Das französische Städtchen Evian am Südufer des Genfer Sees ist vor allem wegen der gleichnamigen Wassermarke berühmt. Doch mittlerweile schätzen auch deutsche Wirtschaftsbosse die idyllische Lage. Jedes Jahr im September treffen sich in der Nobelherberge Hotel Royal etwa 50 Vorstandschefs aus Deutschland und Frankreich. Bei herrlichem Blick auf den See debattieren sie über die Politik in beiden Ländern. Dadurch soll das gegenseitige Verständnis auf höchster Ebene steigen.
Lange Tradition
Zurück geht der Evian-Kreis auf das Jahr 1990. Damals waren in Frankreich längst vergessen geglaubte Ängste vor einem wiedervereinigten und übermächtigen Deutschland aufgekommen. Der ehemalige Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter gründete daraufhin das Netzwerk gemeinsam mit dem Ex-Bosch-Chef Marcus Bierich und dem früheren Danone-Boss Antoine Riboud. Seitdem trifft sich der Kreis einmal jährlich für zwei Tage in dem Hotel am See. Praktisch: Die Herberge gehört Danone.
Der Zugang ist nur mit dem Titel CEO möglich, möglichst eines Unternehmens von Dax-Dimensionen. Zu den Mitgliedern gehört der fließend französisch parlierende ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der einst beim französischen Mischkonzern Saint Gobain als Generalbevollmächtigter tätig war. Außerdem dabei: BMW-Lenker Norbert Reithofer, BASF-Chef Kurt Bock und E.On-Boss Johannes Teyssen.
Vorformulierte Präsentationen sind strikt verboten, mit oder ohne PowerPoint. Stattdessen sollen die Teilnehmer frei reden – und möglichst Französisch sprechen. Beim letzten Treffen schilderte François Hollande seine Vorstellungen von französischer Wirtschaftspolitik. Vor ein paar Jahren war Ex-Außenminister Joschka Fischer zu Gast und sprach über das deutsch-französische Verhältnis. Beim Abschlussdinner sitzen viele Teilnehmer schon wieder im Hubschrauber. Evianisten haben viel zu tun – und wenig Sinn für angesäuselte Gemütlichkeit