Rolf Dobelli Warum Gelassenheit die Karriere befeuert

Der Bestsellerautor Rolf Dobelli erklärt in seinem neuen Buch, weshalb wir ohne innere Ruhe erfolglos bleiben – und wieso der Verzicht auf Nachrichten dabei hilft, ein gutes Leben zu führen.

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Rolf Dobelli im Interview. Quelle: Bodo Rüedi für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Dobelli, was macht ein gutes Leben aus?
Rolf Dobelli: Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ich kann Ihnen aber sagen, was ein gutes Leben verhindert.

Und zwar?
Vereinfacht gesagt geht es darum, dem ganzen Blödsinn aus dem Weg zu gehen, anstatt nach ultimativer Glückseligkeit zu streben. Nicht was Sie hinzufügen, macht ein Leben reich, sondern was Sie aussparen.

Genau darum geht es in Ihrem neuen Buch „Die Kunst des guten Lebens“. Warum benötige ich einen Werkzeugkasten für ein sinnvolles Leben?
Viele Menschen glauben, das gute Leben sei ein Zustand – falsch. Das gute Leben gelingt nur durch ständiges Nachjustieren. Und dabei sollte man sich nicht auf seine Intuition verlassen, sondern auf seine Vernunft vertrauen. Es gibt Denkwerkzeuge, die es ermöglichen, die Welt objektiver zu sehen und langfristig vernünftig zu handeln. Sie garantieren zwar kein gutes Leben. Aber sie helfen, im Durchschnitt besser zu entscheiden und besser zu handeln.

Zur Person

Haben Sie ein Beispiel für ein Denkwerkzeug?
„Mentale Buchhaltung“. Früher habe ich mich über Strafzettel geärgert, besonders wenn kein legaler Parkplatz zu finden war. Heute verschenken meine Frau und ich jedes Jahr einen im Voraus bestimmten Betrag für gute Zwecke — abzüglich der Parkbußen. Das kommt höchstens drei Mal im Jahr vor, beruhigt aber sehr effizient.

In „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ ging es um Denkfehler. Reicht deren Kenntnis nicht aus, um glücklich zu sein?
Das Thema des guten Lebens hat sich mir in den vergangenen fünf Jahren immer stärker aufgedrängt. Es ist ja auch nur einen Steinwurf von den Denk- und Handlungsfehlern entfernt. Außerdem verstehe ich nicht, wie man überhaupt leben könnte, ohne diese Frage mal gründlich durchzudenken. Wie die beiden Vorgängerbücher habe ich dieses Buch primär für mich selbst geschrieben. Um mir Klarheit zu verschaffen.

Ihre Bücher verkaufen sich weltweit millionenfach. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Mir geht es wie allen erfolgreichen Menschen: Im Grunde habe ich meinen Erfolg nicht wirklich verdient, sondern verdanke ihn Glück und Zufall. Deshalb muss ich bescheiden bleiben. Es gehört fundamental zum guten Leben, sich nicht zu wichtig zu nehmen.

Warum?
Sich wichtig zu nehmen kostet Energie. Einerseits schicken Sie Ihre Selbstdarstellungen in die Welt hinaus. Gleichzeitig sind Sie wie ein Radar permanent damit beschäftigt, zu registrieren, wie die Umwelt darauf reagiert. Je wichtiger Sie sich nehmen, desto schneller tun Sie Dinge, um sich selbst zu erhöhen. Und Sie züchten sich Feinde heran. Wer sich wichtig nimmt, lässt nicht zu, dass andere sich auch wichtig nehmen.

Was ist Erfolg?

Wie lautet also Ihre Definition von Erfolg?
Ich orientiere mich gerne an einer Definition, die mindestens 2000 Jahre alt ist. Erfolg hängt demnach weder davon ab, wie eine Gesellschaft Prestige verteilt, noch eignet er sich für vulgäre Rankings. Wahrer Erfolg ist innerer Erfolg.

