Hier ein Spaziergang mit seiner Frau Wendi, dort ein Drink mit Sohn Lachlan: Wer Rupert Murdoch schon immer mal in Shorts und Turnschuhen erleben wollte, muss nach Sun Valley fahren. Das Bergdörfchen im Nordwesten der USA ist vor allem bei Skifahrern beliebt. Sobald der Schnee geschmolzen ist, bleiben die 1400 Einwohner weitgehend unter sich – bis auf einige Tage im Sommer.
Jedes Jahr reihen sich auf dem kleinen Flughafen im Nachbarort Dutzende weißer Privatjets aneinander, und Fotografen schwirren durchs Dorf, auf der Jagd nach Schnappschüssen von Prominenten aus Politik und Wirtschaft. Der Grund für die Betriebsamkeit: die Sun Valley Conference. Sie verwandelt den Ort für ein paar Tage in einen angesagten Treffpunkt von Millionären und Milliardären.
Globale Medienelite
Darunter ist auch der australische Medienmogul Murdoch, Gründer und CEO des global tätigen Medienkonzerns News Corporation, zu dem unter anderem die TV-Sender Fox und Sky gehören. Normalerweise sieht man ihn nur in Anzug und Krawatte. Doch hier flaniert er in Freizeitkleidung mit seiner Frau über die Straße oder posiert in kurzen Hosen und T-Shirt mit seinem Sohn.
Seit 1983 trommelt die New Yorker Investmentbank Allen & Company in Sun Valley die globale Medienelite aus New York, London, Tokio und dem Silicon Valley zusammen. Die Bank existiert bereits seit 1922, ihr Vermögen machten die drei Gründer vor allem in der Großindustrie. Der heutige Bankchef Herbert Allen Junior konzentrierte sich seit seinem Amtsantritt in den Siebzigerjahren auf die Unterhaltungsbranche. 1982 verkaufte er den Anteil an der Filmproduktionsfirma Columbia Pictures für 750 Millionen Dollar an den Getränkeriesen Coca-Cola. Allen ist gefragter Berater der globalen Medienelite. Da kann es nicht schaden, wenn er alle üblichen Verdächtigen einmal im Jahr trifft.
Sprechen über Milliardengeschäfte
Egal, ob Microsoft-Gründer Bill Gates, Facebook-CEO Mark Zuckerberg, Google-Mitgründer Sergey Brin, Sony-Boss Kazuo Hirai oder Großinvestor Warren Buffett – sie alle treffen sich jeden Sommer im Nordwesten der USA. Einige bringen ihre Partnerinnen mit, alle sind lässig gekleidet. Einer der wenigen deutschen Teilnehmer im vergangenen Jahr: Telekom-Chef René Obermann, auch er in Jeans und Pulli. Anzug und Krawatte, so die eindeutige Botschaft der Bilder, haben wir schon längst nicht mehr nötig.
Doch der Eindruck täuscht: Die Medienelite trifft sich nicht nur, um in der Sonne zu liegen, gemeinsam Fahrrad zu fahren, zu wandern oder Schach zu spielen. Die Bosse sprechen in dem abgelegenen Bergdorf auch über Milliardengeschäfte. Der ehemalige Disney-Chef Michael Eisner soll hier erstmals die Chancen für eine Übernahme des TV-Konzerns Capital Cities/ABC ausgelotet haben. 1995 wurde der Deal tatsächlich vollzogen. Auch die Fusion des Kabelnetzbetreibers Comcast mit der Senderkette NBC Universal im Jahr 2009 soll hier begonnen haben.
Die Konferenz gilt seit jeher als „Inner Circle“ der oberen Hundert. Wer nicht zufällig Chef eines Milliardenkonzerns ist oder einen solchen gegründet hat, muss draußen bleiben.
Kennen und helfen
Engländer und Amerikaner sprechen von Closed Shops, Deutsche von Netzwerken, Rheinländer vom Klüngel. Doch egal, wie man es nennt und sich auf internationalem oder nationalem Parkett bewegt; ob man in ökonomisch motivierten Zirkeln oder Freundeskreisen von Museen zusammenkommt; sich unter Adeligen oder im Karnevalsverein trifft; ob man qua Geburt, Beruf oder Vermögen dazugehört. Das Prinzip ist stets dasselbe: Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich.
