Streitgespräch Fachkräftemangel Gehen Deutschland die Ingenieure aus?

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"Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss zu"

Wie sieht denn Ihre Rechnung aus, Herr Plünnecke?

Plünnecke: 60.000 erwerbstätige Absolventen kommt in etwa hin, aber ich rechne mit jährlich 40.000 Ingenieuren, die in den Ruhestand gehen.

Aber auch in diesem Fall könnte die Lücke problemlos gefüllt werden.

Plünnecke: Falsch, denn es besteht ja Expansionsbedarf. Wir beobachten über alle Branchen hinweg, dass der Anteil an Akademikern steigt. Bei den Ingenieuren aktuell um gut 25.000 pro Jahr. Dieser Trend wird sich fortsetzen – wir haben derzeit verdammt viele Themen, die den Bedarf an Ingenieuren eher treiben: von der Digitalisierung über die Energiewende bis zur Elektromobilität.

Axel Plünnecke ist Leiter des Kompetenzfelds Humankapital und Innovationen beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Sie würden jungen Menschen also weiterhin empfehlen, ein Ingenieurstudium abzuschließen?

Brenke: Nein.

Plünnecke: Doch, oder eine hochwertige Berufsausbildung.

Brenke: Dem zweiten Teil Ihrer Antwort stimme ich zu. Unsere Gesellschaft muss sich darüber verständigen, ob es sinnvoll ist, dass die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium abschließt. Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss zu. Wir brauchen aber auch junge Leute, die eine Werkbank einrichten können oder als Schlosser im Industriebetrieb tätig sind. Dort besteht ein Mangel.

Was können Unternehmen dagegen tun?

Plünnecke: Schon bei der Berufsorientierung am Gymnasium wird nicht ausreichend auf Möglichkeiten jenseits eines Studiums hingewiesen.

Brenke: Und wenn sie über eine Ausbildung nachdenken, orientieren sich Schüler eher an Berufen, die jeder kennt, wie Friseur oder Maler.

Plünnecke: An Berufe wie Kälteklimatechniker denken sie jedenfalls nicht, weshalb er seit Jahren zu den sogenannten Engpassberufen zählt. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist gestiegen, die Nachfrage nicht. Die Bewerber sind nicht darüber informiert, wo ihre Chancen am besten sind.

Karl Brenke erregte 2010 Aufsehen, als er den Fachkräftemangel eine Fata Morgana nannte. Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Können wir die Lücke nicht mit Auszubildenden aus anderen europäischen Ländern schließen?

Plünnecke: Südeuropäische Jugendliche konnten über spezielle Programme der EU nach Deutschland kommen und hier eine Berufsausbildung absolvieren. Auch bei den Ingenieuren beobachten wir eine hohe Mobilität über die Hochschulen.

Brenke: Na ja.

Plünnecke: Gucken Sie doch auf die Zahlen: Unter den neu zugewanderten Erwachsenen haben wir zehn Prozent sogenannte MINT-Akademiker – also Absolventen in Studienfächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. In der Gesamtbevölkerung macht diese Gruppe gerade mal fünf Prozent aus.

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