Mieses Projektmanagement Wenn zu viel Ehrgeiz Projekte killt

Von der gescheiterten Softwareeinführung bis zum Desaster des Berliner Flughafens: Das Projekt-Horrorkabinett in Deutschland ist groß. Dabei könnte schon etwas mehr Realitätssinn das Schlimmste verhindern.

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Deutscher Ehrgeiz kann Projekten wie dem Flughafen BER schaden. Quelle: dpa

Beginnen wir mit den Niederungen des deutschen Projektalltags: Ein Retail-Konzern, 140.000 Mitarbeiter. Das IT-System mit mehr als 17.000 PCs in rund 10.000 Filialen ist in die Jahre gekommen. Dem Management schwebt ein komplett neues System vor. Es soll auf einem optimierten Prozessdesign aufsetzen und zusätzliche Funktionen wie etwa eine revisionssichere Abrechnung mit Dienstleistern integrieren.

Nicht nachgedacht? Kostet 40 Millionen Euro

Ausgiebig befasst man sich mit der geplanten neuen IT-Welt – und verliert zu wenige Gedanken an den zweiten, mühseligen Schritt: Wie soll der Weg der Veränderung aussehen, wie kommt man vom Ist- zum Soll-Zustand – und wie kann man die rund 40.000 Anwender auf diesem Weg mitnehmen?

Zur Person

So startet das Projekt völlig unrealistisch. Alle Liefertermine und Meilensteine der Entwicklungspartner sind schließlich überschritten, wirklich sichtbare Ergebnisse gibt es noch keine. Der Konzern verbrennt 40 Millionen Euro, bevor es gelingt, das Projekt in eine realistische Bahn zu steuern.
Ein Beispiel aus dem Horrorkabinett der Projekte. Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Etwa mit prominenten Fällen wie dem Mautsystem Toll Collect, dem Berliner Flughafen, der Elbphilharmonie oder dem Bahnhof Stuttgart 21. Oder einer unglaublich hohen Dunkelziffer an Unternehmensprojekten, die leise vor sich hin gären, einen immensen wirtschaftlichen Schaden verursachen und nur aufgrund ihrer weniger ausgeprägten Prominenz nicht transparent werden.

So unterschiedlich die Fälle sind, die tieferen Ursachen für das Desaster ähneln sich fast immer: Es liegt an den allzu ehrgeizigen Vorstellungen des Auftraggebers, häufig noch verbunden damit, dass der in einer Organisation vorhandene gesunde Menschenverstand zu wenig genutzt wird.

Der Ehrgeiz des Auftraggebers wird zum Projektrisiko

Im Falle des Retail-Konzerns war es der Ehrgeiz des Managements, der das Projekt in Schieflage brachte: Man wollte etwas ganz Neues und Tolles schaffen und scheiterte an der Komplexität der Umsetzung. Bei öffentlichen Projekten wie Toll Collect, Flughafen Berlin oder Stuttgart 21 treiben zudem Wahlversprechen und politisch motivierte Wunschvorstellungen die Anforderungen in die Höhe. Gleichzeitig wird der Aufwand kleingerechnet, weil das Vorhaben nur so eine Chance auf Akzeptanz erhält. Am Ende bestimmen unrealistische Erwartungen den Einstieg, von dem die Fachleute intern bereits wissen, dass es so nicht funktionieren kann.

