In diesen Situationen hilft es nach Ansicht von Bölke in erster Linie, mit Vertrauten über diese Attacken zu reden, um festzustellen, dass mit der Selbstwahrnehmung alles in Ordnung ist – und dann hilft meist nur der Weg an die Öffentlichkeit. Um aber auch glaubwürdig vor Betriebsrat, Arbeitgeber oder Arbeitsgericht zu erscheinen, empfehlen Kasten und Bölke, ein Mobbing-Tagebuch zu führen. "Alle Kleinigkeiten, vom bloßen Ignorieren übers Ausgrenzen bis hin zum Titelentzug oder Versetzung, sollten bei einem Verdacht vom Betroffenen schriftlich festgehalten werden, damit hinter dem Vorgehen des Vorgesetzten eine Systematik erkennbar wird und im Zweifel auch beweisbar wird", sagt Kasten. Aber auch Besuche beim Hausarzt, Therapeut oder Mobbingberater gehören in die Dokumentation.
Wenn der Mitarbeiter die Attacken über einen längeren Zeitraum schriftlich festgehalten hat, hat der Gemobbte mehrere Möglichkeiten: Er kann beim Betriebsrat eine Beschwerde über den Chef einreichen. Der Betriebsrat muss die Beschwerde prüfen und den Arbeitgeber um Abhilfe bitten. Dieser muss laut Arbeitsrechtler seiner Treue- und Fürsorgepflicht nachgehen, indem er mit dem Chef über die Vorwürfe spricht und versucht, eine Lösung zu finden. "Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, sich schützend vor den Mitarbeiter zu stellen", sagt Kasten.
Möglichkeit zwei ist, dass der Mitarbeiter sich direkt beim Arbeitgeber – also beim Personalleiter oder gesetzlichen Vertreter des Unternehmens – beschwert, sofern der Chef gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt. Das ist dann der Fall, wenn der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter aufgrund dessen ethnischer Herkunft, dessen Glaube, Geschlecht, Alter oder sexueller Identität mobbt.
In Extremfällen, in denen der Angestellte sogar nachweisen kann, dass er seelische Verletzungen von den Attacken davon getragen oder einen Schaden erlitten hat, kann er vor dem Arbeitsgericht eine Strafanzeige stellen – und den Vorgesetzten auf Schmerzensgeld verklagen.
Arbeitsrechtler Kasten weiß allerdings, dass erfolgreiche Mobbingklagen vor Gericht die Ausnahme sind. Schließlich ist der Gemobbte in der Beweispflicht und muss darlegen, dass es sich um ein systematisch und zielgerichtetes Verhalten handelt. Als Beweise kommen das besagte Tagebuch, vor allem aber E-Mails und Zeugenaussagen von Kollegen in Frage. Das Gericht entscheidet dann aber letzten Endes, welche Beweise zugelassen werden – und ob es überhaupt Zeugen im Rahmen der Beweisaufnahme hören möchte.
Mit wem wir uns im Beruf am häufigsten streiten
Je mehr ein Mensch mit einem anderen zu tun hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie aneinander geraten. Entsprechend gaben 37 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage "Streit - erfolgreich oder folgenreich" der IHK Frankfurt an, sich häufig mit Kollegen beziehungsweise Mitarbeitern zu streiten.
Mehr als ein Drittel gab an, sich häufig mit Führungskräften zu streiten.
Ein Viertel sagte, dass sie häufig mit der Geschäftsleitung aneinander geraten.
23 Prozent streiten sich häufig mit Kunden.
Bei 14 Prozent sind Zulieferer ein häufiger Streitgrund und -partner.
Elf Prozent streiten sich häufig mit Behörden, mit denen sie beruflich zu tun haben.
Jeweils sieben Prozent gaben an, sich mit Gesellschaftern beziehungsweise Kooperationspartnern in die Haare zu kriegen.
Nur drei Prozent geraten häufig mit Kapitalgebern und Banken aneinander.
Die Beweislage für eine Rechtsprechung muss so eindeutig sein, dass selbst ein unbeteiligter Dritter hinter dem Vorgehen des Chefs ein systematisches, fortgesetztes und zielgerichtetes Verhalten erkennt. "Nur weil jemand empfindsamer ist als andere, ist bei ihm der Mobbingbegriff nicht schneller erfüllt", sagt Kasten. Allein die objektive Betrachtung sei bei der Beurteilung maßgeblich.
Allerdings rät Kasten, dass der Betroffene sich gut überlegt und zudem beraten lässt, ob er die Öffentlichkeit einweihen und tatsächlich dagegen vorgehen will. Schließlich kann der Arbeitgeber ihm im schlimmsten Fall kündigen, sollte sich herausstellen, dass die Anschuldigungen haltlos sind. Und: "Wenn die Anschuldigungen einmal ausgesprochen sind, ist das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer angekratzt und nicht mehr von einem gegenseitigen Vertrauen geprägt", sagt Kasten.
Bevor es jedoch so weit kommt, rät Leitner Betroffenen dazu, die Reißleine zu ziehen – und das Unternehmen zu verlassen, bevor das Ego angekratzt und nachhaltig beschädigt ist.
Bölke stimmt ihrer Kollegin zu – mit einer Einschränkung: "Mitarbeiter sollten über eine berufliche Veränderung nachdenken, wenn sich keine interne Lösung in einem absehbaren Zeitraum abzeichnet und auch keine Unterstützung seitens des Unternehmens zu erwarten ist." Aber selbst in solchen Situationen sollen Betroffene sich einen juristischen Rat holen und den Ausstieg verhandeln.