Personalauswahl Vorstandsposten sollten verlost werden

Seite 2/3

Hybris der Glückspilze führt zu Risiken

Hinzu kommen Halo- und Matthäus-Effekte: Wer hat, dem wird gegeben. Die Glückspilze erhalten – weil sie angeblich so tüchtig sind – mehr und bessere Ressourcen, höhere Förderung und Aufmerksamkeit. Dadurch strahlt ihr Glanz noch heller. Sie sind immer mehr von sich überzeugt und lassen sich als Stars feiern. In der Folge steigern sie den Druck gegenüber dem Aufsichtsrat, ihre Boni zu erhöhen – auch als Absicherung gegenüber Zeiten, in denen sie das Glück verlässt und sie den Anschein großartiger Leistungen nicht mehr aufrechterhalten können.

Zu den Autoren

Hybris verstärkt die Anreize, überhöhte Risiken einzugehen, auch weil die Folgen oft nicht die Verantwortlichen, sondern die Aktionäre und Mitarbeiter tragen. Ein gutes Beispiel sind Akquisitionen. Sie erweisen sich in der Hälfte aller Fälle als Fehlentscheidungen. Eine umfangreiche Literatur weist nach, dass dafür meist Selbstüberschätzung der Manager verantwortlich ist.

Prominente Beispiele für ehemalige Topperformer, deren Hybris ihrem Unternehmen Schaden zugefügt hat, sind etwa Nick Leeson, der 1995 die Barings Bank zugrunde richtete; sein Händlerkollege Jérôme Kerviel bescherte 2008 der französischen Großbank Société Générale einen Verlust von 4,8 Milliarden Euro. Kweku Adoboli kostet die UBS 2011 rund 2,3 Milliarden US-Dollar. Wie lässt sich so etwas verhindern?

Eine Lösung liegt in der Rückbesinnung auf ein altes und erfolgreiches Verfahren, das in Vergessenheit geraten ist: die teilweise Auswahl durch das Los oder den Zufall. Zufall wird dabei im Sinne einer statistischen Wahrscheinlichkeit verwendet. Es hat somit nichts mit Willkür oder Irrationalität zu tun, sondern im Gegenteil mit einer mathematischen Gesetzmäßigkeit. Und die ist historisch gut beleumundet.

Im klassischen Athen und im mittelalterlichen Venedig wurden politische Positionen in einem gemischten Prozedere aus Losverfahren und gezielter Auswahl besetzt. Auch andere italienische Stadtstaaten des Mittelalters wie Florenz oder Bologna haben in ihrer großen Zeit Elemente des Loses zur Bestimmung ihrer Exekutive verwendet. An der Universität Basel wurden im 18. Jahrhundert Lehrstühle per Los ausgewählt, aus einer Liste von drei Kandidaten. Noch heute wird der koptische Papst per Los aus drei zuvor ausgewählten Personen bestimmt.

Seit einiger Zeit wird die Diskussion um aleatorische Verfahren (von „alea“, lateinisch Würfel) wiederbelebt, etwa in der Politik in Form einer dritten Kammer. Sie soll ermöglichen, dass in den Entscheidungsgremien viele Interessen repräsentiert sind, und dem Legitimationsverlust der politischen Eliten entgegenwirken. Das ließe sich auf Unternehmen übertragen. Sie könnten im Aufsichtsrat eine zweite Kammer installieren, die nach dem Losprinzip gebildet wird – um Anspruchsgruppen damit eine Stimme zu geben. Im Management könnte das Los ebenfalls zum Einsatz kommen, und zwar nachdem bereits eine Vorauswahl nach herkömmlichen Methoden getroffen wurde.

Mithilfe der üblichen Rekrutierungsverfahren wird zunächst ein Pool von Kandidaten bestimmt. Deren Fähigkeitsnachweis ist aufgrund der strengen Auswahl überdurchschnittlich hoch. Wer dann das Rennen macht, hängt oft an Zufälligkeiten oder politischer Einflussnahme. Das ist ähnlich wie bei der Preisverleihung in Musikwettbewerben. Dort wurde empirisch nachgewiesen, dass nach einer sorgfältigen Vorauswahl die Fähigkeiten der Kandidaten in der „short list“ so dicht beieinanderliegen, dass es Zufall ist, wer den Preis bekommt. Was spricht dagegen, den Zufall gezielt einzusetzen? Welche Vor- und Nachteile hätte das?

Wer für eine Spitzenposition per Los ausgewählt wurde, ist weniger anfällig für die Gefahr der Selbstüberschätzung und des Machtmissbrauchs. „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut“, sagt der Historiker Lord Acton. Gewinner im Losverfahren sind bescheidener und eher bereit, auf Ratschläge anderer zu hören. Verlierer behalten ihr Gesicht und ihr Selbstbewusstsein.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%