Deutschlands sündhaft teure Prestigebauten
Die Elbphilharmonie ist das teuerste Kulturprojekt in Deutschland. Die Kostenexplosion und Bauverzögerung wird ein Fall für die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt, ob Straftaten vorliegen. Laut Abschlussbericht sind eine unfertige Planung, mangelnde Kontrolle vonseiten der Politik und ein Chaos auf der Baustelle schuld am Desaster beim Bau. Die Kosten für den Steuerzahler bei dem Projekt sind von ursprünglich 77 Millionen auf 789 Millionen Euro gestiegen, die Eröffnung wurde von 2010 auf 2017 verschoben. Erstmals nennt der Abschlussbericht, der die Ereignisse bis Ende 2008 untersucht, auch die Namen der Verantwortlichen. Demnach ist die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) mit ihrem Chef Hartmut Wegener für wichtige Fehlentscheidungen verantwortlich. Die politisch Verantwortlichen, allen voran Hamburgs damaliger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und sein Chef der Senatskanzlei Volkmar Schön (CDU), seien dagegen ihrer Aufsichtspflicht nicht gerecht geworden. Aber auch die Architekten Herzog & de Meuron und der Baukonzern Hochtief kommen in dem Bericht nicht gut weg. „Wenn wir konkrete Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat finden würden, würden wir entweder einen Ermittlungsvorgang gegen einen bestimmten namentlich bekannten Beschuldigten oder mehrere einleiten oder wir würden ein Unbekannt-Verfahren einleiten, wenn wir noch nicht wüssten, wer der Beschuldigte ist“, erklärt die Sprecherin Nana Frombach. Quelle: dpa
Deutschlands teuerstes Kulturprojekt, die Hamburger Elbphilharmonie, wird die Steuerzahler laut Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) stolze 789 Millionen Euro kosten - und soll 2017 eröffnet werden. Das Prestigeprojekt würde damit gut zehnmal teurer als 2005 vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) veranschlagt. Damals war von rund 77 Millionen Euro die Rede. Auf der Baustelle im Hafen herrscht mittlerweile seit rund anderthalb Jahren Stillstand, weil sich die Vertragspartner lange nicht einigen konnten. Erst im März hatte Scholz mit Hochtief einen Vertrag geschlossen, wonach der Essener Baukonzern künftig sämtliche Risiken übernimmt und das Konzerthaus bis Ende Oktober 2016 zum „Globalpauschalfestpreis“ von 575 Millionen Euro zu Ende baut. Nicht berücksichtigt waren dabei jedoch unter anderem die Finanzierungs- und Baukosten für den kommerziellen Teil und die Vorplanungskosten. Nun geht aus dem vertraulichen zweiten Entwurfs des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses hervor, der Spiegel Online vorliegt. Die Schuldigen sollen die Projektkoordination, Bauunternehmer und Architekt, sowie auch der damalige Erster Oberbürgermeister, Ole von Beust, sein. Quelle: REUTERS
Die sogenannte 'Kanzlerbahn', die derzeit zwischen dem Hauptbahnhof, Kanzleramt und dem Brandenburger Tor verkehrt, soll um 92 Millionen Euro teurer werden. Laut Berliner Morgenpost beläuft sich das Gesamtvolumen künftig auf 525 Euro, die das Land und der Bund zahlen müssen. Quelle: dpa
In Schlangen winden sich Hunderte Besucher durch den Saal, bestaunen historische Exponate, erhaschen per Kurzfilm einen Einblick in die Arbeit der Bundestagsabgeordneten. In einem Miniplenarsaal mit originalgetreuen blauen Sesseln lauschen sie einer gespielten Debatte und ergreifen selbst das Wort. Dann geht es durch den unterirdischen Gang ins Reichstagsgebäude, hinauf in die gläserne Kuppel. Zum Abschluss noch ein Imbiss an einem der 16 Bistro-Tische, die die 16 Bundesländer repräsentieren. So soll es aussehen, das Besucher- und Informationszentrum des Bundestages (BIZ). Ursprünglich sollte es 200 Millionen Euro kosten. Im Januar dann lag der anvisierte Preis schon bei 330 Millionen Euro. "Ein Bau für 330 Millionen Euro, das wird nicht kommen", sagte damals Eduard Oswald, CSU-Bundestagsvizepräsident und Vorsitzender der inneren Kommission, gegenüber WirtschaftsWoche. Nun heißt es in einem Bericht der Welt, dass der Bau mit bis zu 500 Millionen Euro zu Buche schlagen werde. das gehe aus einem Bericht der 36-köpfigen "Reformkommission Bau von Großprojekten" der Bundesregierung hervor. Quelle: dpa
Die Stuttgarter waren nicht ohnmächtig: Stuttgart 21 steht für einen politischen Umbruch in Baden-Württemberg und den Einzug neuer Formulierungen in die deutsche Sprache, wie zum Beispiel das Wort „Wutbürger”. Der alte Kopfbahnhof soll zu einem Tunnelbahnhof umgebaut werden. Eine riesige Protestwelle überrollte die baden-württembergische Landeshauptstadt, seit der Abriss des alten Bahnhofs startete. In einer Abstimmung Ende 2011 sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung jedoch für das Projekt aus. Gestritten wird vor allem über die Kosten des Umbaus... Quelle: dpa
Immer wieder wurden die prognostizierten Baukosten nach oben korrigiert. Zwischenzeitlich sprach die Deutsche Bahn von 4,5 Milliarden Euro, mittlerweile hat sie die Zahlen um ganze zwei Milliarden erhöht.. Andere Experten veranschlagen Kosten von bis zu elf Milliarden Euro. Auch der Bundesrechnungshof hat diese Summe bereits vor drei Jahren als viel zu gering bezeichnet. Die DB hatte damals die Einschätzung zurückgewiesen. Inzwischen sind viele Dokumente ans Tageslicht gekommen, die beweisen, dass die Bahn hohe Mehrkosten vorsätzlich verschwiegen hat. Nicht zuletzt die mangelnde Transparenz bezüglich der Gesamtkosten des Projekts hat viele Bürger auf die Straße getrieben. Die ersten Züge werden wohl nicht vor 2022 im unterirdischen Bahnhof einfahren. Quelle: dpa
Eigentlich sollte die Erweiterung des Saarland-Museums und der Modernen Galerie in Saarbrücken ein Prestigeprojekt werden. Allerdings haben sich die veranschlagten Kosten mehr als verdreifacht. Ursprünglich sollte der Bau neun Millionen Euro kosten. Wie tief der Steuerzahler dafür in die Tasche greifen muss, ist noch offen. Bisher steht in bester Lage in Saarbrücken unweit des Staatstheaters ein hässlicher Betonklotz im Rohbau, dem ein Gutachten jetzt zahlreiche Mängel bescheinigt hat. Die Landesregierung will aber auf jeden Fall an dem schon weit vorangeschrittenen Projekt festhalten, obwohl viele vor einer „zweiten Elbphilharmonie“, wenn auch in sehr viel kleinerer Größenordnung, warnen. Quelle: dpa