Das klingt reichlich esoterisch.
Ja, aber das Streben nach innerem Erfolg ist eine der vernünftigsten Haltungen überhaupt – und gleichzeitig eine Wurzel des westlichen Denkens. Erfolgreich ist, wer sich nicht aus der Ruhe bringen lässt – weder durch Höhenflüge noch durch Bruchlandungen.

Kann man das üben?
Ja. Indem man sich ausschließlich auf Dinge konzentriert, die man beeinflussen kann, und alles andere konsequent ausblendet.

Input statt Output.
Exakt. Unseren Input können wir kontrollieren, den Output nicht, weil der Zufall stets hineinregiert. Geld, Macht, Erfolg und Popularität sind Dinge, über die Sie nur beschränkt Kontrolle haben. Die werden Sie ins Unglück stürzen, falls Sie sich darauf konzentrieren. Haben Sie sich hingegen Gleichmut und Seelenruhe antrainiert, werden Sie meist glücklich sein.

Und wie lässt sich das trainieren?
Absolvieren Sie am Ende jedes Tages eine Manöverkritik mit sich selbst: Wo sind Sie heute durchgefallen? Wo haben Sie sich den Tag von toxischen Emotionen vergiften lassen? Von welchen Schlägen, die jenseits Ihrer Kontrolle liegen, haben Sie sich erschüttern lassen? Welche mentalen Werkzeuge könnten die Lage verbessern?

Auf Ihrer Homepage heißt es: „Er konsumiert – mit Ausnahme der Zeitschriften The New Yorker, Science und Nature – keine News.“ Das kann ich nicht glauben.
Doch, ist so. Ab und zu habe ich Rückfälle, etwa bei den US-Präsidentschaftswahlen. Und ich lese Nachrichten im Finanzbereich, wenn es um Aktien von Unternehmen geht, die ich besitze. Aber ansonsten beschränke ich meine Lektüre auf diese Magazine, weil ich immer auf der Suche bin nach Durchbrüchen in der Wissenschaft und im „New Yorker“ exzellente Porträts lese, an die ich mich noch lange gerne erinnere.

Aber ansonsten boykottieren Sie alle Tageszeitungen?
Ja.

Und Sie lesen keine Nachrichtenseiten im Internet?
Nein.

Aber dann bekommen Sie ja gar nichts mit.
Na und? Ich kann ohnehin nichts ändern.

Ist Nachrichtenkonsum notwendig?

Regen Sie sich niemals auf?
Doch, natürlich, aber ich versuche, negative Gefühle auszublenden. Die griechischen Philosophen nannten diese Fähigkeit Ataraxie, was so viel heißt wie Gemütsruhe und Gleichmut.

Ist Nachrichtenkonsum nicht notwendig, um Stimmungen mitzubekommen?
Was soll daran so wichtig sein?

Wenn Sie wichtige Themen gar nicht mitbekommen, schreiben Sie womöglich Bücher über Themen, die niemanden interessieren.
Ich schreibe nie für den Markt, sondern immer über Themen, die mich interessieren. Bei „Die Kunst des klaren Denkens“ suchte ich ein Buch, das diese Themen in einer Art Enzyklopädie zusammenfasst. Das gab es aber nicht, also hab ich es selber geschrieben. Vor ein paar Jahren fragte ich mich, wie eigentlich ein gutes Leben gelingt – also bin ich wieder auf die Suche gegangen.

Und dann sagten Sie sich: Nachrichten brauche ich nicht?
Ja. Sie stören meinen Seelenfrieden, denn die meisten Nachrichten sind nun mal negativ. Außerdem empfinde ich sie als Zeitverschwendung. Da lese ich lieber ein gutes Buch, schreibe, spiele mit meinen Söhnen oder denke nach. Man hat weniger Stress und mehr Ruhe.

