Der große Krach lief leise, fast geräuschlos ab. Christian Pleister zerriss das Papier, stand auf und ließ es in den Papierkorb gleiten. Seine Botschaft war deutlich: Wenn seine Verhandlungspartner ihm wirklich eine Liste mit mehr als 40 Nachforderungen überreichen, dann wird er sich damit nicht auseinandersetzen.
Als Anwalt der Kanzlei Noerr ist Pleister seit 20 Jahren im komplexen Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) unterwegs. Er hat sich, das weiß er selbst, einen gewissen Ruf erarbeitet. „Wenn es der Sache nutzt“, sagt Pleister, „scheue ich die harte Auseinandersetzung nicht.“ Wenn ihm etwas nicht passt, kann er seinen Gesprächspartnern mit Worten, oft aber auch nur mit einer Geste signalisieren: so nicht.
Erst neulich wieder griff der Jurist zu einem Mittel, das die meisten Verhandler zu vermeiden suchen: zum Mittel der Eskalation. Der Begriff, abgeleitet vom französischen Wort für Treppe (escalier), suggeriert einen Konflikt, der sich in immer neue Höhen hochschaukelt, getrieben von eitlen, bockigen Verhandlungspartnern, die zu allem bereit sind – nur nicht zum Kompromiss.
Fehler, die Ihnen in Verhandlungen das Genick brechen können
Oft habe ich gleich zu Beginn einer Auseinandersetzung meinen Standpunkt klar geäußert, meine Schmerzgrenzen benannt, meine Ungeduld kundgetan und in Geradeaus-Manier verhandelt. Manchmal führte die Zack-Zack-Methode tatsächlich zum Erfolg. Zu oft aber habe ich Niederlagen eingesteckt. Und die taten doppelt weh, weil ich mir im Nachhinein eingestehen musste, wie früh ich meine Schwachstellen offen gelegt hatte.
Alle anderen waren fiese Taktiker, nur ich die einzig Wahrhaftige. Wie blöd. Welch leichtes Spiel hatten meine Gegner mit mir, bloß weil ich nervige Diskussionen verkürzen wollte.
Quelle: Dr. Angela Liedler, Vorstandsvorsitzende und eine der Hauptaktionärinnen des Heidelberger Medizintechnikunternehmens Precisis AG sowie Vorstandsvorsitzende des Businessnetzwerks Healthcare Frauen e.V. (HCF).
Auch wenn sich das schrittweise Annähern ans faktische Ziel manchmal anfühlt wie ein Tanz, hat das Hin-und-Her am Verhandlungstisch auch etwas mit der Wertschätzung eines Kontrahenten zu tun. Diese ist wichtig, denn meistens begegnet man sich nach der aktuellen Auseinandersetzung später wieder. Außerdem gilt im Beruf wie im Sport: Je schweißtreibender der Kampf, desto stolzer kann der Gewinner sein und desto anerkannter geht der Verlierer vom Platz. Daher verlangt professionelles Verhandeln nach taktischen Pirouetten, flexiblen Reaktionen und sprachlicher Geschicklichkeit.
Von sich aus suchen Frauen z.B. viel seltener das Personalgespräch für eine Gehaltserhöhung als ihre männlichen Kollegen. Doch wenn ich Angst vor Verhandlungen habe und an meinen Möglichkeiten zweifele, sabotiere ich mich selbst. Selbstzweifel und Zaudern leisten der berühmten „self-fulfilling prophecy“ Vorschub, denn sie gehen zu Lasten eines selbstbewussten Auftretens. Das bringt mich zwangsläufig in eine schlechtere Verhandlungsposition, die Ergebnisse fallen entsprechend aus.
Sie arbeiten hart und haben ein entsprechendes Gehalt verdient? Dann fordern Sie es ohne schlechtes Gewissen ein! Studien zeigen, dass Frauen ihre Verhandlungsergebnisse erheblich steigern können, wenn sie sich zuvor selbst ihrer Fähigkeiten vergewissert und sich darin bestärkt haben. Denn tatsächlich sind Frauen in Verhandlungen oft von Beginn an im Nachteil, weil ihnen ein geringerer sozialer Status unterstellt wird. Mit anderen Worten: Vorurteile lassen sich am besten entkräften, wenn Sie keinen Zweifel an Ihrer beruflichen Position und Ihrer Kompetenz aufkommen lassen – auch nicht bei sich selbst.
