Sammelklagen "Viele Kanzleien laufen sich schon warm"

Auch deutsche Unternehmen müssen jetzt mit Sammelklagen rechnen – über einen Umweg via London, weil die Briten ihre Gesetze geändert haben, warnt Kim Lars Mehrbrey, Experte für Kartellschadenersatz bei der internationalen Kanzlei Hogan Lovells, im Interview. Betroffen sind nicht nur Exporteure auf die Insel sondern auch Unternehmen, die sich an Kartellen mit Bezug zu Großbritannien beteiligt haben. VW ist bereits einer der ersten Klageadressaten.

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Kim-Lars Mehrbrey

WirtschaftsWoche: Herr Mehrbrey, wegen eines neuen, verbraucherfreundlichen Gesetzes im Vereinigten Königreich müssen auch deutsche Unternehmen ab jetzt mit teuren Sammelklagen von Verbrauchern rechnen‎?

Kim Lars Mehrbrey: Anfang Oktober ist im Vereinigten Königreich der geänderte Consumer Rights Act in Kraft getreten, wonach deutsche Unternehmen verstärkt mit Sammelklagen von Verbrauchern vor Gerichten in London rechnen müssen. Und die werden sehr teuer. Derartige Sammelklagen, in denen ganze Konsumentengruppen vor Gericht vertreten werden, kannte man bislang nur aus den USA und gelten als Schreckgespenst der Unternehmen.

Erster prominenter Beklagter dürfte VW sein, gegen das Autounternehmen gibt es bereits mehrere Sammelklagen von VW-Diesel-Käufern in Großbritannien. Das Gesetz soll es aber auch den Opfern von Kartellabsprachen leichter machen, Schadenersatz von Unternehmen – den sogenannten Kartellanten – einzuklagen. Wie funktioniert das genau?

Während bei den übrigen Sammelklagen im Vereinigten Königreich nur die Person Kläger einer Sammelklage wird, die dieser Klage beitritt (das ist das sogenannte Opt-in-Prinzip), gilt bei Kartellschadenersatzklagen von nun an das Opt-out-Prinzip. Das bedeutet: Eine Vielzahl von Konsumenten, im Zweifel Tausende oder Hunderttausende je nach Produkt, bildet eine Klasse von Geschädigten. Diese Klasse – wie zum Beispiel Käufer bestimmter Elektronikprodukte oder Kunden bestimmter Banken – wird automatisch zum Kläger. Möglicherweise ohne von dem Verfahren zu wissen und nur, weil sie im Vereinigten Königreich wohnen. Für Unternehmen ist das heikel: Diese Gesetzesänderung wird zu sehr hohen Schadenersatzforderungen führen, die schnell in die Milliarden gehen können.

Was ist mit deutschen oder anderen ausländischen Staatsbürgern?

Die können sich diesen Sammelklagen anschließen, müssen ihnen als Kläger aber aktiv beitreten. Voraussetzung ist, dass sie auch sonst im Vereinigten Königreich hätten klagen können, etwa weil sie die entsprechenden Produkte in England gekauft haben.

Was erwarten Sie nun?

Ich rechne damit, dass mehr Verbraucher gegen Unternehmen vor den Gerichten in London wegen Kartellverstößen klagen werden. Bislang hatte es für einzelne Verbraucher keinen Sinn, ihren Schaden einzuklagen, den sie dadurch erlitten haben, dass ein Produkt infolge eines Kartells zu teuer war. Sollte denn ein Käufer eines Elektronikbauteils allen Ernstes wegen geringer Eurobeträge die Teilnehmer eines entsprechenden Kartells verklagen? Prozesskosten und Höhe des Schadenersatzes hätten in keinem Verhältnis zueinander gestanden. Dies dürfte sich aber dann ändern, wenn einer für alle klagt, sprich die Sammelklage ganzer Konsumentengruppen nach Europa kommt. Dann ist damit zu rechnen, dass spezialisierte Kanzleien Nutzer bestimmter Konsumgüter und andere potentiell Geschädigte sehr offensiv bewerben werden, wie es in den USA schon lange üblich ist.

Reagiert bereits der gefürchtete Londoner Anwältemarkt? Amerikanische Kanzleien wie Scott + Scott haben schon einen Standort in London eröffnet, Klägerkanzleien wie Hausfeld werben etwa für eine Sammelklage gegen Google...

Durchaus, viele Kanzleien laufen sich schon warm. Gerade die US-Kanzleien, die auf Sammelklagen spezialisiert sind, haben neue Niederlassungen in London eröffnet. Andere haben ihre Teams mit Sammelklageexperten aufgestockt. Auch englische Kanzleien rühren zunehmend die Werbetrommel für solche Klagen.

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