Dazu kommt ein weiteres Phänomen, das der britische Thinktank Tomorrow’s Company vor einigen Monaten in einer Analyse beschrieb. Die Denkfabrik untersuchte in Konzernen – darunter der Einzelhändler Kingfisher, die Unternehmensberatung McKinsey und der Vermögensverwalter St James’s Place – die Rolle von sogenannten Non-Exekutive Directors, eine Funktion, die mit der deutscher Aufsichtsräte vergleichbar ist. Die Autoren der Studie kritisierten, dass die Unternehmen zu risikoavers agierten – und damit den Erfolg riskierten.
Mehr Diversität in die Aufsichtsgremien
Die Experten kamen zu dem Schluss, dass sich das leicht ändern ließe – durch mehr Abwechslung in den Aufsichtsräten: „Fachliche Außenseiter neigen eher dazu, vermeintlich irritierende Fragen zu stellen und Gruppendenken zu verhindern.“
Doch natürlich sollte man kein kompletter Neuling sein, um Routinen und Gewohnheiten in einem Unternehmen kritisch zu hinterfragen:
Der Blick von außen muss schon auch scharf sein, meint Mikael Adelsberg. Der gebürtige Schwede arbeitet seit fast 15 Jahren beim Nutzfahrzeughersteller Scania und hat verschiedene Positionen besetzt. Er fing 2003 als Programmierer an, wurde später Manager im Bereich Antriebstechnik, wechselte dann in die Motorenentwicklung und hat gerade eine zweijährige Rotation zu Volkswagen Truck & Bus in Braunschweig abgeschlossen – so heißt die Holding, unter deren Dach VW 2015 seine Nutzfahrzeugmarken MAN und Scania gebündelt hat.
Zurück in Schweden, baut Adelsberg nun eine Abteilung bei Scania auf. „Die neue Perspektive hilft mir, Prozesse kritischer zu hinterfragen und bessere Entscheidungen zu treffen.“ Deshalb, da ist er sich sicher, werde das Team bessere Ergebnisse erzielen.
Darauf hofft auch Martin Hofmann, Personalchef von Volkswagen Truck & Bus: „Wir wollen eine breit aufgestellte, weltoffene und flexible Führungsmannschaft, die sich nicht zu stark spezialisiert.“ Denn Fachkenntnis ist in seinen Augen nicht alles: „Um bei uns erfolgreich zu sein, brauchen die Führungskräfte noch andere Fähigkeiten.“ Lösungsorientiert denken etwa müssen sie können und die Mitarbeiter vertrauensvoll führen.
Auch die Fähigkeit, sich selbst zu irritieren, sich zu verunsichern, ist unter Fachkräften nicht ausgeprägt genug. Das konnten Juan Almandoz von der spanischen IESE Business School und András Tilcsik von der Universität von Toronto vor zwei Jahren nachweisen. Die Professoren analysierten die wirtschaftliche Leistung von rund 1300 Banken von 1996 bis 2012 in Situationen erhöhter Unsicherheit – etwa bei neuen Immobilienkrediten.
Dabei zeigte sich: Je höher der Anteil der Vorstände mit Fachexpertise, desto größer das Risiko eines Organisationsversagens. „Es kann ein Nachteil sein, zu viele Banker in Vorstand und Aufsichtsrat zu haben“, schreiben Almandoz und Tilcsik. So wie Angehörige anderer Berufsgruppen haben auch Banker spezifische Gewohnheiten, Denk- und Vorgehensweisen, die sie gegen Selbsteinsprüche immun machen.
Diese Art von Durchwinker-Mentalität ist der Albtraum jedes Unternehmens. „Gerade in Zeiten der Digitalisierung können sie sich eine solche Arbeitshaltung nicht mehr leisten“, sagt Kienbaum-Experte Thiele. Natürlich sei es weder möglich noch erstrebenswert, auf Fachwissen zu verzichten. Expertise ist in manchen Bereichen unersetzbar – kein Patient würde sich auf den OP-Tisch legen, wenn ein Elektriker oder Buchhändler das Skalpell in die Hand nimmt; keinem Passagier wäre wohl dabei, einen Busfahrer am Ruder des Flugzeugs zu wissen.