Ein Betriebsübergang ist ein kompliziertes Rechtsnachfolgegeschäft, auf das Gewerkschaften, Betriebsräte und Arbeitsgerichte einen strengen Blick werfen. Welcher Tarif gilt für das neue Team, was passiert mit alten Ansprüchen der neu hinzugekommenen Mitarbeiter - gibt es auch unter dem neuen Arbeitgeber billigeres Essen in der Kantine und was passiert mit der betrieblichen Altersvorsorge?
Schon bei diesen Dingen kann einiges schief gehen, wie das Beispiel des Bremer Logistikers Stute, einer Tochter des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, zeigt. Stute wurde aus der hauseigenen Airbus-Logistiksparte von Kühne + Nagel ausgegliedert. Trotzdem arbeitet Stute weiterhin ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus. Jahrelang habe es keinen Betriebsrat oder Tarifbindung gegeben.
Deshalb gibt es Streit um die Gewerkschaftszugehörigkeiten. Für die IG Metall sind die Mitarbeiter eindeutig Metallbauer, weil sie für Airbus tätig sind, für Verdi handelt es sich um Logistiker. Von wegen "Ein Branche – eine Gewerkschaft". Das Hauen und Stechen beschäftigte letztlich ein Schiedsgericht. Solche Steine lassen sich im Vorfeld aus dem Weg räumen.
Eine neue Identität gibt es nicht von heute auf morgen
Doch nicht nur formaljuristisch kommt einiges auf die Unternehmen zu. Das Wichtigste bei solchen Übergängen sind die Mitarbeiter. Mit Inkrafttreten des Betriebsüberganges fängt die Arbeit also erst an. Aktuelles Beispiel: Die Luitpoldhütte AG in der Oberpfalz. Seit mehr als 130 Jahren stellt das Unternehmen Gussteile für die Land- und Baumaschinenindustrie her. Im Herbst 2015 sah es ganz so aus, als stünde das Unternehmen vor dem Aus.
Der Leidensweg der Luitpoldhütte AG
Die Besitzstruktur verändert sich: Die Halbergerhütte GmbH erwirbt 51 Prozent am Unternehmen, 26 Prozent gehen an den Freistaat Bayern, 23 Prozent an Salzgitter AG.
Die Halberg-Guß erwirbt die Aktienmehrheit von 51 Prozent. 1991 erwirbt die Gruppe Valfond die Halberg-Guß inklusive dem Anteil von 51 Prozent am Unternehmen Luitpoldhütte AG.
1994 erwirbt Valfond den der Salzgitter AG Anteil in Höhe von 23 Prozent und hält somit 74 Prozent an der Luitpoldhütte. Im Jahr 1995 beginnt ein neues Management, die Luitpoldhütte zu restrukturieren. Im selben Jahr kauft das Unternehmen Novaterra Valfond's Aktienmehrheit.
Farinia BV und Jean-Pierre Derimay übernehmen die Anteile der Novaterra Group.
2008 feiert die Luitpoldhütte ihr 125-jähriges Jubiläum. Die russische Agromasch-Holding wird Hauptaktionär des Unternehmens.
2010 geht die Aktienmehrheit von 74 Prozent an die russische JSC Cheboksary Aggregate Works. Die restlichen 26 Prozent bleiben weiterhin in der Hand des Freistaates.
Es kommt kein Geld mehr aus Russland, JSC soll stattdessen Geld aus der Firmenkasse verlangt haben. Der Markt für Baumaschinen bricht ein, das Unternehmen ordnet 2014 Kurzarbeit an.
Ende 2015 folgt der Insolvenzantrag, 450 Arbeitsplätze stehen auf der Kippe, der Nürnberger Insolvenzverwalter Hubert Ampferl nimmt die Zügel in die Hand. Er reduziert den Personalbestand um 115 Mitarbeiter, die zum 1. Dezember 2015 in eine Transfergesellschaft wechseln. Dort sollen sie sechs Monate lang mit gezielten Qualifizierungsmaßnahmen bei der Suche nach einem neuen Job unterstützt werden.
Seit 01.01.2016 ist die Luitpoldhütte eine GmbH und gehört zu 100 Prozent zur Ogepar-Gruppe.
