Storytelling Manager müssen zu Märchenonkeln werden

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Reaktion im Gehirn deutlich stärker

Aber was macht sie für ihre Zuhörer so überzeugend? Und warum reagieren fast alle Menschen so stark auf Erzählungen? Der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Gottschall vom Washington & Jefferson College würde sagen: weil sie nicht anders können. Er sieht den Menschen als „storytelling animal“, als geschichtenerzählendes Tier. Von klein auf hören, sehen und lesen wir Geschichten. Durch Märchen lernen wir als Kinder den Unterschied zwischen Gut und Böse; erfinden Fantasiewelten und erzählen dort eigene Legenden; sehen in Häppchen verpackte Erzählungen in Fernsehserien. Als Erwachsene tauschen wir Klatsch und Tratsch oder lauschen den Anekdoten von Politikern und Unternehmern in den Nachrichten.

Unser Leben, glaubt Gottschall, ist derart von Geschichten bestimmt, dass er sie als die definierende Eigenschaft unserer Spezies versteht. Statt des Homo sapiens sieht er im Menschen den Homo fictus, den großen Primaten mit dem geschichtenerzählenden Geist. Und tatsächlich: Wenn wir Geschichten hören, reagiert unser Gehirn anders, als wenn wir bloß ein Balkendiagramm oder eine Tabelle betrachten. Und diese unterschiedlichen Reaktionen können Wissenschaftler mittlerweile sogar im Gehirn nachverfolgen. Dort bilden das Wernicke-Zentrum und das Broca-Areal das Sprachzentrum, zusammen verarbeiten sie Satzbau, Aussprache und Tonalität. Bei langweiligen Vorträgen werden nur diese Regionen aktiviert. Wenn aber konkrete, sinnliche Wörter in Geschichten verwendet werden, spiegelt sich das auch im Kopf der Zuhörer wider.

Diese Dax-Chefs halten die verständlichsten Reden

Forscher um den spanischen Psychologen Julio González Álvarez von der Universität Castellón wiesen diese Wirkung im Jahr 2006 mit Bildgebungsverfahren nach. Hörten Probanden vermeintlich nüchterne Wörter wie Schlüssel oder Stuhl, aktivierte sich nur ihr Sprachzentrum. Bei sinnlicheren Wörtern wie Zimt oder Kaffee sprang im Gehirn der Freiwilligen zusätzlich auch das olfaktorische Zentrum an, das Gerüche erkennt und verarbeitet.

Eine ähnliche Studie untersuchte den Effekt von Bewegungswörtern und kam zu einem ebenso verblüffenden Ergebnis: Wer davon hört, einen Ball zu treten oder ein Objekt zu greifen, in dessen Gehirn wird gleichzeitig das motorische Zentrum aktiviert.

Das Gleiche gilt für Metaphern, wie der Neurologe Krish Sathian von der amerikanischen Emory-Universität herausfand. Er spielte seinen Probanden statt einzelner Wörter Sprachbilder wie „ledrige Haut“ oder „samtige Stimme“ vor und überwachte dabei ihre Hirnaktivitäten. Wieder wurden neben dem Sprachzentrum die für den Tastsinn zuständigen Areale aktiviert.

Unser Denkapparat unterscheidet also kaum zwischen der Ausführung einer Handlung und dem Nachdenken über selbige. Wer seine Botschaft mit einer besonders anschaulichen Geschichte vermittelt, kann sie so tief im Geist der Zuhörer verankern. Auch Wirtschaftsführer sollten diese Technik nutzen, findet Frank Brettschneider.


Verständlichkeitsindex für Dax-Vorstände

„Geschichten entsprechen unseren Hörgewohnheiten viel eher als zahlenlastige Vorträge“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. Auf deutschen Chefetagen setzt sich diese Erkenntnis allerdings nur langsam durch – zum Verdruss von Aktienbesitzern auf Hauptversammlungen oder Journalisten bei Bilanzpressekonferenzen.

Brettschneider untersucht regelmäßig, wie verständlich die Reden von Dax-Vorständen bei den jährlichen Treffen sind, und bewertet sie nach vergleichbaren Formkriterien. Nutzt ein CEO zum Beispiel sehr lange Schachtelsätze, die vor Fremdwörtern oder Passivkonstruktionen nur so strotzen, bekommt er weniger Punkte als ein Vorstand, der sich kurz fasst und klar und deutlich ausdrückt. Die ersten drei Plätze auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex belegten in diesem Jahr Timotheus Höttges (Deutsche Telekom), Norbert Reithofer (damals BMW) und Ulf Schneider (Fresenius).

Zwar tauchen immer noch Satzungetüme in den Manuskripten auf, aber die meisten Topmanager drückten sich seit einigen Jahren wesentlich verständlicher aus, sagt Brettschneider. Gegenbeispiele waren bei den vergangenen Hauptversammlungen wie schon in den Vorjahren vor allem die scheidenden CEOs Michael Diekmann (Allianz) und Reto Francioni (Deutsche Börse). Den Rekord für den längsten Satz hält aktuell E.On-Chef Johannes Teyssen – mit 62 Wörtern.

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