Resilienz ist ein Begriff aus der Materialwirtschaft. Er beschreibt, inwieweit ein Material, das sich unter Druck verformt, wieder seine ursprüngliche Form zurückerlangt, wenn der Druck nachlässt. Wie das Schilfrohr, das sich im Winde biegt, aber nicht bricht. Im übertragenen Sinne ist es die Fähigkeit, Unerwartetes zu meistern und aus Turbulenzen gestärkt hervorzugehen.
Führung muss daher nicht nur über den Tellerrand schauen, Veränderung vorhersehen. Sie muss sich der Resilienz verschreiben. Und sie muss das Unternehmen mental und strukturell vorbereiten auf das Hereinbrechen des Zufalls, des wirklich Neuen, das in Gestalt einer plötzlichen Ressourcenknappheit, eines politischen Großeingriffs, eines unerwarteten Marktteilnehmers oder eben etwas völlig Vorbildlosem auftreten kann.
Wie aber lassen sich Unternehmen überhaupt so gestalten, dass sie unter rasch wechselnden Rahmenbedingungen und plötzlichen Veränderungen nicht versagen? Wie hält man eine Organisation in Bewegung? Wie sich auf das Unplanbare vorbereiten?
Nerven ohne Unterlass
Es gibt diesen fast naturgesetzlichen Kreislauf, dass Wohlfahrt zu Dekadenz führt, die dann die Wohlfahrt unterhöhlt. Um diesen Zyklus zu unterbrechen, müssen wir die Krise aktiv einbauen in die alltagshypnotische Routine. Das ist der Störungsauftrag der Führung. Diese Störung ist eine Ressource zur Revitalisierung der wirtschaftlichen Kraft, um nicht zu verweichlichen, sondern anpassungsfähig zu bleiben. Damit ist nicht nur das kluge Reagieren auf krisenhafte Umweltveränderungen gemeint. Gemeint ist vielmehr die präventive Vorbereitung der Organisation auf mögliche Veränderungen. Ein aktives Musterbrechen. Eine Alarmierfunktion, die Wachsamkeit und Dauerskepsis am Weiter-so signalisiert. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss Führung in homöopathischen Dosen Störungen in die Organisation einführen. Sie muss das Unternehmen in optimistischer Absicht beunruhigen. Weil nur die permanente Austragung von Krisen fit hält. Bewusst herbeigeführte Krisen zur Aktivierung der Resilienz. Die Betonung liegt dabei auf "bewusst". Man kann es auch „Management by crisis“ nennen – Steve Jobs schien das intuitiv zu beherrschen. Der nervte sein Unternehmen ohne Unterlass – zu beispiellosen Erfolgen. Führung ist Unterbrechung. Weil es schlicht überlebenswichtig ist, die Routinen immer wieder aufzubohren, die Strukturen im Unternehmen regelmäßig in Frage zu stellen, die Leute von den Stühlen zu schieben. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit ehrt man, indem man sie hinter sich lässt.
Erfolg muss beflügeln
Jeder Erfolg muss daher zu einem neuen Anfang werden, der den alten Erfolg überholt. Nur dann kann er nachhaltig sein. So wie Google, das den gesamten Markt durch permanente Weiterentwicklung des Produktportfolios vor sich hertreibt. Oder Dietrich Mateschitz, der den Energietrunk Red Bull mit einer raffinierten Werbe- und Sponsoringstrategie zur Weltmarke machte: „Ich weiß nicht, ob es eine Philosophie ist oder bereits zwanghaft in fast schon klinischer Ausprägung“, sagt er. „Wir stellen aus Prinzip alles in Frage. Wir gehen davon aus, dass nicht alles, was schon immer irgendwie gemacht wurde, so auch richtig ist. Dann fragen wir uns: Gibt es auch andere Wege, intelligentere, kreativere, lustigere, günstigere?“
IBM ist seit einhundert Jahren ein herausragendes Beispiel dadurch, wie es Krisen genutzt hat, sich fundamental zu ändern. Etwa indem der Konzern Geschäftsbereiche abgestoßen hat, die zwar noch ertrags-, aber nicht mehr zukunftsträchtig waren. Nicht zuletzt deshalb stand der Konzern – im Gegensatz zu vielen Konkurrenten – fantastisch da, als der scheidende CEO Sam Palmisano im Januar 2012 den Stab an Virginia Rometty weitergab. In seine Amtszeit fielen der Abschied vom PC-Geschäft, der Ausbau des Software- und Dienstleistungsbereichs und die Akquisition von PricewaterhouseCoopers. Nach Aussage von Rometty habe er ihr nur einen Rat gegeben: „Du musst den Konzern einfach immer wieder neu erfinden.“