1. Betrachte Mitarbeiter nicht als bloße Mittel.
Der Mitarbeiter ist ein Gegenüber, dem wir auf Augenhöhe begegnen und der seinen Zweck in sich selber trägt. Unter dieser Perspektive setzt sich das anständige Unternehmen nicht zum Selbstzweck, es verzichtet auf Zielvorgaben, fordert keine Identifikation, macht die Mitarbeiter nicht zu Reiz-Reaktions-Automaten und verabschiedet sich von einer Managementvergütung, die den Kooperationsvorrang im Unternehmen dementiert.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
2. Behandle Mitarbeiter nicht wie Kinder.
Der Mitarbeiter wird als Erwachsener gesehen, der kompetent und in der Lage ist, angemessene Entscheidungen zu fällen. Das anständige Unternehmen verzichtet daher auf erniedrigende Forderungen nach Vorbildlichkeit oder Fürsorgepflicht der Führung, führt keine Mitarbeiterbefragungen durch (schon gar keine anonymisierten), und unterlässt jede Form der Gesundheitsförderung: Schwächung der Selbstverantwortung, Veröffentlichung unseres Körpers und Konformität sind ein zu hoher Preis.
3. Versuche nicht, Menschen zu verbessern.
Der Mitarbeiter wird anerkannt als Individuum, den wir so nehmen, wie er ist, und dem wir einen Arbeitsrahmen gestalten, der sein Sosein zur Stärke werden lässt. Unter diesem Prinzip verzichtet das anständige Unternehmen auf Führungsstil-Vorgaben, auf Ethik-Kommunikationen, auf Feedback-Runden, auf Rennlisten und auf die Pathologisierung des Mannes durch Führungsseminare.
4. Verletze nicht die Autonomie der Mitarbeiter.
Der Mitarbeiter als Mensch, dem wir vertrauen und der selbstverantwortlich entscheidet, wie er im Rahmen seiner Aufgabe handelt. Das anständige Unternehmen verzichtet auf jede Therapeutisierung der Kooperationsverhältnisse, verspricht keinen sicheren Arbeitsplatz, lässt vor allem bei der Trennung den Anstand nicht vermissen, versucht nicht, Mitarbeiter zu binden und verzichtet auf herabsetzende Kontrolle. Von seinen Führungskräften fordert es Anstand, keine Authentizität.
5. Bezeichne nichts als alternativlos.
Der Mitarbeiter ist ein Wählender, der Wertkonflikte anerkennt, dem wir Mehrdeutigkeit zumuten und auch den Preis, der bei Entscheidungen zu zahlen ist. Das anständige Unternehmen fordert keine Kultur gegenleistungsloser Wertschätzung, es versagt sich jeder kommunikativen Formlosigkeit, es entehrt nicht die Hierarchie, verzichtet auf den unterschiedslosen Einsatz des Englischen als Imperialsprache, fördert keine Frauen und ist zurückhaltend im Umgang mit einer der größten Naivitäten unserer Zeit – der Transparenz.
Die Wende, um die es geht, ist das Wiederernstnehmen von Begriffen wie Erwachsensein, Eigenverantwortung, Stolz, Selbsthilfe, Form, Ehre, Tabu, Würde. Deshalb ist „Das anständige Unternehmen“ auch ein Manifest für das heraufziehende Innovationszeitalter.
Nehmen wir als Beispiel das Feedback. Dürfte ich ein Unwort der Unternehmensführung nennen, Feedback stäche hervor. Zunächst sagt ein Feedback mehr über den Feedback-Geber aus als über den Feedback-Nehmer. Warum sollte es mich kümmern? Zudem ignoriert ein Feedback die wechselseitige Verhaltensbeeinflussung. Über einen isolierbaren Anderen können wir keine Aussage machen, die sich nicht in Selbstbezüglichkeit verheddert. Außerdem kenne ich keine erfolgreiche Führungskraft, die durch Feedback erfolgreich wurde. Keine von ihnen hat sich je an die durchschnittliche Vernunft verloren.