Der Insolvenzverwalter konnte das Unternehmen an die Luxemburger Ogepar Gruppe verkaufen, die in verschiedenen Ländern Europas Produktionsgesellschaften besitzt. Ogepar will den Standort in Amberg laut dem Insolvenzverwalter erhalten und ausbauen. Zudem übernimmt die Gruppe alle rund 360 übrigen Arbeitnehmer in Amberg. Seit dem 1. Januar 2016 ist die Sache in trockenen Tüchern, der Betriebsübergang auf die Ogepar Gruppe vollzogen. Die Mitarbeiter der Luitpoldhütte müssen nun darauf eingeschworen werden, Teil der Ogepar Gruppe zu sein. Von der Buchhalterin über den Pförtner bis zum Gießer - alle Mitarbeiter müssen sich mit dem neuen Arbeitgeber identifizieren. So etwas funktioniert nur mit Transparenz, Offenheit und fairer Kommunikation.
So gelingt der Betriebsübergang
Wie das funktionieren kann, zeigt Wisag Aviation Service. Das Unternehmen ist am Flughafen Köln Bonn für Groundservice wie Flugzeugbe- und -entladung oder die Enteisung der Maschinen verantwortlich. Am 1. Januar 2014 hatte Wisag den Standort der vorherigen Aviapartner mit allen 57 Mitarbeitern übernommen. Die größte Herausforderung war laut Wisag-Geschäftsführerin Sandra Bohnenkamp: "Wir haben eine ganz andere Unternehmensphilosophie als der vorherige Arbeitgeber. Die muss man erst mal vermitteln."
Das sieht auch Jörg Wirtgen, Gründer und Geschäftsführer der Berliner Managementberatung WM-Consult, so. "Man muss sich immer klar machen, dass akquiriert noch lange nicht integriert heißt: Fakten und Zahlen sind nämlich völlig unproblematisch, aber die Führungskultur, die Ängste der Mitarbeiter, die Emotionen, die ganzen weichen Faktoren sind eine harte Aufgabe", sagt er. Er rät seinen Klienten darum immer, alle Betroffenen so früh wie möglich einzubinden und einen Integrationsplan zu erstellen: Wie will ich was wann tun? "Es braucht immer eine neue, gemeinschaftliche Identität, keine Käseglocken-Identität“, sagt Wirtgen in einem Interview mit der WirtschaftsWoche.
Genauso lief es bei Wisag am Flughafen Köln Bonn. Zwei Jahre nach dem Betriebsübergang sind alle Beteiligten auf Linie, dem alten Arbeitgeber trauert niemand hinterher. Einfach war das nicht. "Der Betriebsübergang bedeutete ein Jahr intensive Arbeit. Das ist nicht mit ein paar Meetings getan", erinnert sich Bohnenkamp. Wie es Wirtgen rät, hat sie mit jedem einzelnen Mitarbeiter gesprochen und nachgefragt, was er vom neuen Arbeitgeber erwartet und worüber er sich Sorgen macht. "Unternehmen, die vor einem Betriebsübergang stehen, müssen wissen, dass das viel Arbeit ist und viel Engagement und Kommunikation braucht, damit sich alle mit dem neuen Unternehmen identifizieren", erklärt Bohnenkamp. Ohne Willen, Elan und reden, reden, reden funktioniert es nur auf dem Papier.
Mitarbeiter sind zufrieden
Immerhin musste Bohnenkamp nicht entscheiden, wer geht und wer bleibt. "Eine Doppelfunktion in dem Sinne, dass es zum Beispiel zwei Buchhaltungen gab, hatten wir nicht. Die Wisag bestand sozusagen aus Frau Bohnenkamp und zwei weiteren Personen, die sich quasi eine Belegschaft nach 613a gekauft haben", sagt Betriebsratsvorsitzender Mark Britz. Paragraph 613a im Bürgerlichen Gesetzbuch regelt die Rechte und Pflichten aller Parteien bei einem Betriebsübergang.
Den einzigen Nachteil, den Britz und seine Kollegen durch die Übernahme tatsächlich gehabt hätten, sei der Wegfall von Gutscheinen des Kantinenbetreibers gewesen. Doch das habe man durchaus verschmerzen können. "Für die Belegschaft war die Übernahme durch die Wisag eine deutliche Verbesserung. Die Leute haben sich nicht nur vertraglich besser gestellt, auch die Arbeitszeiten und die Atmosphäre sind besser", fasst Britz zusammen. Mittlerweile arbeiten 175 Mitarbeiter am Standort Köln/Bonn für das Unternehmen.
Bohnenkamp und ihre Leute sind zufrieden. "Wenn wir nochmal einen Betriebsübergang bewältigen müssten, würde ich den Start beziehungsweise die Bestandsaufnahme genauso machen, wie hier am Standort Köln/Bonn", so die Chefin. Und Betriebsratschef Britz ergänzt: "Auf einem Betriebsratsseminar im Februar 2014 habe ich gesagt, dass mein neuer Arbeitgeber sprichwörtlich vom Himmel gefallen ist - und das meine ich absolut positiv."