Am 5. Dezember 2014 lief in Bochum der letzte Opel Zafira vom Band, am 12. Dezember schloss das Werk seine Pforten endgültig. 3300 Menschen waren zuletzt bei Opel beschäftigt, 2600 landeten in der Transfergesellschaft des TÜV Nord, der von Hause aus für Bildungs- und Weiterbildungsthemen bei Opel zuständig ist und auch vorherige Transfergesellschaften beim Autobauer verantwortete.
Die Bilanz des TÜV Nord nach einem Jahr war allerdings mau: Nur 260 Mitarbeiter haben über die vom Autobauer mitfinanzierte Transfergesellschaft einen festen neuen Job gefunden. Weitere 220 Beschäftigte wurden in Qualifizierungen oder Praktika vermittelt. Trotzdem sagte Hermann Oecking, Geschäftsführer von TÜV Nord Transfer, das erste Jahr sei "planmäßig verlaufen", die 50 Berater arbeiteten unter Hochdruck.
Einer, der mit den Ergebnissen der Arbeit des TÜV Nord weniger zufrieden ist, ist Dieter Welwei. 36 Jahre lang arbeitete der Wirtschaftsingenieur bei Opel Bochum, jetzt gehört er zu denen, die der TÜV Nord schnellstmöglich wieder in einen Job vermitteln soll. "Als die Transfergesellschaft beschlossene Sache war, hieß es, die Vermittlungsquoten lägen bei 60 bis 80 Prozent und in der Region Rhein/Ruhr seien bis zu 15.000 Stellen frei, die für die Opel-Belegschaft geeignet wären", sagt er. Am Anfang seien er und seine Kollegen auch entsprechend euphorisch gewesen. Nun herrsche allerdings Ernüchterung.
Opel stellte pro Mitarbeiter 2000 Euro bereit
"Wir sollten geschult und weiterqualifiziert werden, dafür wurde auch viel Geld von Opel bereitgestellt. Pro Mitarbeiter standen durchschnittlich 2000 Euro zur Verfügung. Weitere sieben Millionen aus dem Europäischen Sozialfond wurden im Herbst 2015 zusätzlich freigegeben. Nur gebracht hat es bisher nicht viel."
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
So geht es nicht nur den Ex-Opelanern: Schon 2006 zeigte ein Gutachten des Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), dass Transfergesellschaften zwar eine nette Geste des Arbeitgebers und der Arbeitsagentur sind, aber kaum zur Jobvermittlung taugen. Der ehemalige Direktor Arbeitsmarktpolitik beim IZA, Hilmar Schneider, nannte Transfergesellschaften in diesem Gutachten eine "Geldverschwendung".
Die Sache mit der Statistik
"Eine Transfergesellschaft kann grundsätzlich ein gutes und sinnvolles Arbeitsmarktinstrument sein und es gibt auch Beispiele, die gute Vermittlungserfolge haben", sagt Anja Schauenburg, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung "Die Personalumbauer". Die erfolgreichen Gesellschaften seien gut strukturiert und böten den Leuten individuelle Weiterbildungen und Qualifikationen an, die zielführend seien und ihnen auch tatsächlich etwas nutzen. "Aber es gibt eben auch sehr viele, die bloß Geldverschwendung sind und die Leute nur verwahren."
Ihrer Erfahrung nach gebe es auch viele Gesellschaften, die Mitarbeiter in die Vermittlungsquote einrechnen, die in Rente gegangen oder in einer Weiterbildungsmaßnahme untergebracht sind. "Das wird nicht extra ausgewiesen. Hier wäre eine ganz andere Transparenz vonnöten, indem klar die Vermittlungsquote in den ersten Arbeitsmarkt veröffentlicht werden würde." Sonst kommen die Traumquoten von 60 oder 80 Prozent zustande, von denen man auch Welwei und seinen Kollegen vorgeschwärmt hat. "Eine erfolgsabhängige Vergütung des Anbieters der Transfergesellschaft könnte daran vielleicht etwas ändern", sagt Schauenburg.
Junge, unerfahrene Berater
Doch die geschönten Quoten sind gar nicht das Schlimmste, zumindest nicht aus Welweis Sicht. "Ich hätte mir gewünscht, dass die Ablauforganisation in der Transfergesellschaft professioneller gewesen wäre. Eine Clusterung nach Berufsgruppen mit der entsprechenden Beratungskompetenz wäre dabei wünschenswert gewesen." Denn bei den Treffen, bei denen auf einen Berater gut 50 Mitarbeiter kamen, seien sowohl Ingenieure, als auch Produktionsmitarbeiter und sonstige Fachkräfte gleich behandelt und beraten worden, obwohl die Bedürfnisse völlig unterschiedlich seien. "Es gab in der Beratung wenig Unterschiede nach Beruf oder Qualifizierung."
Außerdem seien die Berater, anders als die Belegschaft, sehr jung gewesen und hätten nur wenig Erfahrungen aus einem Industriebetrieb mitgebracht. "Wer einen Maschinenbauingenieur berät, muss zwar kein Maschinenbauingenieur sein, aber ein Berater sollte sich in den zu beratenden Berufsbildern einigermaßen auskennen", sagt Welwei. Außerdem wäre ihm mehr Professionalität wichtig gewesen: "Die Berater haben schon in der ersten Auftaktveranstaltung das "Du" angeboten und die Beratungen finden in ehemaligen Großraumbüros statt."