Das Rezept klingt verlockend einfach: Man erstelle eine gut gemachte Website, kreiere einen originellen Auftritt in den sozialen Netzwerken, baue einen attraktiven Onlineshop auf und entwickle vielleicht noch eine App fürs Smartphone. Jetzt die Zutaten noch kräftig promoten – und fertig ist das Onlinekonzept.
Derart simpel denken immer noch viele Unternehmen, wenn sie sich fit machen wollen für den digitalen Wettbewerb. Und irren dabei gewaltig. Denn eine bloße Erweiterung des Offline-Geschäfts ins Netz reicht nicht mehr aus.
„Die Digitalisierung trifft mittlerweile alle Branchen und Unternehmen ins Mark“, sagt Nikolaus Mohr, Partner beim Beratungshaus Mücke, Sturm & Company. Viele müssten ihr gesamtes Geschäftsmodell überdenken –vom Produktportfolio bis zum Marketing, von der Kundenbetreuung bis zur Kommunikation mit Partnern und Zulieferern, vom Personal bis zum Maschinenpark. „Digitalisierung ist ein Querschnittsthema“, bestätitgt Tobias Göbbel von der Unternehmensberatung Batten & Company. „Sie muss deshalb entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens gedacht werden.“
Offensiver Umgang
Mohr und Göbbel zählen zu der wachsenden Zahl von Spezialberatern, die Unternehmen fit machen wollen für den Weg ins digitale Wirtschaften. Denn immer deutlicher zeigt sich: Aus der Vernetzung erwachsen Unternehmen Chancen und Gefahren gleichermaßen – neue Kunden und neue Konkurrenten, innovative Ideen und verpuffte Hypes, schnelle Informationen und verpasste Chancen.
„Das kommt einer industriellen Revolution gleich“, sagt Mücke-Mann Mohr. „Da bleibt in vielen Häusern kein Stein auf dem anderen.“
Die Zeit, in der die großen Konzerne einer Branche die kleinen Newcomer aus dem Netz belächeln konnten, sind vorbei: Gerade erst hat ein kleines Start-up aus Cambrigde dem Technik-Riesen Siemens mehrere lukrative Software-Großaufträge für die Automobilbranche weggeschnappt. „Auf dem Markt sind mittlerweile junge, agile Player aufgetreten, die die etablierten Häuser herausfordern – und es auch können“, sagt Batten-Partner Göbbel.
Welche Rolle(n) Berater heute spielen
In vielen Unternehmen ist das Branchen-Know-how und Erfahrungswissen vorhanden, um neue Lösungen zu finden. Es muss nur aus den Mitarbeitern herausgekitzelt werden. Als Moderator bereitet der Berater die wesentlichen Arbeitsschritte und Methoden hierfür vor, sorgt für eine strukturierte Diskussion, fördert neue Ansichten, gibt kollektivem Denken eine Struktur und entwickelt gemeinsam mit Management und Mitarbeitern neue Strategien, Organisationsmodelle und Prozesse. Ein guter Moderator ist Organisator, Didaktiker, Trainer, Coach und Sparringspartner des Topmanagements zugleich.
Bei der klassischen Form der Beratung kaufen Unternehmen Fach- und Erfahrungswissen ein, das im Unternehmen selbst nicht vorhanden ist. Seit den Anfängen der Strategieberatung á la McKinsey prägt die Expertenrolle das öffentliche Bild der Beraterbranche. Und so bieten noch heute praktisch alle Beratungsunternehmen diese Rolle an, sehr ausgeprägt auch bei Spezialistenboutiquen zu finden, die sich auf ein Fachgebiet (z.B. Einkauf oder Controlling) oder eine Branche (z.B. Finanzdienstleistung) fokussiert haben. Die Beratungsprojekte, in denen Experten gefragt sind, zeichnen sich durch längere Analyse- und Konzeptionsphasen aus. Denn hier kann der Experte mit seinem Fachwissen am meisten bewirken.
Bei besonders kniffligen und komplexen Fragestellungen erwarten die Kunden von Beratern wahre Starqualitäten. Der Vordenker muss entweder überragende intellektuelle Fähigkeiten mitbringen oder über langjährige Industrieerfahrung verfügen. In der Praxis wird zwischen so genannten Brain- und Grey-Hair-Projekten unterschieden. Bei Brain-Projekten ist die zu lösende Aufgabe neu und von großer Komplexität. Der Berater muss vor allem mit Kreativität, Innovation und Pionierleistungen bei neuen Ansätzen, Konzepten und Techniken aufwarten können. Bei Grey-Hair-Projekten sind dagegen kundenindividuelle Lösungen gefragt, die Aufgabenstellung ist jedoch meist im Grundsatz bekannt und Lösungsansätze können durchaus aus anderen Projekten übertragen werden. Die Kunden erwarten von Grey-Hair-Vordenkern nutzbare Erfahrungen und Vorwissen aus früheren Projekten sowie Urteilsvermögen. Bei Brain- wie bei Grey-Hair-Projekten sind Standardlösungen unakzeptabel. Hier zählt vor allem Seniorität und Spezialwissen.