Vielleicht liegt der tiefere Grund auch in der DNA der Deutschen, in jener deutschen Ingenieurkunst, mit der wir der Welt zeigen wollen, dass wir in bestimmten Bereichen die Besten sind. Einen Flughafen bauen wir nicht einfach so, dass er funktioniert. Vielmehr wollen wir den coolsten Flughafen aller Zeiten bauen – und planen ihn deshalb größer und komplizierter als notwendig. Oder Stuttgart 21: Man nehme einen Bahnhof, drehe ihn um 90 Grad, setze ihn gleichzeitig unter die Erde. Und das bei laufendem Betrieb. Wir formulieren großartige Ideen, blenden aber wesentliche Aspekte aus, die der Umsetzung im Wege stehen.

Lassen Sie Gefühle aus Projekten raus

Krasser Ehrgeiz und ein gewisser Hang zur Perfektion zeigen sich auch in vielen Unternehmensprojekten. Dort drücken sie sich aus in typischen Forderungen von Auftraggebern wie etwa im Beispiel eines Logistikunternehmens: „Wir werden in den nächsten zwei Jahren zur ersten volldigitalen Spedition der Welt“.

Tatsächlich fehlten in dem Unternehmen einheitliche Prozesse und Systeme – und die Kultur erinnerte eher an eine Amtsstube vor 50 Jahren als an digitalen Aufbruch. Wie sollte das funktionieren?

Das Projekt versachlichen

Versachlichen, unrealistische Ziele revidieren, Illusionen nehmen – hierin liegt der zentrale Hebel, um ein Projekt doch noch zu drehen. Bewährt hat sich in vielen Fällen eine schnell eingeleitete Bestandsaufnahme:

- Wie sah der Projektplan, wie die Zielsetzung zu Projektbeginn aus?

- Was wollte man ausgeben, was entwickeln?

- Was hat man tatsächlich ausgegeben und entwickelt?

Nüchterne Fakten helfen, eine oft emotional aufgeheizte Situation zu versachlichen. Meistens lassen sich die Auftraggeber überzeugen, das Projekt unter nunmehr realistischen Annahmen neu aufzusetzen.


Im Kern geht es darum, die Grundannahmen zu hinterfragen. Löst zum Beispiel das vorgesehene Projektziel tatsächlich das Problem, um das es geht? Sind bei der Projektplanung alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt? Es empfiehlt sich, die grundlegenden Annahmen im Gegenstromverfahren abzusichern. Führen Top-Down-Planung durch das Management und Bottom-Up-Schätzung des Projektteams zu ähnlichen Zeit- und Kostengrößen, dürften die Werte ziemlich valide sein.

Vergessen Sie nicht, alle einzubinden

Zu den ehrgeizigen Zielen des Auftraggebers kommt in vielen Unternehmen eine noch sehr hierarchische Projektführung hinzu, die das Risiko zusätzlich erhöht. Die eher geschlossene Projektorganisation lässt einen übergreifenden Wissensaustausch nur bedingt zu; der gesunde Menschenverstand aller in der Organisation wird zu wenig genutzt. Während daher das Projektteam akribisch seinem Plan folgt und die Aufgabenpakete abarbeitet, übersieht es Banalitäten, die dem ganzen Vorhaben zum Verhängnis werden können.
Da hatte zum Beispiel das Projektteam bei einem IT-Projekt den Zeitplan vorbildlich eingehalten. Das Softwaredesign wurde erstellt, die Software entwickelt – alles perfekt. Doch man vergaß, das Testteam für den Test der Software rechtzeitig einzubinden. Daran wäre das Projekt beinahe gescheitert. In einem andern Fall entwickelte man die Software, arbeitete das Schulungskonzept aus, stand fast vor dem Projektabschluss, hatte es aber versäumt, den Betriebsrat einzubeziehen. Die Wogen schlugen hoch, das Projekt verzögerte sich um sechs Monate.


Und auch im Kleinen passiert genau das. Unvergessen bleibt der Fall einer Weihnachtsfeier, die ihren würdigen Platz im Horrorkabinett der Projekte gefunden hat. Einem renommierten Fußballverein ist es über eine Beziehung gelungen, eine Star-Pianistin aus New York zu gewinnen. Ein kleines Projektteam bereitet die Feier vor. Minutiös, bis ins letzte Detail. Nichts soll schiefgehen. Die Sensation spricht sich herum: eine Pianistin aus New York!

Sie kommt tatsächlich. Erwartungsvolle Stille im Saal. Sie greift in die Tasten – und bricht nach wenigen Takten das Konzert ab. Man hat vergessen, das Instrument zu stimmen.


Da im Organisationsteam niemand auch nur ansatzweise etwas von Konzerten verstand, hatte sich keiner um das Instrument gekümmert. Hätte man andere gefragt und so das dezentral im Unternehmen vorhandene Wissen genutzt, ziemlich sicher hätte jemand gefragt: Was ist eigentlich mit dem Klavier?

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