Eine stereotype Eigenschaft, die Frauen im Business zugeschrieben wird, ist Freundlichkeit. Egal, wie aggressiv und ungehobelt das Gegenüber sich verhält, bemühen sich Frauen am Verhandlungstisch dennoch freundlich zu bleiben. Doch wer zu freundlich ist, läuft einerseits Gefahr, in der Sache zu früh nachzugeben und andererseits vom Verhandlungspartner nicht genügend ernst genommen zu werden. Freundlichkeit und Zielstrebigkeit schließen sich zwar nicht aus, aber das Ziel darf vor lauter Zuvorkommenheit nicht aus den Augen verloren werden.
Sie müssen zwar nicht freundlich bleiben, wenn Ihr gegenüber es auch nicht ist. Charmant dürfen Sie jedoch gerne sein. Der Duden definiert Charme als liebenswürdig-gewinnende Wesensart und darin liegt ein entscheidender Unterschied zur landläufigen Freundlichkeit: Ich gewinne damit Aufmerksamkeit, Zugang, Sympathien, Verhandlungsvorsprung. Eine charmante Herangehensweise verbindet den guten Ton des Umgangs mit klaren Vorstellungen für ein gutes Verhandlungsergebnis. Es lässt sich charmant, aber deutlich zum Ausdruck bringen, dass mit einem freundlichen Umgang noch lange keine nachgiebige Verhandlungsstrategie zu erwarten ist.
Selten war die Methode so omnipräsent wie heute. US-Präsident Donald Trump zum Beispiel droht Nordkorea seit einigen Wochen fast täglich. In einer Rede vor der Uno kündigte er im Fall einer Bedrohung der USA oder deren Verbündeter die totale Vernichtung des Landes an, Gespräche mit dem Regime über dessen Atom- und Raketenprogramm seien sinnlos, Bemühungen seines Außenministers Rex Tillerson „reine Zeitverschwendung“.
Bei den Brexit-Verhandlungen zog der EU-Chefunterhändler Barnier kürzlich ein enttäuschendes Fazit: Man sei „in einer Sackgasse“ angekommen, der „Stillstand“ bei der Frage nach den finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens sei „besorgniserregend“. Und vor den Koalitionsverhandlungen in Berlin benennen die beteiligten Parteien seit Wochen Forderungen, die für sie nicht verhandelbar sind.
Sicher, wer in der Politik eine Auseinandersetzung zum Äußersten treibt, gerät schnell in den Verdacht, ein schlechter Stratege zu sein oder gar ein Kriegstreiber. Wer als Gewerkschafter stur auf Konfrontation schaltet, wird mitunter zur Hassfigur im ganzen Land. Doch wahr ist eben auch: Verhandlungen kommen selten ohne Eskalationen ans Ziel.
In der Theorie mögen Gesprächspartner beharrlich an einem Kompromiss arbeiten und Sachthemen in Untergruppen auslagern, um nach Gemeinsamkeiten zu fahnden und einen Ausgleich zu finden. Doch selbst mit viel gutem Willen verlieren Gesprächsrunden an Dynamik, wenn die Positionen zu weit auseinanderliegen. Genau dann kommt die -Eskalation ins Spiel – denn sie zwingt alle Seiten zur Reaktion. „Die Eskalation führt vom Nichtstun ins Handeln“, sagt Verhandlungsexperte Matthias Schranner, Chef des gleichnamigen Negotiation Institute in Zürich, das fast alle Dax-Konzerne berät. Aber wann eignet sich das umstrittene Mittel, um doch noch zum Ziel zu kommen – und wann nicht? Und was gilt es dabei zu beachten?