Bei umfangreicheren Beratungsprojekten, die zum Beispiel in mehreren Ländern gleichzeitig stattfinden, übertragen Unternehmen die Projektkoordination und -steuerung gerne Beratungsdienstleistern. Der Projektmanager stellt sicher, dass die einzelnen Maßnahmen und Projektschritte termingerecht umgesetzt werden. Diese Rolle erfordert Organisationstalent und Methoden-Know-how.
"Umbauarbeiten" gehören heute in Unternehmen zum Tagesgeschäft. Beim Gros der Beratungsprojekte handelt es sich um sogenannte "Procedure-Projekte" – das heißt, dem Unternehmen ist das zu bearbeitende Problem gut bekannt, es hat aber selbst nicht genug Leute und häufig auch nicht das Know-how, um diese Umbauarbeiten aus eigener Kraft heraus zu stemmen. Bei IT- oder Transformationsprojekten liefern Berater wie z.B. Accenture, Capgemini, IBM oder BearingPoint Lösungen, die sie anschließend gemeinsam mit dem Kunden auch umsetzen.
Nach dem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip schulen praxiserfahrene Spezialisten die Mitarbeiter des Kunden in Methoden- oder Fachtrainings, damit diese Aufgabenstellungen selber lösen und umsetzen können. Die Idee: Wenn die eigenen Mitarbeiter befähigt werden, Projekte umzusetzen, muss das Unternehmen künftig nicht mehr so viel Geld für Beratung ausgeben. Um anderen etwas beizubringen, braucht es Fachwissen, Empathie und didaktisches Geschick.
Der Berater stellt dem Unternehmen bereits entwickelte und in der Praxis getestete Methoden und Prozesslösungen – wie zum Beispiel Lean Management oder Six Sigma - zur Verfügung.
Diese Rolle beinhaltet hauptsächlich das Design und die Steuerung von Transformations- und Veränderungsprojekten. Der Berater bietet (verhältnismäßig) kleinen fachlich-inhaltlichen Input, er ist mehr Begleiter, Treiber, Controller, Anreger und Coach. Deshalb haben darauf spezialisierte Berater häufig auch keine explizite Branchen- oder fachliche Spezialisierung.
Der Berater verabschiedet sich von seiner Rolle als Berater und übernimmt als Senior Projektmanager selbst weitgehend die Führungs- und Umsetzungsfunktion. Interims-Manager sind bei der Überbrückung von Engpässen oder Umbruchsituationen gefragt. Diese Rolle übernehmen meist nur Berater, die vorher eigene Linienverantwortung in der Industrie gesammelt haben oder Ex-Linienmanager ohne explizite Beratungserfahrung.
Beim Management von Unternehmen werden datenanalytische Fähigkeiten immer wichtiger. Einige Beratungsunternehmen haben dazu eigene Teams im Angebot, die nur darauf spezialisiert sind, Daten zu erheben, zu analysieren und zu interpretieren, etwa um den Vertrieb zu verbessern und Kunden besser kennen lernen zu können.
Kunden fragen auch Beratung nach, um Entscheidungen oder Vorhaben zu legitimieren. Die Bestätigung der eigenen Meinung mittels einer neutralen Sichtweise kann der (fachlichen) Absicherung, der Entscheidungssicherheit, aber auch der Kommunikation dienen. Für die Legitimationsfunktion werden häufig die bekannten Brands herangezogen, aber auch externe Gutachter mit Spezialwissen können diese Rolle übernehmen.
Von der Digitalisierung besonders betroffene Branchen wie der Handel haben gezeigt, dass nur der offensive Umgang mit den neuen Technologien Abhilfe schaffen kann. Nun ziehen andere nach, etwa die Finanz- und Versicherungsbranche. „Viele erkennen erst jetzt, dass die Digitalisierung keine kleine Welle ist, die sie mal eben an sich vorbeischwappen lassen können“, sagt Berater Mohr.
Das gilt nicht zuletzt auch für die Consultinghäuser selbst. „Die digitale Transformation wird sich in den kommenden Jahren zu einem der Kernthemen der Beraterbranche entwickeln“, sagt Eva Manger-Wiemann von Cardea, einer Beratungsfirma, die Unternehmen dabei hilft, den passenden Consultant zu finden. „Es gibt einige wenige, hochspezialisierte Berater auf dem Feld, aber die großen Häuser rüsten jetzt massiv nach.“ Die Branchenführer McKinsey und Boston Consulting Group etwa bauen derzeit schlagkräftige Abteilungen auf, die Kunden bei der digitalen Datenanalyse unterstützen sollen.