Michael Hatscher "Nichtraucher sind im Vorteil"

Gewaltandrohung, ein Euro Stundenlohn, mieses Essen: was der Mitgründer des Raubkopierportals Kino.to während seiner Haft im Gefängnis erlebt hat.

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Michael Hatscher Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Hatscher, in wenigen Tagen tritt Uli Hoeneß seine Haftstrafe an. Wovor sollte er sich am meisten in Acht nehmen?

Michael Hatscher: Er sollte nicht gleich Kontakt zu den Mitgefangenen suchen, erst einmal vorsichtig sein und Distanz wahren. So kann er schauen, wer im Gefängnis als Kumpel taugt und wer nicht. Wichtig ist, sich nichts von anderen Gefangenen zu borgen. Wer Schulden macht, muss die meist zu einem wesentlich höheren Preis zurückzahlen.

Sie haben 21 Monate in der Justizvollzugsanstalt Zwickau gesessen. Wie waren für Sie die ersten Tage?

Als Neuer steht man erst mal zehn Tage unter Beobachtung des Personals. Sie wollen herausfinden, ob man gewalttätig oder selbstmordgefährdet ist. Als ich in U-Haft kam, war das schwer für mich zu verkraften. Ich war wie benommen, regelrecht vor den Kopf gestoßen. Wenn man unvorbereitet ankommt, ist Gefängnis eine Katastrophe.

Wie erlebten Sie die Haftbedingungen?

In Zwickau gab es fast nur Doppelzellen. Ich hatte als Nichtraucher aber einen riesigen Vorteil: Weil fast alle Häftlinge rauchen, hatte ich oft eine Zelle für mich allein.

Warum?

Das Gefängnis würde nie einen Nichtraucher gegen dessen Willen zu einem Raucher legen – das gilt als Körperverletzung.

So viel Rücksichtnahme gibt es ja nicht mal in der Eckkneipe...

Die deutschen Gefängnisse sind ein gemäßigt zivilisierter Ort. Hart ist, was der eine oder andere dabei empfindet und wie er damit umgehen kann.

Welchen Job hatten Sie im Gefängnis?

Ich hatte Glück, nach drei Monaten Arbeit zu bekommen. Ich habe Sitze in Modellbaulaster geklebt oder gesteckt. Dafür gab es einen Stundenlohn von 1,06 Euro. Nach 14 Tagen wurde ich Vorarbeiter und habe 20 Cent mehr verdient. Ich war aber froh, dank eines geregelten Tagesablaufs nicht so viel Zeit zum Nachdenken zu haben.

Man hört von Ersatzwährungen im Gefängnis. Gibt es die wirklich?

Die wichtigsten Währungen sind Zigaretten, Kaffee und – was mich anfangs schockiert hat – Tabletten. Die Mithäftlinge ließen sich Schlaf- oder Beruhigungspillen vom Gefängnisarzt verschreiben und handelten damit. Kaffee ist sowohl in löslicher als auch nichtlöslicher Form gefragt.

Wofür saßen Ihre Mitgefangenen?

Rund zwei Drittel saßen wegen Drogendelikten. Meist hatten sie in Tschechien für zehn bis zwölf Euro Crystal Meth gekauft, um es für 80 bis 90 Euro in Sachsen zu verkaufen. 10 bis 15 Prozent waren wegen Körperverletzung verurteilt. Wegen Mordes, Sexualverbrechen, Betrug, oder Wirtschaftskriminalität saßen nur wenige ein.

Wie groß ist die Gefahr, als prominenter Wirtschaftsstraftäter im Gefängnis Opfer solcher Gewalttaten zu werden?

Die Gefahr ist definitiv da. Ich wurde mal in eine andere Zelle gelockt, ein weiterer kam dazu und schwups, war die Tür zu. Das waren zwei Drogentäter, die wollten mich einschüchtern. Das ging gerade noch mal gut.