Verschiedene Etappen
Die Eskalation funktioniert in Stufen, erst im Extremfall geht es um den Abbruch der Verhandlungen. Meist beginnt es harmlos: Zunächst diskutieren die Verhandlungspartner inhaltlich – etwa über ein Datum, bis zu dem bestimmte Themen geklärt werden sollen.
Eskalation mit Sicherheitsnetz
Beispiel Brexit-Verhandlungen. Beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel teilten die Europäer den Briten mit, dass sie bisher nicht ausreichend klar kommuniziert hätten, wie sie mit ihren Verbindlichkeiten bei der EU umgehen wollen. Deshalb könne die zweite Phase der Verhandlung nicht eröffnet werden. So baut die EU Druck auf Großbritannien auf – und eröffnet sich damit die Möglichkeit, einen Konflikt eskalieren zu lassen. Das Königreich soll endlich überlegen, wie es weitergeht mit der Grenze in Nordirland oder den Rechten der EU-Bürger auf der Insel. „Die Eskalation dient der Klärung der Positionen“, sagt Schranner.
Es ist ein bisschen wie im Geschäftsleben: Wer den Verhandlungstisch zunächst verlässt und trotzdem wieder zurückkommt, ist wirklich an einer Einigung interessiert. Wer sich von der Gegenseite Arroganz gefallen lässt, gibt zu verstehen, dass ihm die Sache wirklich wichtig ist. „Man testet, wer mehr an der Transaktion interessiert ist“, sagt Anwalt Pleister.
Funktionieren können die verschiedenen Eskalationsstufen aber nur, wenn sie geplant und durchdacht sind. Erfahrene Verhandler überlegen sich wichtige Schritte im Voraus und antizipieren Momente, in denen umgeschaltet werden muss – auf den konstruktiven Gesprächsmodus. Profis verlassen sich außerdem auf weitere Helfer. „Man muss vorher ein Sicherheitsnetz aufspannen“, sagt Schranner.
Wenn etwa bei den Brexit-Verhandlungen der britische Unterhändler David Davis oder sein EU-Gegenspieler Michel Barnier den Eklat wählen, muss auf anderer Ebene ein Gesprächskanal offen bleiben. „Die britische Premierministerin Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel müssten vorgewarnt werden, damit sie schon einen Telefontermin absprechen“, so Schranner. Ähnlich ist es bei Übernahmeverhandlungen in der Wirtschaft. Fusionsexperte Pleister kennt die Situationen, in denen Anwälte beider Seiten noch mal an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die Unternehmensvertreter den Raum bereits verlassen haben. Die Berater sind aber nicht auf die Rolle des „Good Cop“ festgelegt. „Es kann auch sein, dass der Anwalt den Schwierigen gibt, der vom Mandanten zurückgepfiffen wird.“
Wenn eine Seite wirklich an einem Durchbruch interessiert ist, dann wird sie Wege finden, den Dialog wieder aufzunehmen. Bodo Ramelow hat das erlebt. Der Ministerpräsident Thüringens sollte im Jahr 2015 im Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL schlichten. Binnen eines Jahres hatten die Lokführer neunmal gestreikt und die Republik lahmgelegt, die Schlichtung verlief äußerst zäh. „Kurz vor Ende der dreiwöchigen Schlichtungsfrist hatten wir einen toten Punkt erreicht“, erinnert sich Ramelow.
Nach einer Kampfabstimmung zog sich Ramelow aus den Gesprächen zurück. Fuhr zurück nach Thüringen, nahm seine Arbeit als Ministerpräsident wieder auf, absolvierte Termine und ließ sein Handy ausgeschaltet – bis die Anrufe aus der Bahn-Zentrale bei seinem Personenschützer aufliefen. Da wusste Ramelow, dass bei der Deutschen Bahn noch was ging. Zwei Wochen später legten die beiden Seiten einen neuen Tarifvertrag mit 300 Seiten vor.