Die einen plaudern unter ihresgleichen entspannt über geschäftliche und private Interessen. Die anderen tauschen Tipps über anstehende Jobwechsel aus, bahnen Kooperationen an und stellen Aufträge in Aussicht. Alles unbeobachtet von der Öffentlichkeit. Ganz gleich, in welcher Branche. Der deutsche Top-Manager Klaus Kleinfeld, Vorstandsvorsitzender von Alcoa, vergleicht das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos mit „Speed Dating“. Soll heißen: Er trifft innerhalb kürzester Zeit so viele wichtige Personen wie sonst nie. Evonik-Chef Klaus Engel nutzt das WEF vor allem dazu, um sich mit Gleichgesinnten über globale Trends und die Konjunktur auszutauschen. Als wichtigstes Treffen der globalen Finanzelite etwa gilt die Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Das letzte Tête-à-Tête von Finanzministern, Zentralbankgouverneuren der G7, Top-Bankern und Nichtregierungsorganisationen fand im Oktober 2012 in Tokio statt. In Berlin wiederum gab es in der vergangenen Woche ein Zusammentreffen, dessen Name Programm ist: die „Super Return Conference“. Unter diesem Dach versammeln sich seit 1998 knapp 1500 Manager der Private-Equity-Branche mehrmals jährlich an wechselnden Orten der Welt – um über die Zukunft der Branche zu debattieren, Strategien gegen mögliche Regulierungen auszuhecken oder nach der neuen Formel für spektakulären Anlageerfolg zu suchen.
Wo sich die Mächtigen noch treffen
Seit 1982 trifft sich dort die Elite der US-Medien- und -Softwarebranche
CEOs multinationaler Konzerne versammeln sich zu halbjährlichen Treffen
Besteht seit 1978 aus Führungskräften aus Europa, Nordamerika und Asien
Startete 1978 als Treffen der globalen Elite im Schweizer Örtchen Davos
Serie der WirtschaftsWoche
Welche aber sind die bedeutsamsten Machtzirkel unserer Zeit? Wo laufen die wirklich wichtigen Fäden zusammen? Wo wird jenseits öffentlich wahrnehmbarer Gremien und Institutionen wie Regierungen, Wirtschaftsverbänden, Wahlen und Hauptversammlungen über den Lauf der Dinge mitentschieden? Über globale Entwicklungen historischer Dimension, Regulierungen auf nationaler Ebene bis hin zu Entscheidungen im lokalen Umfeld? Welcher Zirkel eignet sich für welchen Personenkreis? Wie befördert eine Mitgliedschaft meine berufliche und private Entwicklung? Und wie bekomme ich Zutritt?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die WirtschaftsWoche in den kommenden Wochen. Eine sechsteilige Serie liefert Einblicke in die Welt der Elitezirkel und stellt etwa 30 der bedeutendsten Vereinigungen vor – vom WEF in Davos über die Internet-Konferenz Le Web bis hin zum Frauennetzwerk Zonta und dem Allgemeinen Schnauferl-Club, einem mächtigen Zusammentreffen autovernarrter Top-Manager.
Starkes Bedürfnis
„Keine menschliche Eigenschaft ist erstaunlicher als unser Drang, mit anderen zu sympathisieren“, schrieb der schottische Philosoph und Ökonom David Hume in seinem 1740 veröffentlichten „Traktat über die menschliche Natur“. Damit formulierte er vor knapp 300 Jahren, was bis heute unverändert gilt: Das Bedürfnis nach sozialen Bindungen gehört zu den zentralen Triebkräften des Menschen – ganz gleich, ob im Berufs- oder Privatleben. Als soziale Wesen suchen wir Anschluss an Gleichgesinnte. Mal wollen wir durch gegenseitige Unterstützung Einfluss und Status einer Gruppierung festigen, mal Entscheidungen in eine bevorzugte Richtung beeinflussen.
So verständlich dieser Wunsch ist, so faszinierend sind seine Ausprägungen. Sagenumwobene Geheimbünde wie die Freimaurer, die Illuminaten oder das Opus Dei regen traditionell die Fantasie von Außenstehenden an. Wilde Theorien füllen ganze Bücherregale und geistern durch Diskussionsforen im Internet. Manche vermuten, dass diese und andere Netzwerke in dunklen Hinterzimmern das Schicksal der Welt bestimmen; andere glauben, dass sie als Schattenregierungen die gewählten Politiker zu Marionetten verkommen lassen – oder die Amtsträger in den Vorstandsetagen der Unternehmen gleich mit.