"Ich bin wesentlich härter geworden"

Manager, die im Gefängnis waren
Wolfgang Kulterer Quelle: dpa
Michael Rook Quelle: dpa
Gerhard Gribkowsky Quelle: dpa
Jérome Kerviel Quelle: Reuters
Raj Rajaratnam Quelle: dapd
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Jeffrey Skilling Quelle: AP

Es ist also ein Nachteil, Wirtschaftsstraftäter zu sein?

Nein, ein Vorteil. Ich hatte von Anfang an eine höhere Stellung, sowohl bei den Mitgefangenen als auch bei den Wärtern.

Wie das?

Manche der rund 50 Beamte kamen direkt auf mich zu und fragten, ob ich der von Kino.to bin. Zwei von drei kannten die Plattform, und die Hälfte hatte sie schon mal benutzt – oder deren Kinder. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie froh waren, sich mit jemand normal unterhalten zu können.

Und bei den Mithäftlingen?

Bei denen war ich von vornherein hoch angesehen, habe vielen geholfen, Briefe zu schreiben, zum Beispiel an Anwälte, und Anträge zu stellen – für Fernseher oder Radio auf der Zelle.

Sie hatten zuvor ein recht luxuriöses Leben geführt. Wie hart war die Umstellung?

Das Essen war für mich ein Problem, da ich da etwas penibel bin. Binnen drei Monaten hatte ich von 91 Kilogramm 14 abgenommen. Mit anderen Häftlingen habe ich dann immer mal wieder Essen getauscht und war froh, als ich im offenen Vollzug Selbstversorger wurde.

von Harald Schumacher, Kristin Rau, Claudia Tödtmann

Und wie dreckig war es im Gefängnis?

Sauberkeit gilt dem Personal als sehr wichtig. Wer seine Zelle nicht sauber hält, hat geringere Chancen, vorzeitig entlassen zu werden. Auch läuft er Gefahr, dass man ihm etwa den Fernseher einige Tage entzieht. Die Gefangenen müssen ihre vier Wände selbst putzen. Es gab aber auch welche, die sich ihre Zelle für ein paar Zigaretten putzen ließen.

Wie hat Sie das Gefängnis verändert?

Ich bin wesentlich härter geworden. Früher habe ich bei Konflikten den Mittelweg gesucht. Heute nehme ich mir die Zeit für Diplomatie nicht mehr. Wäre ich noch länger im geschlossenen Vollzug geblieben, wäre ich wohl erst recht kriminell geworden.

Warum?

Man kommt im Gefängnis irgendwann an den Punkt, an dem man sich entweder aufgibt oder die Dinge in die Hand nimmt. Möglichkeiten gibt es genügend: Man kann Drogen oder Handys schmuggeln. Das war am Ende eine der erschreckendsten Erkenntnisse, die ich dort gemacht habe.

Wie haben Sie sich körperlich und geistig fit gehalten?

Ich bin täglich bis zu anderthalb Stunden im 18 mal 10 Meter großen Gefängnishof gejoggt, habe Liegestütze und Yoga gemacht und zwei Mal die Woche eine Stunde Krafttraining. Das hält den Kopf frei. Zudem habe ich Bücher gelesen und meine Englischvokabeln aufpoliert – in vier Monaten das Wörterbuch von A bis K.

Wie haben sich Ihre Freunde verhalten?

In der Zeit lernt man, wer zu einem steht. Manche hatte ich gar nicht auf dem Radar.

Haben Sie die Zeit im Knast verarbeitet?

Nein, das beschäftigt mich auch knapp ein Jahr nach meiner Entlassung noch. Ich telefoniere oder treffe mich deshalb hin und wieder mit früheren, einst auch inhaftierten Kollegen. Dann unterhalten wir uns über unsere Erlebnisse im Gefängnis.

Was machen Sie jetzt?

Seit ich frei gekommen bin, programmiere ich eine neue Internet-Plattform – diesmal ist alles absolut legal, dafür habe ich eine ganze Reihe Anwälte beschäftigt. Der Start soll aber nicht von der Vergangenheit belastet sein. Deswegen tauche ich unter den Gründern offiziell nicht auf.

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