Hugo Boss und Krones haben einen, LEG Immobilien, die RTL Group, Südzucker und Talanx auch: einen Vorstandsvorsitzenden, der für das Digitalgeschäft beziehungsweise Innovation verantwortlich ist. Bei den übrigen 44 MDax-Konzernen ist die Transformation des Unternehmens nicht Sache des Chefs (siehe Tabelle auf Seite drei), wie eine Untersuchung der Personal- und Organisationsberatung Korn Ferry zeigt, die WirtschaftsWoche Online exklusiv vorliegt. Dafür wurden die Vorstellungen der Vorstände auf den jeweiligen öffentlichen Unternehmens- und Investor-Relations-Internetseiten analysiert. Bei einigen Unternehmen ließ sich keine Ressortverantwortung feststellen, weshalb die Studienautoren dies als „nicht vorhanden“ werteten.
Das Ergebnis: In 43 der 80 größten deutschen Unternehmen, nämlich den Dax- und MDax-Konzernen, existiert mindestens ein Vorstandsmitglied, das offiziell für IT und/oder Digitalisierung verantwortlich ist. In den übrigen 37 übernimmt im schlimmsten Fall ein Zufallskandidat die digitale Transformation des Unternehmens.
Was nicht zwangsläufig ein Problem sein muss, wie Alexander Wink, Senior Client Partner und Leiter der EMEA-Digitaleinheit von Korn Ferry, sagt. Für einen Chief Digital Officer, also den CDO oder Chef-Digitalisierer, komme es deutlich mehr darauf an, welche operativen Entscheidungsbefugnisse er habe, als dass er im Vorstand sitze.
Wäre der Digitalisierungsexperte dort angesiedelt, hätte das jedoch eine ganz andere Außenwirkung, so Wink. „Dazu hat sich bisher keins der größten gelisteten Unternehmen in Deutschland entschieden.“
In den im MDax gelisteten Unternehmen ist es um die Digitalkompetenzen der Vorstände noch ein bisschen schlechter bestellt als im Dax, wie die Studie zeigt. Aktuell sitzen in den Vorständen von 23 der 50 MDax-Unternehmen (46 Prozent) Menschen, die offiziell für den Bereich IT, Innovation, Strategie oder Digitalisierung verantwortlich sind.
Im Fall von Hugo Boss, Krones, LEG Immobilien, RTL Group, Südzucker und Talanx ist das der CEO.
Die digitalen Vorstandsvorsitzenden im MDax
Langer ist Vorstand für die Bereiche Unternehmensstrategie und Kommunikation, Controlling, Finanzen, Innenrevision, Central Services, IT, Recht/Compliance, Personal, Globale Beschaffung und Produktion, Supply Chain Management.
Herbert K. Haas, CEO der Talanx, ist für die Ressorts Auditing, Communications, Corporate Development, Corporate Office/Compliance, Data Protection, Information Technology (IT), Investor Relations, Legal und Project Portfolio Management verantwortlich.
Dr. Heer ist bei Südzucker für die Bereiche Verkauf/Zuckerhandel/Marketing, strategische Unternehmensplanung, Konzernentwicklung, Beteiligungen, Compliance, Revision, Öffentlichkeitsarbeit, Führungskräfte/Führungsgrundsätze/Personal, Organisation/IT, Lebensmittelrecht/Verbraucherpolitik/Qualitätssicherung und Functional Food zuständig.
De Posch ist seit 2012 bei der RTL Group Co-CEO und für die Mediengruppe RTL Deutschland, Groupe M6, RTL Radio (Frankreich) und RTL Belgien zuständig.
Zusammen mit CEO Bert Habets, der für die FremantleMedia und RTL Ungarn sowie Kroatien zuständig ist, verantwortet de Posch die digitalen Geschäftsfelder des Senders, die Unternehmensstrategie, die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, Personal, Kommunikation und Marketing sowie Compliance.
Christoph Klenk ist für die Bereiche Personal, Kommunikation, Qualität, Compliance, Recht, Unternehmensentwicklung sowie Informationsmanagement zuständig.
Thomas Hegel ist verantwortlich für die Bereiche: Unternehmensentwicklung, Akquisitionen, Unternehmenskommunikation, Recht, Revision und Compliance, Personal, IT, Vorstands- und Aufsichtsratsbüro, Zentrale Dienste, Development - sowie die Koordination der Unternehmensbereiche.
Trotzdem dürfe man sich fragen, „warum doch noch eine beträchtliche Anzahl an Unternehmen, insbesondere im MDax, verstecken, wer der relevante Ansprechpartner ist. Das erschwert gerade in einer Zeit der vernetzten Ökonomie die Ansprache auf Spitzenebene“, sagt Wink.
Digitalisierungsfähigkeit sei keine Frage der Größe, sondern der Unternehmenskultur. Gerade Dax-Konzerne hätten sich in den vergangenen Jahren durch moderne Management- und Organisationsstrukturen entwickeln können. Traditionell schauten MDax und Mittelstand, was in der obersten Liga passiert - um dann nachzuziehen.
"Die Entwicklung ist außerdem branchengetrieben", sagt Wink. "Während Medienunternehmen schon viel früher von der Digitalisierung betroffen waren und reagieren mussten, waren Maschinen- und Anlagenbauer abwartender." Das zeige sich auch an der Besetzung der Führungsriege.