Erstaunlich transparent
Doch das Gewicht der Weltverschwörungstheoretiker nimmt ab. Inzwischen kommunizieren viele Netzwerke erstaunlich transparent. Sie veröffentlichen im Internet, wer an den Treffen teilnimmt, worüber dort geredet wird und wer wie zu diesem Netzwerk stoßen kann.
So zum Beispiel die Baden-Badener Unternehmer Gespräche, die sich als eine Art privates Weiterbildungsforum für Nachwuchsmanager verstehen. Mehr als 3000 Führungskräfte haben das Programm bereits durchlaufen, darunter Ex-Bayer-Chef Manfred Schneider.
Mysteriös seit 1954
Einige Informationen geraten gelegentlich auch durch übertriebenes Mitteilungsbedürfnis an die Öffentlichkeit: Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin zum Beispiel konnte es im vergangenen Jahr nicht lassen, seine Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz im amerikanischen Chantilly auf Twitter kundzutun – das jährliche Zusammentreffen von Spitzenpolitikern, Top-Managern und ausgewählten Medienvertretern gilt seit seiner Premiere 1954 als mysteriöser Zirkel, dem maßgeblicher Einfluss auf den Weltenlauf zugesprochen wird.
Nachdem ihn sowohl Bürger als auch Parteifreunde dafür kritisierten und ihm vorwarfen, mit der Finanzelite zu kungeln, veröffentlichte Trittin auf seiner Internet-Seite ein Interview mit sich selbst. „Sollte man als Grüner an einer solchen Konferenz teilnehmen?“, fragte er sich darin. Und antwortete: „Ja natürlich, warum denn bitte schön nicht?“ Es sei falsch, Gesprächs- und Kontaktverbote aufzustellen. Denn grüne Überzeugungen müssten „gerade auch dort platziert werden, wo sie noch nicht aktiv vertreten werden“.
"Elite" ist in Deutschland negativ besetzt
Was man als Scherz abtun könnte, ist auch eine Reaktion auf ein überkommenes deutsches Eliteverständnis: Denn spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war der Begriff „Elite“ hierzulande negativ besetzt. Waren es doch gerade die Spitzen aus Wirtschaft und Politik, die das Hitler-Regime unterstützt oder es zumindest durch Passivität zugelassen hatten. Als Konsequenz aus dieser Erfahrung versuchte die Kirche in den Fünfzigerjahren den Begriff der „Verantwortungselite“ zu etablieren – vergeblich.
Erst in den Siebzigerjahren erlebten die Netzwerke auch in Deutschland Renaissance und Rehabilitation. Beschleunigt wurde dieser Trend durch die zunehmende Globalisierung des Kapitals. 1971 gründete sich das Weltwirtschaftsforum in der Schweiz, zwei Jahre später folgte die Trilaterale Kommission.
Steigende Vernetzung
Das Ausmaß dieser steigenden Vernetzung lässt sich inzwischen auch in Zahlen ausdrücken. James Glattfelder von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich untersuchte für eine Studie vor einigen Jahren etwa 43.000 Großkonzerne, die 2007 in mindestens zwei Ländern Geschäfte machten. Er wollte herausfinden, welche Unternehmen an anderen beteiligt waren.
Fazit: Lediglich 1318 Konzerne bildeten durch gegenseitige Verflechtungen den Kern des Netzwerks. Mehr noch: Dessen Zentrum bestand aus gerade mal 147 Konzernen. Sie waren nicht nur für sich selbst zuständig – sondern kontrollierten über Beteiligungen gleichzeitig 40 Prozent der übrigen Konzerne. Neun der zehn mächtigsten Unternehmen kamen aus der Finanzbranche. Am besten vernetzt war die britische Großbank Barclays.
Deutschland AG
Nach ähnlichem Muster funktionierte die viel zitierte Deutschland AG. Jahrzehntelang war die Firmenlandschaft hierzulande eng miteinander verflochten. Im Zentrum standen vor allem die Deutsche Bank und die Allianz, die wiederum an vielen Industrieunternehmen beteiligt waren. Inzwischen hat dieses Netzwerk an Macht verloren. Doch von ihren Verbindungen profitieren Top-Manager auch weiterhin.
