen waren lange Zeit ein sehr heikles Thema für die Juristen. Das ändert sich mittlerweile, aber leider nur sehr langsam“, sagt Morschheuser.

Wer sich dem öffnet und sich auch von potenziellen Klienten in die Karten schauen lässt, profitiert davon: „Die Kanzleien, die bei Legal Techs gelistet sind, generieren deutlich mehr Nachfrage: Wir allein vermitteln 100.000 Telefonate im Monat und rund 6000 Beratungen“, so Morschheuser. Dafür zahlen die Kanzleien einen Festpreis von durchschnittlich 50 Euro pro Monat für die Listung.

USA sind Vorreiter

Es gibt natürlich auch noch andere Geschäftsmodelle. Bei dem Berliner Start-up "Frag Robin" zum Beispiel wählt der User das für ihn zutreffende Rechtsgebiet, beispielsweise Arbeitsrecht und füllt einen Fragebogen aus. Diesen wertet die Software aus. Am Ende bekommt der Nutzer eine Fallanalyse per E-Mail – inklusive eines Tipps und eines Verweises zu einem der 1500 Partneranwälte des Start-ups.

Bei Lexalgo dagegen übernimmt ein Algorithmus quasi die komplette Rechtsberatung. Das Start-up aus Darmstadt entwickelt Softwarelösungen für Unternehmen, mit der sich für häufig auftretende, ähnliche Fälle Regeln entwickeln lassen.
Im englischsprachigen Raum sind die Jura-Start-ups schon deutlich etablierter. „In den USA gibt es viele Vorbilder, in Deutschland ist der Markt dagegen noch recht klein“, sagt Morschheuser. „In Kalifornien wird mittlerweile jede vierte Unternehmensgründung über ein Portal abgewickelt.“

Hierzulande sucht man sich seinen Anwalt für die Unternehmensgründung noch zu Fuß. Auch mit der Investitionsbereitschaft in Legal Techs hinkt man in Deutschland noch hinterher. In den USA sind große Summen für Rechtsdienstleister dagegen keine Seltenheit. Allein Google hat bereits 40 Millionen Dollar in das Unternehmen Rocket Lawyer investiert. Bleibt abzuwarten, was die Kanzleien selber aus dieser Entwicklung machen. Vorbilder finden sie im Finanz- und Versicherungsbereich ja genug.

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