Ein Vorteil der Charney trotz aller Fehltritte lange auf seinem Chefsessel hielt: Er hat das Unternehmen gegründet und dessen Image geprägt. Immer wieder sorgte American Apparel mit sexuell anzüglichen Kampagnen für Aufsehen. So warb das Unternehmen im März mit einer bengalischen Mitarbeiterin, die lediglich eine geöffnete Jeans auf der Anzeige trägt. Über ihre nackte Oberweite prangt der Schriftzug „Made in Bangladesh“. Die Figur des Gründers war schlichtweg zu eng mit dem Firmenimage verwoben.
„Es macht immer einen schlechten Eindruck, wenn der Gründer ausgetauscht wird“, sagt Manfred Siebenlist, Geschäftsführer der Personalberautung Siebenlist, Grey & Partner. „Stellen Sie sich mal vor, Steve Jobs wäre zu seiner Zeit bei Apple ausgetauscht worden. Das wäre ein Skandal gewesen.“ Dov Charney mag kein Steve Jobs sein, aber als Gründer genoss er Vorteile, die er bis zum Exzess ausnutzte.
Das Gründer-Argument allein ist allerdings zu simpel und erklärt auch nicht das Verhalten zahlreicher anderer Manager, die ihre Machtposition immer wieder überstrapazieren – ohne Konsequenzen zu erleben. „Solche Fälle haben schließlich immer eine Vorgeschichte“, erklärt Siebenlist. „Ein Unternehmen, das eine solche Person fallen lässt, gesteht sich automatisch einen Fehler bei der Besetzung ein.“
Und ein solches Eingeständnis kann Folgen nach sich ziehen, sagt Wirtschaftsprofessor Jürgen Weibler: „Unter den Wegbereitern herrscht die Angst, mitzufallen und Opfer eigenen Handelns zu werden.“ Denn: „Solche schwierigen Persönlichkeiten arbeiten gerne auch mit unlauteren Mitteln.“ Mitwisser und Mittäter befürchten, dass dies auf sie zurückfällt.
Warum also an Strukturen rütteln, die sich bisher zum Vorteil für einen selbst entpuppt haben? Schließlich birgt es immer ein Risiko, wenn sich Mitarbeiter gegen den Chef auflehnen: „Wenn man in die Schlacht zieht, weiß man nie mit Sicherheit, wie die Schlacht ausgeht“, sagt Weibler.
Nichtzuletzt halten Unternehmen trotz Zwischenfälle auch wegen ihrer Leistungen an eigentlich unhaltbaren Führungspersönlichkeiten fest. „Chefs haben ihre Position vor allem deshalb inne, weil sie der Firma Erfolge gebracht haben.“ Daher stellen sich Aufsichtsräte stets die Frage, ob sie tatsächlich den Unternehmenserfolg gefährden sollen, nur weil eine Person menschlich oder moralisch fragwürdig ist. „Wer aber Moral verrechnet, macht sich mitschuldig“, so Weibler. Deshalb bleibt ein Charney manchmal solange auf seinem Stuhl bis das Unternehmen kurz vor der Pleite steht – so wie aktuell American Apparel.