Deshalb machen Sie auch einen Bogen um die sozialen Medien.
Genau. Auf den ersten Blick ersparen uns Technologien Zeit und Geld. Doch sobald man eine Vollkostenrechnung anstellt, löst sich diese Ersparnis in Luft auf. Eine Grundregel des guten Lebens lautet: Was nicht wirklich etwas bringt, kann man sich sparen. Das gilt ganz besonders für Technologie. Knipsen Sie lieber erst Ihr Hirn an, bevor Sie zum nächsten Gadget greifen.

Gibt es denn ein Denkwerkzeug, das auch in einen Tweet passt?
Vermeide Situationen, in denen du Menschen verändern musst.

Für einen CEO ziemlich schwierig.
Finde ich nicht. Ich stelle keine Menschen ein, deren Charakter ich verändern müsste – weil ich es gar nicht könnte. Ich tätige keine Geschäfte mit Leuten, deren Temperament mir nicht passt – egal, wie hoch der vermeintliche Gewinn wäre. Und ich würde nie die Führung einer Organisation übernehmen, wenn ich das Mindset der Menschen dieser Organisation verändern müsste.

Unrealistische Erwartungen sind Glückskiller

Was gehört denn für Sie zu den effektivsten Glückskillern?
Unrealistische Erwartungen.

Inwiefern?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein steigendes Einkommen beflügelt das Glück nur bis zu einem Wert von circa 100.000 Euro pro Jahr. Darüber hinaus spielt Geld kaum mehr eine Rolle. Doch selbst unterhalb dieser Schwelle kann Glück auf paradoxe Art vernichtet werden – nämlich dann, wenn die Erwartung an das Einkommen schneller steigt als das Einkommen selbst.

Wie geht man am besten mit Erwartungen um?
Ordnen Sie Ihre Gedanken. Unterscheiden Sie stets zwischen „Ich muss es haben“, „Ich möchte es haben“ und „Ich erwarte es“. Der erste Satz drückt eine Notwendigkeit aus, der zweite einen Wunsch, der dritte eine Erwartung. Je früher Sie vermeintliche Lebensnotwendigkeiten streichen, desto besser.

Ein Leben ohne Wünsche oder Ziele ist allerdings auch nicht schön.
Nein, aber wir dürfen uns nicht an sie ketten. Seien Sie sich bewusst, dass sich Ihre Wünsche manchmal nicht erfüllen, denn vieles liegt außerhalb Ihrer Kontrolle. Ob Sie CEO werden, darüber bestimmen neben dem Aufsichtsrat auch die Konkurrenz, der Börsenkurs, die Presse, Ihre Familie – lauter Instanzen, die Sie nicht komplett unter Kontrolle haben.

Tipps für mehr Gelassenheit im Beruf
Eine Feder eines Füllfederhalters Quelle: Fotolia
Mann am Schreibtisch Quelle: dpa-tmn
Lächelnde Frau Quelle: Fotolia
Eine depressive Frau an ihrem Arbeitsplatz Quelle: dpa
Junge Frau mit einem nicht echten Loch im Kopf Quelle: Fotolia
Hände Quelle: Fotolia
Strenge frau Quelle: Fotolia

Wie bildet man realistische Erwartungen?
Trennen Sie scharf zwischen Notwendigkeiten, Wünschen und Erwartungen. Beziffern Sie Ihre Erwartungen mit einem Wert zwischen 0 und 10. Erwarten Sie eine Katastrophe (0) oder die Erfüllung eines Lebenstraums (10)? Ziehen Sie zwei Punkte von Ihrem Wert ab – und stellen Sie sich gedanklich auf diesen Wert ein.

Das machen Sie?
Ja, einige Male pro Tag – mit beneidenswertem Ergebnis für mein Glück. Wir gehen mit unseren Erwartungen um wie mit Luftballons. Wir lassen sie steigen, bis sie zerplatzen und als schrumpelige Fetzen vom Himmel fallen. Hören Sie auf, Notwendigkeiten, Ziele und Erwartungen in einen Topf zu werfen. Trennen Sie sie scharf. Die Fähigkeit, Erwartungen bewusst zu bilden, gehört zum guten Leben.

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