Gleiches gilt, wenn eine Depression überwunden ist und es darum geht, Rückfälle zu vermeiden. Hier empfehlen Experten, Schichtdienste und den häufigen Wechsel von Früh- auf Nachtschichten zu vermeiden. „Ein regelmäßiger Schlafrhythmus hilft häufig, um gesund zu bleiben“, sagt Hegerl. Dass sich Arbeitgeber darauf einlassen müssen – so es andere Einsatzmöglichkeiten gibt – hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt bereits 2014 entschieden. Im konkreten Fall ging es um eine Krankenschwester aus Potsdam. Sie konnte wegen einer Depression keine Nachtdienste mehr leisten. Die Klinik erklärte sie deswegen 2012 für arbeitsunfähig.
Die Krankenschwester verlangte dagegen, ohne Nachtschichten weiterarbeiten zu können – und Recht. "Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden“, hieß es im Urteil. Sie könne alle Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Der Arbeitgeber müsse deshalb bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen.
Depression: Volkskrankheit mit Versorgungsdefiziten
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Bis 2020 werden sie laut Weltgesundheitsorganisation weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein, vor Diabetes mellitus (Zuckererkrankung) oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei gibt es immer noch erhebliche Versorgungsdefizite, so das Robert Koch Institut (RKI).
Je nach Statistik haben schätzungsweise vier bis fünf Millionen Menschen in Deutschland eine Depression. Nach Zahlen des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gab es 2015 insgesamt 1,12 Millionen stationäre Fälle von GKV-Patienten, die die Diagnose Depression hatten. Der weitaus größte Teil davon wurde jedoch wegen anderer Erkrankungen stationär behandelt. Depression war also häufig „nur“ Nebendiagnose. GKV-Patienten mit Hauptdiagnose Depression gab es insgesamt bei rund 316 500 stationären Fällen. Genaue Zahlen über ambulante Fälle gibt es nicht.
Betroffene leiden unter einer gedrückten Stimmung, Traurigkeit oder inneren Leere, Antriebs-, Freud- und Interessenlosigkeit. Weitere Symptome können Konzentrationsmangel, schwindendes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sein. Dann auch Müdigkeit, Schlafstörungen sowie Appetitlosigkeit und entsprechend Gewichts- sowie Libidoverlust. Auch Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit kommen vor. Wenn eine bestimmte Anzahl dieser Grund- und Zusatzsymptome über 14 Tage anhält, spricht man je nach Anzahl und Schwere von einer leichten, mittelschweren oder schweren depressiven Episode. Bei schweren Depressionen kann es zu lebensmüden Gedanken kommen, die das Risiko einer Selbsttötung steigen lassen.
Depressionen haben auch körperliche Grundlagen, denn im Gehirn findet da etwas statt oder besser nicht statt. Bisher geht man davon aus, dass in bestimmten Regionen des Gehirns die Botenstoffe zwischen den Nervenzellen reduziert sind, so dass nicht ausreichend oder falsche Signale übertragen werden. Einer dieser Botenstoffe ist Serotonin. Hier setzen auch die Medikamente an. Sie sollen die Konzentration dieser Botenstoffe an den sogenannten synaptischen Spalten erhöhen.
Grundsätzlich ja. Heute gehe man von einem bio-psycho-sozialen Erklärungsmodell für Depressionen aus, erläutert die Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses in Berlin-Weißensee, Iris Hauth. Bio meint dabei auch, dass man eine angeborene Empfänglichkeit haben kann. „Es gibt mehrere Gene, die mittlerweile in unserer Erbausstattung identifiziert worden sind, die eine mögliche Anfälligkeit für Depressionen mit sich bringen.“ Doch Depressionen müssten nicht zum Ausbruch kommen. „Da müssen psychische und soziale Faktoren hinzukommen.“ Etwa schlimmer akuter Stress nach einem Autounfall oder längerer Stress, etwa durch Arbeitslosigkeit.
Wird eine depressive Erkrankung frühzeitig erkannt, ist sie in den meisten Fällen gut behandelbar. Zwei Drittel der Episoden klingen laut Hauth gut ab, auch wenn eine erhöhte Sensibilität bleiben kann. 20 Prozent werden chronisch. In der Regel gilt: Leichte Depressionen werden mit psychotherapeutischen Maßnahmen behandelt, mittelschwere mit psychotherapeutischen und - wenn der Patient es will - mit Medikamenten. Bei schweren Depressionen kommt auf jeden Fall beides zum Einsatz.