Häufig wird eben erst hinterher klar: Was nach außen wie ein unversöhnlicher Streit wirkt, ist manchmal freilich sorgfältig inszeniert. Mal wird ein Arbeitskampf vorbereitet, mal die Presse über den Beginn des Ausstands informiert – obwohl die Einigung mit der Arbeitgeberseite längst besiegelt ist. „Gewerkschaften zum Beispiel brauchen häufig einen Streik, um ihren Mitgliedern und auch der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie hart verhandeln“, sagt Schranner, der auch Arbeitnehmervertreter berät.
Die richtige Eskalation erfordert Fingerspitzengefühl
So sehr Eskalationen Verhandlungen nach vorne bringen können: Nicht jede Provokation löst eine Blockade. „Ein Eskalieren um des Eskalierens willen ergibt keinen Sinn“, sagt Bodo Ramelow. Grenzen auszutesten hilft Unterhändlern nur weiter, wenn sie ihr Ziel genau kennen. „Ich muss vorher wissen, warum ich eskaliere, und ob ich in der Lage bin, die Eskalation emotional wieder zurückzunehmen“, sagt Ramelow.
Er weiß, wovon er spricht. Als junger Gewerkschafter versuchte er nach der Wende, bei Kaufhausschließungen das Maximum für die Entlassenen herauszuholen. Er fusionierte die PDS mit der Linken. Und im Tarifkonflikt zwischen GDL und Deutsche Bahn schlichtete er zweimal.
Doch manchmal bringen Eskalationen selbst den erfahrensten Unterhändler nicht weiter. Schwierig wird es etwa, wenn die Macht ungleich verteilt ist. Bei Gehaltsverhandlungen etwa läuft ein Beschäftigter schnell ins Leere, wenn er feststellt, dass er für seinen Chef ersetzbar ist. Und bei Krisenverhandlungen wie im Falle der Pleite-Fluglinie Air Berlin sitzen die Gläubiger am längeren Hebel.
Kulturelle Unterschiede
Die richtige Eskalation erfordert Fingerspitzengefühl – und ein Gespür für den kulturellen Kontext. Im angelsächsisch geprägten Investmentbanking, das überwiegend männlich besetzt ist, geht es manchmal zu wie im Western. „Erst hauen sie sich, und dann trinken sie Whisky an der Bar“, sagt Anwalt Pleister. In Asien gilt dagegen nach wie vor das Prinzip, dass alle Verhandlungspartner ihr Gesicht wahren müssen.
Zum Scheitern sind unbeabsichtigte Eskalationen verurteilt. Etwa aus Unerfahrenheit, wenn junge Unterhändler überfordert sind und sich auf Positionen versteifen, die eine Lösung verhindern. Nach seiner Wahl 2015 inszenierte sich zum Beispiel der griechische Ministerpräsident Alexis Tspiras als Jungpolitiker, der es mit der ganzen EU aufnehmen werde. Am Schluss vieler Krisensitzungen, bei denen Griechenland der Austritt aus der Euro-Zone drohte, musste Tsipras ein drittes Rettungspaket akzeptieren – inklusive derselben Auflagen.
Allerdings verzocken sich auch erfahrene Verhandler. Vor allem dann, wenn sie emotional werden. Nach der Landtagswahl 2009 fühlte sich Bodo Ramelow als großer Sieger und ließ das seine potenziellen Koalitionspartner SPD und Grüne spüren. „Ich habe so lange eskaliert, bis wir verloren haben.“
Fünf Jahre später ging Ramelow überlegter ans Werk. Alles, was ihm für eine Koalition wichtig war, schrieb er auf ein Blatt Papier, das er nicht mehr aus der Hand gab – um keine Gegenvorschläge zu bekommen. Am Schluss stand eine Koalition mit SPD und Grünen, die bis heute hält. Auch deshalb, weil Ramelow auf die Mischung aus sanften Stupsern einerseits und hartem Druck andererseits setzte. „Man muss sich immer das Ende überlegen“, sagt der 61-Jährige. „Wer trotzdem eskaliert, agiert verantwortungslos.“ Und was erwartet der erfahrene Verhandler für die Koalitionsdiskussionen in Berlin? Gespräche, die Flexibilität erfordern, am Ende aber zur Einigung führen – nicht ohne vorherige Eskalation.