Management Der heroische Manager hat ausgedient

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Anleihen bei der Kunst nehmen

Wirtschaftsjournalisten beklagen derweil, dass in Deutschland nichts wirklich Neues mehr entsteht, nichts Großes. Das Projekt Desertec, der Plan, für Europa Sonnenenergie in der Sahara zu erzeugen, droht steckenzubleiben. Man beobachtet die Angst der alten Menschen bei Infrastrukturprojekten, die zunehmend die Stimmung unserer Gesellschaft prägt. Dagegen steht der Wunsch nach Visionen und Träumen, in deren Folge wirklich Großes entsteht, und dies mit Menschen, die Probleme lösen wollen, die inspirieren, weil sie groß denken.

Aber mit unserem betriebswirtschaftlichen, analytischen und induktiven Denken kommen wir, das wird immer deutlicher, nicht mehr so recht weiter. Unsere wissenschaftlich fundierten Strategien treffen immer weniger zu, wir finden damit  immer seltener originelle Lösungen.

Wir sollten uns an Martin Heidegger erinnern, der die Philosophie als am Ende ihres Denkens angelangt sah und glaubte, dass sie ihren Weg der Wahrheitssuche nur noch fortsetzen könne mit Hilfe der Kunst. Auch Jürgen Habermas spricht von einem anderen Denken, das Kants Vernunftbegriff weit übersteige.

Angesprochen sind damit nicht Menschen, die ein strenges Über-Ich verinnerlicht haben, also vor allem von Regeln geleitet sind, von Gesetzen, Vorschriften, Verboten und sich jetzt in Brainstorming versuchen oder im Assoziieren. Trotz aller Anstrengung produzieren sie nur bekannte Vorschläge und „vernünftige“ Beiträge.

Eher ist damit gemeint, dass in uns Kräfte brachliegen, die wir nicht nutzen, weil sie voneinander getrennt sind, statt sich gegenseitig zu befruchten: Das Bewusste und das Unbewusste sollten durchlässiger werden, die rechte und die linke Gehirnhälfte, zuständig für das Rationale und das Assoziative, Bildhafte. Das Angepasste und das Nichtdomestizierbare. Das Dionysische und das Apollinische, die in Friedrich Nietzsches „Übermenschen“ zusammenwachsen und ihn mit ungewöhnlichen Fähigkeiten versehen und ungeahnte Leistungen ermöglichen. Vielleicht sollten wir auch besser lernen, das handwerkliche Können und operative Tun mit der Begeisterung zu verbinden, mit dem Rausch und der Ekstase.

Vielleicht kann uns der Maler Kandinsky dabei ein Beispiel sein: Er hat angesichts des Sonnenuntergangs über Moskau so tiefe innere Erfahrungen gemacht, dass er zeitlebens davon zehren konnte. Vor einem Gemälde von Monet ist er in Ekstase geraten und bei der Premiere einer Wagneroper in Sankt Petersburg hat er stundenlang geweint. Kandinsky ist der Erfinder der abstrakten Malerei und hat der darstellenden Kunst ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten verschafft.

Anleihen bei der Kunst zu nehmen, hieße demnach nicht, von der Aufgabe abzulassen, mit bewährten Methoden Unternehmen erfolgreich zu führen. Aber es würde bedeuten, alte Verhaltensmuster kritisch zu überprüfen, sich um philosophisches Wissen zu bemühen, eine persönliche Perspektive zu erwerben, sich auf ein neues Menschenbild zu besinnen. Und dann nach dem Beispiel von Kandinsky die Kräfte, die in uns angelegt sind, miteinander zu verbinden. Vielleicht wären große Aufgaben dadurch eher zu leisten als mit eisernem Machtwillen, Druck und Drohungen.

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