Vorstände brauchen digitale Kompetenzen
Stephan Wegerer, der die Abteilung Innovationsmanagement bei der Adidas Group verantwortete, hält das für ein systemisches Problem. „Die Vorstände gehen nicht als Vorbild voran, sondern delegieren das Thema“, sagt Wegerer, der mittlerweile als Partner bei Weissman & Cie. familiengeführte klein- und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Digitale Transformation, Trend-, Innovations- und Ideenmanagement sowie Business Innovation berät. Seine Erfahrung zum Umgang vieler Vorstände mit der Digitalisierung: „Im besten Fall holen sie einen jungen CDO an Board, der dann irgendwo in den tradierten Strukturen untergeht.“
Auf den CDO sollten Unternehmen laut Wink aber auch nicht allein ihre Hoffnungen setzen. "Den Messias gab es bisher noch nicht", sagt er. Zum einen sei von großer Bedeutung, welchen Bewegungsradius ein Unternehmen einem CDO zubilligt. Und zum anderen komme es darauf an, dass die Vorstände selbst einen gewissen Wagemut an den Tag legten, sich mit anderen Unternehmen vernetzen und bereit seien, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Digital-Manager ab in die erste Führungsriege
Grundsätzlich moniert Wegerer fehlende digitale Kompetenzen in den Vorständen. Die Mehrheit bestehe aus Diplom-Ingenieuren, Kaufleuten, Controllern und Betriebswirten jenseits der 50. Zwar habe das Alter nicht zwingend mit digitalen Fähigkeiten zu tun, so Wegerer. Aber wer nur noch wenige Jahre zu arbeiten habe, stelle nicht unbedingt noch einmal alles auf den Kopf.
Digitale Skills: Wie wichtig ist der sichere Umgang mit...?
91 Prozent der befragten 300 Personalverantwortlichen sagen: Wer im Netz nicht fit ist, kommt nicht weiter. Dagegen sagen nur 55 Prozent, dass diese Kompetenzen in ihrem Unternehmen in hohem, beziehungsweise sehr hohen Maß geschult werden.
Quelle: "Weiterbildungstrend in Deutschland 2017" von TNS Infratest/Studiengemeinschaft Darmstadt
90 Prozent gaben an, dass der sichere Umgang der Mitarbeiter mit entsprechenden Software-Lösungen kriegsentscheidend sei. In 70 Prozent der Unternehmen wird entsprechender Aufwand betrieben, um die Mitarbeiter fit zu machen.
Digitalisierung funktioniert nicht ohne IT-Sicherheit. Entsprechend halten 88 Prozent der Personaler den sicheren Umgang beziehungsweise entsprechende Kenntnisse für eine sehr wichtige Kompetenz. In 59 Prozent der befragten Unternehmen ist der Weiterbildungsumfang bei IT-Sicherheit entsprechend hoch oder sehr hoch.
Zusammenarbeit funktioniert nicht ohne Kommunikation. Entsprechend sagen 88 Prozent der Personaler, dass ihre Mitarbeiter sicher mit entsprechenden Tools umgehen können müssen. In 58 Prozent der Unternehmen ist der Schulungsumfang entsprechend hoch.
Und weil die Digitalisierung von allen mehr Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Selbstorganisation verlangt, sollten Mitarbeiter auch mit Tools zur Selbstorganisation umgehen können. Sagen zumindest 85 Prozent der Befragten. Entsprechend hoch ist der Schulungsumfang für derartige Tools bei 58 Prozent der Betriebe.
Lernen ist wichtig, den Umgang mit Lernsoftware halten entsprechend 79 Prozent der Personaler für eine sehr wichtige Kompetenz. In 54 Prozent der Unternehmen sind Tools zur Wissensaneignung entsprechend ein sehr wichtiger Gegenstand von Weiterbildungsmaßnahmen.
Da Zusammenarbeit auch Standorte übergreifend organisiert werden muss, ist der sichere Umgang mit cloudbasierten Kollaborations-Tools für 75 Prozent der Personaler eine sehr wichtige Kompetenz. Der aktuelle Schulungsumfang zum Thema ist aber nur in 51 Prozent der Unternehmen hoch oder sehr hoch.
Die Betriebe sollten jetzt allerdings nicht darauf warten, dass der alte Vorstand in den nächsten fünf bis zehn Jahren abdankt, um erst dann auf Digitalaffinität zu achten. „Unternehmen müssen Manager mit digitalen Kompetenzen ins Managementteam holen – und zwar so schnell wie möglich“, sagt er. „Wenn ich China als meinen Kernmarkt identifiziere, hole ich doch auch einen Experten für China ins Board, der dafür verantwortlich ist.“
Es würde ja auch merkwürdig wirken, wenn sich ausgerechnet im Vorstand niemand für das Kerngeschäft zuständig sieht. Dass in vielen Betrieben die Themen Unternehmensentwicklung, Strategie, IT oder Innovation keine Rolle zu spielen scheinen, verwirrt die Unternehmenslenker dagegen offenbar wenig. „Der Verantwortliche fürs Digitale muss auf die erste Führungsebene und nicht auf der zweiten, dritten oder noch weiter unten angesiedelt sein“, fordert Wegerer deshalb.
Was Top-Manager können sollten
Auch bei Korn Ferry ist man überzeugt, dass Vorstände digitale Kompetenzen brauchen. Unter diesem Begriff lässt sich natürlich alles und nichts definieren – von Programmierkenntnissen bis zu Offenheit gegenüber Social-Media-Kampagnen. Die Personalberatung Rochus Mummert Executive Consultants hat deshalb bei Eigentümern und Top-Managern deutscher Unternehmen nachgefragt, welche Fähigkeiten sie für besonders wichtig halten, um in Zukunft im Top-Management erfolgreich zu sein.
„Weder Vorstandschefs noch -mitglieder müssen heute IT-Spezialisten sein oder Code schreiben können“, sagt Wink. „Eins ist aber auch klar: Wer heute nicht grundsätzliches technisches Verständnis mitbringt, der wird es nicht nur immer schwerer haben, seinen Karriereweg zu gestalten.“