Kann man sich eine Wirtschaft vorstellen, die auf Bescheidenheit angewiesen ist? Vermutlich nicht. Aber Ehrgeiz muss nicht unbedingt durch finanziellen Gewinn befriedigt werden, glaubt Gebauer. Unternehmerischer Ehrgeiz sei auch in andere Richtungen zu lenken. Zum Beispiel Richtung Qualität. Qualität der Arbeitsbedingungen, der Beziehungen zu Geschäftspartnern, der Produkte. Es sei eine Frage der Anreize und des Bewertungssystems für Managementleistungen.
Bei Lammsbräu versucht man sich bereits an der Umwertung. Auch zum Beispiel bei der Richard Henkel GmbH, einem Hersteller von Stahlmöbeln im baden-württembergischen Forchtenberg, der schon auf seiner Website verkündet: „Mensch und Umwelt stehen im Mittelpunkt“. Die Stahl-Möbel seien „langlebige, sichere und umweltgerechte Produkte“, und man habe „unsere Kinder immer vor Augen“.
Rein ethische Zielsetzungen – wie die Förderung des ökologischen Landbaus, die Reparaturfähigkeit der Produkte und die Zufriedenheit der Mitarbeiter – sind aber auch bei wachstumsneutralen Unternehmen nicht die einzigen. Dazu kommen strukturell-organisatorische Gründe, auf einen offensiven Wachstumskurs zu verzichten: Für viele Unternehmen kann Wachstum nicht nur Vorteile - die so genannten economies of scale – mit sich bringen, sondern auch Nachteile – diseconomies of scale. Das können atmosphärische Folgen sein, zum Beispiel die wachsende Distanz des einzelnen Mitarbeiters zum Gesamtunternehmen und damit einhergehend die Abnahme seiner Leistungsbereitschaft. Gerade für Unternehmen, die auf die besondere Qualität ihrer Leistungen und den persönlichen Kontakt zum Kunden angewiesen sind, kann das ein sinnvoller Grund sein, auf weitere Expansion zu verzichten.
Und nicht zuletzt spielt für viele Gründer oder Familienunternehmer die eigene Freiheit eine große Rolle. Wer expandiert, braucht meist Fremdkapital und macht sich dadurch von Banken oder anderen Investoren abhängig. Damit kann der unternehmerische Gestaltungsspielraum verloren gehen. Aber auch ganz persönliche Motive können eine Rolle spielen: Einige der von Gebauer und Kollegen aufgelisteten Unternehmer sagten offen, dass ein Unternehmenswachstum mehr Arbeit bedeute und damit zu Lasten des Privatlebens und der Lebensqualität gehe.
Sicher ist es kein Zufall, dass in der Liste der Wachstumsneutralen kein größerer Konzern zu finden ist. Brauerei-Geschäftsführerin Susanne Horn glaubt zwar nicht, dass es für ein größeres Unternehmen unmöglich ist, wachstumsneutral zu wirtschaften. „Aber natürlich geht es in einem Familienbetrieb, in dem Besitzerfamilie und Geschäftsführung die gleichen Werte teilen, deutlich leichter als in einem großen Konzern.“
Den Anspruch, sozial und ökologisch verantwortlich zu wirtschaften, erheben auch Großunternehmen. Entsprechend ausgiebig wird zum Beispiel der Begriff der „Nachhaltigkeit“ in Konzernen verwendet. Aber er hat, so stellt Gebauer fest, keine Rückwirkung auf das zentrale Unternehmensziel Wachstum. Da ist dann oft unter Verdrehung der ursprünglichen Wortbedeutung von „nachhaltigem Wachstum“ die Rede, wo man schlicht dauerhaftes Wachstum verspricht. Nur bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, so Gebauer, kann man die konsequente Verknüpfung des Begriffs der Nachhaltigkeit mit dem Ziel finden, nicht immer mehr Produkte in die Welt zu setzen, sondern langlebigere und reparaturfähige.
Entscheidend für die Frage, ob Wachstum zum ersten Unternehmensziel wird oder nicht, ist vermutlich nicht die schiere Größe des Unternehmens, sondern die Kapital- und Besitzerstruktur. Unternehmen, die von renditehungrigen Finanzinvestoren abhängig sind, stehen natürlich unter einem immensen Druck wachsen zu müssen. Aktiengesellschaften unterliegen daher per se einem Wachstumszwang. Aktionäre erwarten in der Regel die Auszahlung einer Dividende – was den Abfluss von Kapital bedeutet, das nicht investiert werden kann – und den Anstieg des shareholder value.
Genossenschaften – zum Beispiel die Volksbanken, Edeka oder Datev - sind ist im Gegensatz dazu nicht unbedingt auf ein Gewinnwachstum angewiesen, da sie Gewinne nicht ausschütten müssen, sondern reinvestieren können. „In einer wachstumsneutralen Volkswirtschaft würden Genossenschaften eine vorteilhafte Unternehmensform darstellen, da sie statt individueller Marktmacht die Kooperation mit anderen Unternehmen suchen, was den intensivierten Verdrängungswettbewerb in einer stagnierenden oder wachstumsneutralen Volkswirtschaft abmildern könnte“, schreiben Gebauer und Kollegen.
Vielleicht fällt der Abschied vom Wachstumszwang aber auch leichter, wenn man sich von einer allzu engen Definition von Gewinn oder Rendite verabschiedet. Susanne Horn, die selbst studierte Finanzwissenschaftlerin ist, ist zum Beispiel ganz und gar nicht der Ansicht, dass ein wachstumsneutrales Unternehmen keine Rendite erwirtschaftet: „Es gibt viele andere Renditen als die finanzgetriebene Zuwachsrendite. Der Erhalt unserer Biodiversität ist auch eine große Rendite, weil wir ansonsten unser eigenes Lebensumfeld zerstören.“