Ja, können sie haben. Um die Kriterien für eine Depression zu erfüllen, muss man sich ausdrücken und Gefühle äußern können. Ein Kleinkind, das keine Fürsorge bekommt, ist traurig und zeigt Zeichen einer frühkindlichen Depression. Aber eigentlich sieht man die klassischen Symptome einer Depression bei Kindern erst vom Schulalter an, erläutert der Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Neuruppin, Michael Kölch. Bei Kindern und Jugendlichen gebe es einen hohen Anteil reaktiver Depressionen, etwa, wenn sich die Eltern trennen, wenn die Eltern umziehen oder wenn der geliebte Opa stirbt. Mobbing in der Schule ist ebenfalls ein Risikofaktor. Die kindliche Symptomatik sei nicht nur traurige und niedergeschlagene Stimmung, sondern drücke sich oft auch in einem gereizten Stimmungswechsel aus.
Im Alter setzen sich Menschen mit ihrem Leben auseinander. Traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit können hoch kommen. Verlusterlebnisse beim Tod des Partners oder der Partnerin können Auslöser sein. Zugleich muss man sich immer mehr mit körperlichen Gebrechen und Krankheiten abplagen. Typisch für das Alter sind auch viele Medikamente. Das alles kann psychische Krankheiten nach sich ziehen.
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz gibt zu bedenken, dass rund 1,2 Millionen der über 60-Jährigen in Deutschland an Depressionen leiden. Doch nur sechs Prozent davon würden behandelt. Depressionen seien Hauptursache für Suizide. In Deutschland geht man insgesamt von 100.000 Suizidversuchen im Jahr aus. Etwa 10.000 Menschen bringen sich tatsächlich um.
Ja. Statistisch haben etwa 10 bis 25 Prozent der Frauen im Leben depressive Phasen, während es bei den Männern 4 bis 10 Prozent sind. Oberarzt Stefan Rupprecht vom Alexianer St. Joseph-Krankenhaus sagt, zwar sei die Depressionsrate bei Männern niedriger als bei Frauen, dafür aber die Suizidrate höher. Männer geben aber ihre Depressionen oft nicht zu, sind eher gereizt beziehungsweise aggressiv oder sind in sich gekehrt.
Hegerl möchte trotzdem nicht zwangsläufig dazu raten, die Diagnose Depression offenzulegen. Das solle sich jeder Betroffene sehr gründlich überlegen – wegen möglicher beruflicher Nachteile und weil man auch auf Unverständnis stoßen kann. Er sagt: „Dem Arbeitgeber gehen meine Diagnosen zunächst mal nichts an. Das gilt für Depressionen genauso wie für Migräne".
Führungskräfte sollen Mitarbeiter ansprechen
„Ich würde mir wünschen, dass es für Depressionen ebenso Handlungsleitfäden für Personalverantwortliche gibt wie für Alkoholprobleme“, so der Experte. „Wenn einer morgens mit Fahne zur Arbeit kommt, wird er darauf angesprochen. Wenn er wiederholt weinend vor dem Computer sitzt und nicht mehr in die Mensa geht, dann wissen die Vorgesetzten meist nicht, was sie tun sollen. Das muss sich ändern.“ Denn die Menschen brauchen rasche Hilfe. Wer eine Veränderung an Kollegen oder Angestellten bemerkt, die Symptom einer Depression sein könnte, sollte also nicht wochenlang tatenlos zusehen.
„Es ist doch selbstverständlich, hinzugehen und zu sagen: ‚Ich mache mir Sorgen um Sie. Sie wirken verzweifelt, und Ihre Leistung hat auch nachgelassen. Ich würde gerne mit Ihnen sprechen. Vielleicht kann ich helfen`", sagt Hegerl. Klar, wenn das Verhältnis nicht stimme, werde der Betroffene darauf nicht eingehen.
Auch Jurist Möller hat lange keine Hilfe zugelassen und sich gegen das vermeintliche Stigma Depression gewehrt. Selbst die Experten waren sich uneins. Sein Hausarzt vermutete Sauerstoffmangel im Schlaf. Eine Psychologin stellte nach zehn Sitzungen die Diagnose Partnerschaftsproblem. Es dauerte ein Jahr, bis Möller aus eigenem Antrieb Hilfe bei einem Psychiater suchte und die Diagnose mittelschwere Depression erhielt. Bis dahin sprach er selbst nur von einer „Schwächephase“. So wie insgesamt 17,6 Prozent der Betroffenen die Schuld bei sich suchen.
Sie, Ihre Freunde, Familie oder ein Kollege sind betroffen?
■ Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression finden Sie auf der Webseite deutsche-depressionshilfe.de
■ deutschlandweites Info-Telefon Depression: 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
■ Hilfe und Beratung gibt es außerdem bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter in den Gemeinden
■ Betriebsärzte können ihren Mitarbeitern das kostenfreie iFightDepression-Tool an die Hand geben, dass Menschen mit einer leichten bis mittelgradigen Depression dabei unterstützen kann, mit den Symptomen umzugehen