Joseph Engelberg von der Universität von North Carolina analysierte 2009 die Einkommen von knapp 3000 amerikanischen Top-Managern in den Jahren 2000 bis 2007. Dafür wertete er eine Datenbank aus, die alle aktuellen und vergangenen beruflichen Verbindungen auflistete – etwa, welche Universitäten die Führungskräfte besucht und wie viele Aufsichtsratsposten sie innehatten. Engelbergs Fazit: Ein zusätzlicher Kontakt außerhalb der Firma steigerte das Gehalt eines CEO um etwa 17.700 Dollar.
Kein Wunder. Egal, ob in Traditionsbranchen oder der digitalen Welt, egal, ob Männer oder Frauen, egal, ob jung oder alt: Vitamin B wirkt. Wen wir kennen, entscheidet über unseren Erfolg.
Informationen über Beschäftigungsmöglichkeiten
Schon in den Siebzigerjahren untersuchte der US-Soziologe Mark Granovetter, wie Ingenieure in Boston ihren Job gefunden hatten. Ergebnis: Bei 56 Prozent ging der Arbeitsplatz auf eine persönliche Verbindung zurück. Doch nur etwa 17 Prozent empfanden diese Verbindung als „regelmäßig“. 84 Prozent hingegen sagten, dass sie ihre Kontaktperson nur „gelegentlich“ oder „selten“ persönlich getroffen hätten.
Anders formuliert: Entscheidend waren nicht enge Freunde, sondern entfernte Bekannte. Daraus entwickelte Granovetter die „Stärke schwacher Bindungen“. Der Soziologe ging davon aus, dass Informationen über Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem über eben diese lockeren Bekanntschaften weitergegeben werden.
Empfehlung
Das bestätigte auch Roberto Fernandez. Der Organisationspsychologe vom Massachusetts Institute of Technology analysierte 1997 knapp 3000 Bewerbungen einer amerikanischen Großbank für 326 Stellen. Wer eine Empfehlung von einem Angestellten erhalten hatte, wurde zu 80 Prozent zu einem persönlichen Vorstellungstermin geladen. Von den Außenseitern nahmen diese erste Hürde nur 26 Prozent.
Nach Angaben von Fernandez wägen Bewerber mit Kontakten in die Firma besser ab, ob sie wirklich passen – und verzichten im Zweifelsfall darauf, sich ins Kandidatenrennen zu werfen. Das Netzwerk sorgt für einen Informationsvorsprung.
Bundespresseball in Berlin
Solche Informationen versprechen sich auch jene Politiker, Wirtschaftsbosse und Medienschaffenden, die am Bundespresseball in Berlin teilnehmen. Im vergangenen November tanzten im Hotel Interconti etwa 2500 Personen, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck. Gastgeber ist die Bundespressekonferenz, ein Verein von Parlamentskorrespondenten.
Sie hält den Ball für „das gesellschaftliche Ereignis Nummer eins in Deutschland“. Und das lassen sich die Organisatoren teuer bezahlen. Die Tickets kosten bis zu 690 Euro und sind nur auf Einladung erhältlich. Soll heißen: Man erhält das Privileg, eine Karte kaufen zu können. Theoretisch zumindest. Praktisch können auch Außenstehende teilnehmen – wenn sie einem Parlamentskorrespondenten ein Ticket abkaufen.
Mehr als 20.000 Euro
Doch auch die Plätze im Saal sind käuflich. Die Sponsoren des Balls dürfen je drei Tische mit ihren Gästen besetzen. Außerdem kann jeder etwa 30 weitere Zehner-Tische reservieren, wenn er gerne mit bestimmten Personen zusammensitzen möchte, vom Veranstalter akzeptiert wird – und das nötige Kleingeld aufbringt. Einschließlich der Tickets für zehn Ballbesucher werden mehr als 20.000 Euro fällig.
Aber sind analoge Verbindungen in Zeiten digitaler Netzwerke wirklich noch notwendig? Oder reicht es, sich bei Facebook und Twitter, auf Xing und LinkedIn zu verbinden? Mitnichten, sagt der Soziologieprofessor und Elitenforscher Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt. „Traditionelle institutionalisierte Netzwerke behalten auch künftig wesentlichen Einfluss.“ Denn sie basierten auf Vertrauen – „und das lässt sich allein im Netz nicht aufbauen“.