Nach einem Jahr zieht man in Bochum Bilanz. Ein Jahr nach dem Aus für die Opel-Produktion haben 260 Mitarbeiter über eine vom Autobauer mitfinanzierte Transfergesellschaft einen festen neuen Job gefunden. Weitere 220 Beschäftigte wurden in Qualifizierungen oder Praktika vermittelt, wie die Transfergesellschaft des TÜV Nord mitteilte. Das wegen Überkapazitäten Ende 2014 geschlossene Opel-Werk hatte zuletzt rund 3300 Menschen beschäftigt. 2600 Beschäftigte landeten in der Transfergesellschaft.
Insgesamt stehen also noch 2120 Ex-Opelaner auf der Straße und beziehen Transfer-Kurzarbeitergeld. Trotzdem ist man damit offenbar zufrieden. 50 Berater arbeiteten unter Hochdruck, das erste Jahr sei „planmäßig verlaufen“ sagte der Geschäftsführer von TÜV Nord Transfer, Hermann Oecking.
Opel in Bochum von 1962 bis 2014
Das Werk entsteht nach ungefähr zwei Jahren Bauzeit auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Dammbaum. Das erste Auto, das vom Band rollt, ist ein Kadett A. Das Werk ist für 10.000 Beschäftigte konzipiert, viele der damaligen Arbeiter kommen aus dem Bergbau.
Der Mittelklassewagen Olympia kommt ins Programm. Drei Jahre später sind es der Ascona und der legendäre Manta, die ab 1970 in dem Werk vom Band rollen.
Höchststand bei der Beschäftigung: Zum Jahresende arbeiten mehr als 20.000 Menschen im Bochumer Opel-Werk.
Der Personalstand schwankt nach Angaben der Bochumer Werksleitung zwischen 15.000 und 17.000.
Der Astra löst den Kadett ab. Bis 2004 wird das Fahrzeug gefertigt, ab 1999 der Siebensitzer Zafira.
Die Konzernmutter General Motors legt einen drastischen Sparplan für die europäische Tochter auf, bei der bis 2006 rund 10.000 Stellen gestrichen werden sollen. Opel beschäftigt in Bochum noch etwa 9000 Mitarbeiter.
Betriebsrat und Management unterschreiben einen „Zukunftsplan“, der die Existenz des Bochumer Werks sichern soll. In dem Jahr kommt ein neues Zafira-Modell nach Bochum.
GM kündigt einen weiteren drastischen Stellenabbau von Opel in ganz Europa an, rund 9000 der noch 55.000 Stellen sollen wegfallen.
Seit dem Jahr wird der Zafira Tourer in Bochum gebaut. Es ist vermutlich die letzte Produktionslinie an dem Standort.
Opel beschäftigt noch rund 3200 Menschen in Bochum. Seit Bestehen wurden in dem Werk 13,5 Millionen Autos gebaut. Das Werk besteht nun seit 50 Jahren.
Die Bochumer Belegschaft sagt Nein zu einem neuen Sanierungsplan, der die Autoproduktion bis Ende 2016 vorsieht. Der Opel-Aufsichtsrat beschließt darauf das Aus für das Werk. Nur ein Warenverteilzentrum soll erhalten bleiben.
Am 5. Dezember läuft der letzte Zafira vom Band, am 12. Dezember schließt das Werk seine Pforten endgültig.
Die übrigen Menschen werden im besten Fall im Laufe des Jahres qualifiziert und gecoacht. Jedoch: "Meistens finden keine Maßnahmen statt, in diesem Fall sitzen die Menschen zu Hause", weiß Anja Schauenburg, Geschäftsführerin der Outplacementberatung "Die Personalumbauer". Neben einem Profiling für die Arbeitsagenturen gebe es bestenfalls noch Qualifizierungsmaßnahmen und Bewerbungstrainings, erzählt sie in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Mit dieser Auffassung steht sie nicht alleine da: Auch die Bochum-Herner IG-Metallsprecherin Eva Kerkemeier zeigte sich unzufrieden mit dem bisherigen Ergebnis. Es fehle an Qualifizierungskursen für die Beschäftigten. Außerdem seien die angebotenen Stellen häufig befristet oder wesentlich schlechter bezahlt. "Verständlich, dass die Leute das nach vielen Jahren in guter Beschäftigung nicht annehmen."
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
Schon 2006 zeigte ein Gutachten des Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), dass Transfergesellschaften zwar eine nette Geste des Arbeitnehmers sind, aber kaum zur Jobvermittlung taugen. Der ehemalige Direktor Arbeitsmarktpolitik beim IZA, Hilmar Schneider, nannte Transfergesellschaften in diesem Gutachten Geldverschwendung. In einem Interview aus dem Jahr 2010 mit der WirtschaftsWoche sagte er, es gebe keinen einzigen Beleg dafür, dass ihre Betreiber den Betroffenen schneller aus der Arbeitslosigkeit helfen als es bei der normalen Betreuung über die Arbeitsagenturen der Fall sei. "Deshalb sind sie ein teures und völlig überflüssiges Instrument." Zwar gebe es natürlich auch Transfergesellschaften, die gute Arbeit leisteten. Doch im Durchschnitt bringe es den Mitarbeitern keinen Vorteil. Laut einer Erhebung der DGB-eigenen Hans-Böckler-Stiftung finden nur rund 44 Prozent der Transfer-Teilnehmer neue Jobs. Zum Vergleich: Von den mehr als 11.000 Schlecker-Mitarbeitern, für die es keine Transfergesellschaft gegeben hat, fanden etwa 49 Prozent wieder eine Stelle, 39 Prozent blieben arbeitslos.
Positivbeispiel Praktiker und Max Bahr
Schaut man sich einzelne Fälle aus den letzten Jahren an - BenQ, Karmann, Pfaff, Qimonda TMD Friction - waren die Transfergesellschaften in der Tat nicht sonderlich hilfreich: Bei BenQ blieben die Hälfte der 1700 Mitarbeiter ohne Job. Im Falle des Autozulieferers TMD Friction im Jahr 2009 diente sie außerdem dazu, um ältere - und damit teurere - Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit loszuwerden, wie der damals mit dem Fall betraute Anwalt Michael Felser sagte. Vor dem Wechsel in die Transfergesellschaft unterschrieben die Mitarbeiter einen Aufhebungsvertrag ohne Abfindung oder Rückkehr-Option. Dem Unternehmen gelang der Neustart - ohne die Arbeitnehmer aus der Transfergesellschaft.
Doch es gibt auch die von Schneider erwähnten Positivbeispiele. Eines ist die Transfergesellschaft von Praktiker und Max Bahr, die vor zweieinhalb Jahren aufgeben mussten. Rund zwei Drittel der Beschäftigtender ehemaligen Beschäftigten der insolventen Baumarktketten Praktiker und Max Bahr haben wieder einen Job gefunden. Ein Viertel sei dagegen arbeitslos geblieben. Das sei ein sehr gutes Ergebnis - auch im Vergleich zu ähnlichen Fällen, sagte Gernot Mühge vom Bochumer Helex-Institut.
Insgesamt beschäftigten beide Baumarktketten in über 300 Filialen rund 15.000 Arbeitnehmer, von denen aber 5500 geringfügig beschäftigt waren und nicht für eine Transfergesellschaft infrage kamen. Über ihr berufliches Schicksal ist nichts bekannt. Trotzdem sollten die Bochumer Opelaner keine allzu großen Hoffnungen haben, durch die Transfergesellschaft wieder in Lohn und Brot zu kommen. Praktiker und Max Bahr scheinen eine echte Ausnahme zu bilden.